Beginnen wir zuerst mit einigen notwendigen Erklärungen. Der Film „Another Day of Life“ tut es auch. 1975 fährt der Journalist Ryszard Kapuscinski (4. März 1932 – 23. Januar 2007) im Auftrag der polnischen Presseagentur PAP nach Angola. Dort wird gerade, beflügelt durch den Erfolg der Nelkenrevolution in Portugal, ein blutiger Krieg um die Unabhängigkeit des Landes ausgefochten. Im Zentrum stehen dabei drei Unabhängigkeitsbewegungen, die sich spinnefeind sind. Gleichzeitig findet dort ein weiterer Stellvertreterkrieg statt, in dem die USA und die Sowjetunion, mehr oder weniger offen, Material, eigene Soldaten, angeheuerte Söldner und Soldaten befreundeter Mächte in das Kriegsgebiet schicken. Es geht um politischen Einfluss und Rohstoffe. Angola hat Öl und Diamanten.
Als Kapuscinski dort eintrifft ist die Situation unübersichtlich. Höflich ausgedrückt. Denn die Grenze zwischen Revolutionsromantik und Barbarei ist dünn. Ein falsches Wort, ein falscher Gruß kann den Tod bedeuten. Der Frontverlauf ist unklar. Lügen und Gerüchte bestimmen die Meldungen von und über die verschiedenen kämpfenden Gruppen.
Kapuscinski will nicht aus seinem Hotelzimmer in in der Hauptstadt Luanda, sondern von der Front berichten. Das ist ein Selbstmordkommando, das vor ihm noch kein Journalist gewagt hat.
Zusammen mit einem Fahrer, der für ihn auch als landeskundiger Übersetzer fungiert, fährt er in Richtung der Front. Dort trifft er Carlotta, eine junge, sehr angesehen Guerillakämpferin, und General Farrusco.
Seine Erlebnisse verarbeitete er später in dem Buch „Wieder ein Tag Leben“.
Diese lange Reportage ist die Grundlage für den Film „Another Day of Life“ von Raúl de la Fuente und Damian Nenow, der eine Mischung aus Real- und Animationsfilm ist. Für ihren Film reisten de la Fuente und Nenow nach Angola, filmten was sie sahen und trafen einige noch lebende Menschen, die auch in Kapuscinskis Reportage erwähnt werden. Vor allem sein damaliger Fahrer und General Farrusco.
Die Animationsszenen wurden, wie in einigen Animationsfilmen der letzten Jahren, die sich an Erwachsene richten, mit Schauspielern aufgenommen und dann, in diesem Fall, von über zweihundert Illustratoren und Trickfilmzeichnern nachgezeichnet und bearbeitet. Das ermöglicht es ihnen, Kapuscinskis Erlebnisse nachzuerzählen und auch einige der unvorstellbaren Grausamkeiten, die Kapuscinski sah, wie eine mit Kinder- und Frauenleichen übersäte Straße, zu zeigen. Ohne den Voyeurismus zu bedienen.
Am Ende besteht der Film, so das Presseheft, aus sechzig Minuten Animation und zwanzig Minuten Realfilm.
Bei dem Realfilm – und das ist ein Problem – ist nicht immer erkenntlich, ob es sich um historische oder neue Aufnahmen handelt. Das gilt nicht für die Bilder von einem Straßenfest (die Laptops im Bild verorten die Feier eindeutig in der Gegenwart) und die aktuellen Interviews, sondern für die Naturaufnahmen aus dem Hinterland.
Ein anderes Problem ist, dass Kapuscinskis im Film immer wieder angesprochenes moralisches Dilemma zwischen professioneller Objektivität und dem Ergreifen von Partei für eine Seite des Konflikts, etwas zu plakativ beschrieben wird. Außerdem ist es seltsam, dass ein 43-jähriger Journalist, der seit Jahren vor allem aus Asien, Lateinamerika und Afrika über Bürgerkriege und Revolutionen berichtet, sich in Angola zum ersten Mal mit der Frage beschäftigt, wie sehr er durch die Auswahl der Informationen und die Perspektive auch ein Teil des Konflikts ist und ihn möglicherweise in eine bestimmte Richtung beeinflusst.
Aber das sind Details. I
nsgesamt ist „Another Day of Life“ eine beeindruckende, informative, gut strukturierte und gelungene Verbindung von Dokumentar- und Spielfilm. Der Wechsel zwischen Real- und Animationsfilm ist auch größtenteils gelungen. Hier stören vor allem die Aufnahmen von der Straßenparty. Formal erinnert das natürlich an die unzähligen historischen TV-Dokus, in denen vergangene Ereignisse mehr oder weniger schlecht nachgespielt werden. Da hat „Another Day“ of Life“ ein ganz anderes Niveau und die Macher zielen eindeutig auf die große Kinoleinwand.

Another Day of Life (Another Day of Life, Polen/Spanien/Belgien/Deutschland 2018)
Regie: Raúl de la Fuente, Damian Nenow
Drehbuch: Raúl de la Fuente, David Weber, Amaia Remirez
LV: Ryszard Kapuscinski: Jeszcze dzień życia, 1976 (Wieder ein Tag Leben)
Länge: 85 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
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Hinweise
Moviepilot über „Another Day of Life“