Neu im Kino/Filmkritik: Über Christopher Nolans „Oppenheimer“

Ein verfilmter Wikipedia-Artikel – ein gern benutzter Vorwurf gegen Biopics die das Leben der porträtierten Person chronologisch, detailversessen und langweilig abhandeln – ist Christopher Nolans „Oppenheimer“ nicht. Ein guter Film ist das dreistündige Werk auch nicht.

Er erzählt, weitgehend chronologisch und mit vielen Stars (dazu später mehr) einige wichtige Momente aus dem Leben von J. Robert Oppenheimer, dem „Vater der Atombombe“. Cillian Murphy spielt ihn als hageren Kettenraucher. Es geht um seine Jahre als Leiter des Manhattan-Projekts während des Zweiten Weltkriegs. In Los Alamos, New Mexico, leitete er die Forschungen und Entwicklung der Atombombe. Es geht um die Sicherheitsanhörung, in der 1954 über seine Sicherheitsfreigabe, die ihm die Arbeit an geheimen Rüstungsprojekten ermöglicht, verhandelt wurde. Auch seine Zeit als Student und aufstrebender Wissenschaftler werden kurz beleuchtet. Nolan springt dabei, ohne die Zuschauer zu überfordern, in der Chronologie, zwischen Farbe und Schwarz-Weiß und zwischen Oppenheimers Berufs- und Privatleben hin und her. Auf Jahreszahlen und Ortsangaben verzichtet er, aber Oppenheimers Frisur gibt jederzeit deutliche Hinweise auf die Zeit.

Bis auf wenige Momente, in denen Nolan in Oppenheimers Kopf eintaucht, ist das Biopic ein normales Biopic mit sprechenden Männern und noch mehr sprechenden Männern, die anscheinend auf ihren Stühlen festgewachsen sind, und einigen prächtigen Landschaftsaufnahmen von New Mexico mit reitenden Menschen und fotogenen Sonnenauf- und -untergängen. Irgendwann sind die Forscher im Manhattan-Projekt, die wir eigentlich nie bei der Arbeit sehen, soweit, dass sie den Trinity-Test durchführen können. Diese erste Explosion einer Atombombe wurde schon vorher eifrig beworben. Nolan verzichtete auf computergenerierte Bilder. Also musste es eine echte Explosion geben, die im Film, nun, ziemlich wie eine normale Explosion aussieht. Nur, insgesamt, auch durch die Inszenierung, etwas imposanter.

Um die Bilder und die Kameraarbeit wurde vorher ebenfalls ein großes Bohei gemacht. Nolan und sein Kameramann Hoyte van Hoytema (u. a. die Nolan-Filme „Interstellar“, „Dunkirk“ und „Tenet“) drehten mit Großformatkameras und immer mit einer IMAX-Auswertung im Blick. Für die Schwarz-Weiß-Szenen entwickelte Kodak spezielles Filmmaterial. Das sind technische Aspekte, die mit der Qualität des Films letztendlich nichts zu haben.

Bei den Figuren wollte Nolan keine Filmfiguren erfinden, die aus mehreren realen Personen zusammengefügt sind. Dieser Verzicht auf Composite Characters führt dazu, dass er viele, sehr viele Schauspieler für teils nur sehr kurze Auftritte von ein, zwei Szenen engagieren musste. Er besetzte diese teils immer noch sehr bekannten Menschen, wie Niels Bohr und Werner Heisenberg, mit bekannten Schauspielern, die auch in sehr kurzen Auftritten von oft nur ein, zwei Szenen einen bleibenden Eindruck hinterlassen können. Und niemand würde Matt Damon mit Robert Downey Jr. (schwer erkennbar als Lewis Strauss) mit Kenneth Branagh mit Casey Affleck oder mit Matthias Schweighöfer (der in der Originalfassung etwas deutsch reden darf) verwechseln. Das erleichtert etwas die Orientierung im Wust der Kurzauftritte und auch das spätere Gespräch darüber.

Ein großer Teil des Films, mindestens ein Drittel, wahrscheinlich sogar viel mehr Filmzeit, beschäftigt sich mit zwei Anhörungen, die in den Fünfzigern stattfanden. Die eine ist die Sicherheitsanhörung von J. Robert Oppenheimer. In ihr wird 1954 über die Bestätigung seiner Sicherheitsgarantie verhandelt. Es ist, in einem anonymen, winzigem Besprechungszimmer, ein Schauprozess der übelsten Sorte. Ohne Publikum und ohne die Möglichkeit, sich zu verteidigen. Die andere Anhörung ist 1959 die von Lewis Strauss vor dem US-Senat. Er soll als Handelsminister bestätigt werden. In diesem Teil des Films geht es dann tief in die Hinterzimmer von Washington und die US-amerikanische Paranoia vor dem Kommunismus, die damals zum McCarthyismus führte. In langen Befragungen wird sich auf Details aus Oppenheimers Vergangenheit konzentriert, die ihn als einen Kommunisten überführen sollen. Wann er mal für eine gute Sache Geld spendete oder mit wem er sich irgendwann vor Jahren mal traf.

Nolan inszeniert diesen Reigen sprechender Köpfe, über die wir oft nichts wissen, als eine endlose Abfolge starrer Kameraeinstellungen, die mehr an einen durchschnittlichen TV-Gerichtsfilm als an einen großen Kinofilm erinnert. Wobei sogar jede Gerichtsszene in „Law & Order“ dynamischer inszeniert ist.

Er verzichtet auch auf eine Voice-Over-Kommentar, der Informationen, Hintergründe und Zusammenhänge vermitteln und Lücken der Erzählung ausfüllen könnte. Das muss dann der Wikipedia-Artikel erledigen.

Ärgerlich ist bei einem Film wie „Oppenheimer“, bei dem die Dialoge wichtig sind, Nolans Marotte, die Dialoge bis zur Unverständlichkeit in den restlichen Sound zu mischen. Da wären, wie bei seinem vorherigen Film „Tenet“, Untertitel hilfreich gewesen.

Alles das könnte verziehen werden, wenn Nolan sein Material im Griff hätte. Aber er reiht nur Episoden und Details aus Oppenheimers Leben aneinander. Am Anfang assoziativ und immer wieder in Oppenheimers Kopf, später weitgehend chronologisch und objektiv. Nolan lässt beim Erzählen von Oppeneimer Leben große Lücken. Die größte ist die zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und den Jahren danach, in der Oppenheimer die Entwicklung der Wasserstoffbombe ablehnte. Er zerstritt sich darüber mit Lewis Strauss, dem damaligen Vorsitzenden der Atomenergiebehörde (Atomic Energy Commission, AEC). Strauss diffamierte ihn als möglichen sowjetischen Spion. Das führte zu der von Nolan in epischer Breite gezeigten Sicherheitsanhörung. Interessanter wäre es gewesen, wenn Nolan eben die Geschichte des Konflikts zwischen Oppenheimer und Strauss gezeigt hätte. Er zeigt nur einen kleinen, für sich genommen und ohne Hintergrundwissen kaum verständlichen Ausschnitt.

Die Frauen in Oppenheimers Leben bleiben schmückendes Beiwerk. Sein familiärer Hintergrund, Kindheit und Jugend werden ignoriert. Das wäre kein Problem, wenn Nolan aus Oppenheimers Leben einen wichtigen Abschnitt oder eine wichtige Entwicklung vollständig und nachvollziehbar erzählt hätte. So finden die wichtigsten Entwicklungen immer zwischen den Bildern statt.

Oppenheimer“ ist Christopher Nolans schwächster Film. Nolans Drei-Stunden-Epos wirkt wie eine lieblos auf Spielfilmlänge zusammengeschnittene durchschnittliche TV-Serie.

Oppenheimer (Oppenheimer, USA 2023)

Regie: Christophr Nolan

Drehbuch: Christopher Nolan

LV: Kai Bird/Martin J. Sherwin: American Prometheus: The Triumph and Tragedy of J. Robert Oppenheimer, 2005 (J. Robert Oppenheimer – Die Biographie)

mit Cillian Murphy, Emily Blunt, Matt Damon, Robert Downey Jr., Florence Pugh, Josh Hartnett, Kenneth Branagh, Benny Safdie, Dylan Arnold, Gustaf Skarsgård, David Krumholtz, Matthew Modine, David Dastmalchian, Tom Conti, Casey Affleck, Rami Malek, Jason Clarke, Alden Ehrenreich, Dane DeHaan, Gary Oldman, James Remar, James D’Arcy, Matthias Schweighöfer (da könnte man ein Trinkspiel machen)

Länge: 181 Minuten

FSK: ab 12 Jahre (in den USA gab’s wegen nackter Tatsachen ein R-Rating. Die sind halt arg prüde.)

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Oppenheimer“

Metacritic über „Oppenheimer“

Rotten Tomatoes über „Oppenheimer“

Wikipedia über „Oppenheimer“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Christopher Nolans „Interstellar“ (Interstellar, USA/Großbritannien 2014)

Meine Besprechung von Christopher Nolans „Dunkirk“ (Dunkirk, USA/Frankreich/Großbritannien 2017)

Meine Besprechung von Christopher Nolans „Tenet“ (Tenet, USA 2020)

11 Responses to Neu im Kino/Filmkritik: Über Christopher Nolans „Oppenheimer“

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