Neu im Kino/Filmkritik: „Official Secrets“ sind auch Geheimnisse

Katharine Gun (Keira Knightley) ist eine junge Übersetzerin beim britischen Nachrichtendienst GCHQ. Am 31. Januar 2003 liest sie bei ihrer Arbeit eine streng geheime E-Mail des US-amerikanischen Geheimdienstes NSA. Mit der Mail werden sie aufgefordert, fünf Mitgliedstaaten des UN-Sicherheitsrats auszuspionieren. Mit dem Material sollen diese Staaten zur Zustimmung einer UN-Resolution für den Irakkrieg erpresst werden. Damals war die von den USA forcierte Invasion in den Irak heftig umstritten. Die von der amerikanischen Regierung unter Präsident George W. Bush präsentierten Beweise für die irakischen Massenvernichtungsmittel waren schon damals sehr dünn und viele bezweifelten sie. Heute ist bekannt, dass sie falsch waren. Die britische Regierung unter Premierminister Tony Blair bemüht sich in den Monaten um möglichst blinden Gehorsam gegenüber den USA. Beide Länder wollten eine UN-Resolution, um eine völkerrechtliche Legitimation für den Angriff auf den Irak zu haben.

Als Gun das Memo liest, ist sie schockiert und empört über den Rechtsbruch zu dem sie aufgefordert werden.

Nach längerem Zögern gibt sie eine Kopie der E-Mail an die Anti-Kriegs-Aktivistin Yvonne Ridley, die es an einen vertrauenswürdigen Journalisten weitergeben soll. Nach einer ausführlichen Recherche veröffentlicht der „Observer“ am 2. März 2003 die Geschichte.

Sofort danach beginnt im Nachrichtendienst die Jagd nach dem Verräter. Offiziell wird die Echtheit des NSA-Memos bestritten.

Damit ihr Geheimnisverrat nicht umsonst war, gesteht Gun ihre Tat. Sie wird wegen eines Verstoßes gegen den „Official Secrets Act“ angeklagt und zum Schweigen verdonnert. Auch gegenüber ihren Anwälten.

Und auch wenn Gavin Hood in seinem spannenden, auf Tatsachen basierendem Thriller „Official Secrets“, noch erzählt, wie Katharine Gun mit der auf Menschenrechtsverletzungen spezialisierten Kanzlei Liberty und dem erfahrenen Anwalt Ben Emmerson (Ralph Fiennes) gegen ihre Verurteilung kämpft, sagte ich mir in diesem Moment, philosophisch, nicht juristisch geschult, dass die Ankläger mit ihrer Klage in eine Falle gelaufen waren, die sie selbst aufgestellt hatten. Sie behaupteten, dass Gun Geheimnisse verraten habe. Sie leugneten im gleichen Moment, dass das NSA-Memo echt sei; – was dann ja hieße, dass sie kein Geheimnis verraten habe und damit die Anklage nichtig sei.

Gleichzeitig verweigerten sie ihr für ihre Verteidigung den Zugriff auf Dokumente, die ihre Unschuld beweisen könnten, weil alle diese Dokumente geheim sein. Und sie sagten, dass sie nichts über und gegen die Anklage sagen dürfe, weil sie aufgrund der von ihr unterschriebenen Arbeitsverträge zum Stillschweigen verpflichtet sei.

Die Verteidigung plant dann eine andere Verteidigungsstrategie. Am 25. Februar 2004 steht sie vor Gericht. Angeklagt als Geheimnisverräterin.

Hood erzählt diese Geschichte chronologisch, den verschiedenen Verästelungen folgend und immer nah an den Fakten. Das gute Drehbuch, das die komplexen Vorgänge, Dilemma und Überlegungen der einzelnen Figuren nachvollziehbar erzählt, und die guten Schauspieler tragen zum Verständnis der damaligen Ereignisse bei.

Hoods Aufruf zur Zivilcourage ist, wie bei Scott Z. Burns vor wenigen Tagen gestartetem, ebenso sehenswertem Drama „The Report“ (über das CIA-Folterprogramm nach dem 11. September 2001), konventionell inszeniert. Nichts soll von der Geschichte und den erschreckenden Fakten ablenken.

Official Secrets“ ist eine sehenswerte Geschichtsstunde, die nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat und die eindrucksvoll zeigt, wie wichtig Whistleblower für eine demokratische Gesellschaft sind.

Das sagt auch „Observer“-Journalist Martin Bright: „Dieser Krieg hat all unsere zentralen Institutionen zersetzt: unser Justizsystem, unser politisches System, die Geheimdienste und die Presse. Der Krieg hat also weiterhin einen großen Einfluss auf unser öffentliches Leben. Das ist der Kern dieser Geschichte. Katharine enthüllte nicht einfach nur einen Rechtsverstoß. Sie enthüllte, dass in unseren nationalen und internationalen Institutionen etwas ganz grundlegend nicht stimmt.“

Official Secrets (Official Secrets, Großbritannien/USA 2019)

Regie: Gavin Hood

Drehbuch: Gregory Bernstein, Sara Bernstein, Gavin Hood

LV: Marcia Mitchell, Thomas Mitchell: The Spy who tried to stop a War: Katharine Gun and the secret plot to sanction the Iraq Invasion, 2008

mit Keira Knightley, Matt Smith, Adam Bakri, Matthew Goode, Ralph Fienes, Rhys Ifans

Länge: 112 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Official Secrets“

Metacritic über „Official Secrets“

Rotten Tomatoes über „Official Secrets“

Wikipedia über „Official Secrets“ (deutsch, englisch) und über Katharine Gun (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Gavin Hoods „Ender’s Game – Das große Spiel“ (Ender’s Game, USA 2013)

1 Responses to Neu im Kino/Filmkritik: „Official Secrets“ sind auch Geheimnisse

  1. […] Mehr in meiner ausführlichen Besprechung. […]

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