„Der Ermittler“ Jack Reacher 1996 in Hamburg auf Terroristenjagd

Neunziger Jahre: Jack Reacher trampt noch nicht auf eigene Faust durch die USA, sondern er wird als Militärpolizist von der US Army quer durch die Welt geschickt. Sein neuester Auftrag führt ihn nach Hamburg. Dort gab es ein Treffen zwischen einem unbekanntem Verkäufer und einer islamistischen Terrorgruppe. Er will ihnen etwas für hundert Millionen US-Dollar (das war damals noch viel mehr Geld als heute) verkaufen. Was es ist und wer auf US-Seite in den Handel involviert ist, ist unklar. Damit ist ungefähr jeder US-Amerikaner, der in diesem Moment in Deutschland war, verdächtig.

Reacher und seine Kollegin, Sergeant Frances Neagley, machen sich, unterstützt von einem CIA- und einem FBI-Beamten als Dienste überschreitende, streng geheime Arbeitsgruppe und, immerhin sind sie bei diesem Geheimauftrag direkt dem US-Präsidenten unterstellt, weitestreichenden Kompetenzen, auf die Suche nach der sprichwörtlichen Stecknadel im Heuhaufen.

Schnell schließen sie die offensichtlichen Verkaufsgegenstände aus. Das normale militärische Equipment ist entweder keine hundert Millionen US-Dollar wert oder ohne Ausbildung zu kompliziert zu bedienen oder zu groß für einen Terroranschlag, der natürlich vor der Tat kein öffentliches Aufsehen erregen soll. Außerdem bekommt man die meisten Waffen, nach dem Ende des Kalten Kriegs, günstig auf dem Schwarzmarkt. Daher ist ihre erste erfolgversprechende Vermutung, dass der unbekannte Verkäufer einen Computercode verkaufen will, der pünktlich zur Jahrtausendwende für einen großen Crash sorgen wird.

Als Jack Reacher in „Größenwahn“ (Killing Floor, 1997) die literarische Bühne betrat, war er kein Soldat mehr, sondern ein Drifter, der sich durch die USA treiben ließ. Über seine Vergangenheit, also seine Arbeit beim Militär, war wenig bekannt. Die leuchtete Lee Child erst in späteren Reacher-Romanen aus.

In „Der Ermittler“ begibt Lee Child sich erneut in Jack Reachers Vergangenheit als Soldat und erstmals spielt die Geschichte in Deutschland. Angesichts der Verbindungen von Hamburg zu 9/11 ist das eine nachvollziehbare Wahl. Außerdem kann Child die weltpolitischen Veränderungen nach dem Ende des Kalten Kriegs beleuchten und Reacher in Hamburg einige Nazis verkloppen lassen. Sowieso spielen, ohne jetzt zu viel von der Geschichte zu verraten, Nazis und alte Seilschaften in wichtigen Positionen im deutschen Sicherheitsapparat bei Reachers Ermittlungen eine wichtige, den Ermittlungserfolg behindernde, Rolle.

Unterstützt wird Reacher bei seinen Ermittlungen von dem Hamburger Kriminaldirektor Griesmann, der den Mörder einer Prostituierten sucht. Was beide zu Beginn ihrer Zusammenarbeit nicht wissen, aber der Leser weiß: die Prostituierte wurde von dem unbekannten Verkäufer ermordet.

Der 21. Jack-Reacher-Roman ist ein gewohnt spannender, sauber geplotteter Thriller, der, wenn er zwischen den verschiedenen Handlungssträngen hin und her springt, seine makellos funktionierende Mechanik etwas zu deutlich zeigt. Außerdem besteht, immerhin sind wir alle noch sehr lebendig und Jack Reacher reist seit Jahren unverletzt und unbeschwert durch die USA, nie der Hauch eines Zweifels am Erfolg von Reachers Mission. An der Pageturner-Qualität ändert sich dadurch nichts.

Störend ist allerdings immer wieder Wulf Bergners in Details erstaunlich unkonzentrierte Übersetzung. So regierte in den Neunzigern Bundeskanzler Helmut Kohl. Eine „Bundeskanzlerin“ (Seite 86) gab es damals nicht. „Dispatcher“ (Seite 47, 363 und 364) und „Cop Car“ (Seite 131) sind in Deutschland für die Leitstelle der Polizei und Polizeiautos auch heute keine gebräuchlichen Begriffe.

Parallel zu „Der Ermittler“ erschien, ebenfalls bei Blanvalet, Lee Childs Essay „Der Held“. Es handelt sich um einen kurzen, mit Zeichnungen und einer Leseprobe auf über hundert Seiten aufgepimpten Text, in dem Child erzählt, wie über Generationen vom vor dem Beginn der Menschheit bis zur Gegenwart kleine Veränderungen teilweise zu großen Veränderungen führten, welche Bedeutung Geschichten für uns haben (ebenfalls beginnend bei den Erzählungen am Lagerfeuer der Urmenschen) und wie sich die Bedeutung einige Worte im Lauf der Zeit veränderte. Das hat wenig mit dem Titel und dem Untertitel „Wie Helden die Welt verändern, und warum wir sie heute mehr als je zuvor brauchen“ zu tun. Jedenfalls wenn man erwartet, mehr über die Figur Jack Reacher und Helden im konventionellem Sinn (also wie der Held Chesley ‚Sully‘ Sullenberger, der 2009 eine vollbesetzte Passagiermaschine auf dem Hudson River notlandete und so alle Passagiere rettete) zu erfahren. So ist „Der Held“ vor allem etwas für die Menschen, die alles von Lee Child lesen wollen.

Lee Child: Der Ermittler – Ein Jack-Reacher-Roman

(übersetzt von Wulf Bergner)

Blanvalet, 2020

416 Seiten

22 Euro

Originalausgabe

Night School (21 Reacher)

Bantam Press, London, 2016

Lee Child: Der Held

(übersetzt von Wulf Bergner)

Blanvalet, 2019

112 Seiten

10 Euro

Originalausgabe

The Hero

HarperCollins Publishers Ltd., 2019

Hinweise

Homepage von Lee Child

Wikipedia über Lee Child (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Lee Childs „Tödliche Absicht“ (Without fail, 2002)

Meine Besprechung von Lee Childs „Die Abschussliste“ (The Enemy, 2004)

Meine Besprechung von Lee Childs „Sniper“ (One Shot, 2005)

Meine Besprechung von Lee Childs “Outlaw” (Nothing to Loose, 2008)

Meine Besprechung von Lee Childs „Die Gejagten“ (Never go back, 2013)

Meine Besprechung von Lee Childs (Herausgeber) „Killer Year – Stories to die for…from the hottest new crime writers“ (2008)

Meine Besprechung von Christopher McQuarries „Jack Reacher“ (Jack Reacher, USA 2012)

Meine Besprechung von Edward Zwicks „Jack Reacher: Kein Weg zurück“ (Jack Reacher: Never go back, USA 2016)

Kriminalakte über Lee Child und „Jack Reacher“

One Response to „Der Ermittler“ Jack Reacher 1996 in Hamburg auf Terroristenjagd

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