Neu im Kino/Filmkritik: Über Margarethe von Trottas „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“

Manchmal läuft es dumm. Margarethe von Trotta drehte ihren Film über Ingeborg Bachmann im Frühjahr 2022. Im Mittelpunkt steht die Beziehung der Dichterin zu Max Frisch.

Zwischen dem Ende der Dreharbeiten und der Premiere auf der diesjährigen Berlinale im Wettbewerb wurde im November 2022 der bis dahin nicht veröffentllichten Briefwechsel zwischen Bachmann und Frisch veröffentlicht. Die Briefe werfen ein neues Licht auf die offene Beziehung zwischen den beiden Dichtern und sie widerlegten einige Legenden über diese Beziehung.

Damit war der Film als faktengetreuer Blick durch das Schlüsselloch schon vor der Premiere überholt. Insofern betrachtet man „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“ besser nicht als quasi-dokumentarisches Biopic, sondern als die Geschichte einer toxischen Liebesgeschichte, die in den späten fünfziger und sechziger Jahren im Künstlermilieu spielt und unnötig verschachtelt erzählt wird. Von Trotta springt nämlich hin und her zwischen Szenen, in denen Ingeborg Bachmann, von Alpträumen geplagt, im Krankenhaus behandelt wird, zurück zu ihrer vier Jahre dauernden Beziehung zu Max Frisch und zu einer Reise nach Ägypten, bei der sie von dem jüngeren Schriftsteller Adolf Opel begleitet wird.

Weil von Trotta Jahreszahlen nicht nennt, fällt es schwer, die einzelnen Rückblenden in eine chronologische Struktur einzuordnen. Das wäre wichtig, um zu wissen, an welchem Punkt ihrer Beziehung zu Max Frisch Ingeborg Bachmann gerade steht. Von Trotta stellt auch die verschiedenen prominenten Freunde von Ingeborg Bachmann namentlich nicht weiter vor. So erfahren wir erst im Abspann, dass der Pianist, den sie in Rom besucht und mit dem sie offen redet, nicht irgendein Pianist, sondern der Komponist Hans Werner Henze ist.

Die im Zentrum des Films stehende Beziehung zwischen Ingeborg Bachmann (1926 – 1973) und Max Frisch (1911 – 1991) dauerte von 1958 bis 1962. Sie beginnt mit einem Brief von ihm, in dem er schreibt, wie sehr ihn ihr Hörspiel „Der gute Gott von Manhattan“ beeindruckt hatte. Er lädt sie nach Paris zur Premiere von seinem Stück „Biedermann und der Brandstifter“ ein. Sie verlieben sich und beginnen eine offene Beziehung, die von beiden ausgenutzt wird.

Im Film sind die Rollen schnell und sehr eindeutig verteilt. Max Frisch (Ronald Zehrfeld) ist ein bräsiger, teils selbstmitleidiger Egomane, der die gesamte Aufmerksamkeit auf sich zieht und Ingeborg Bachmann (Vicky Krieps), von der er abhängig ist, mehr oder weniger subtil terrorisiert. Sie braucht Ruhe für ihre dichterische Arbeit. Er hämmert seine Texte auf einer Schreibmaschine, die durch das gesamte Haus donnert. Er kann, weil er glaubt, in ihrem Schatten zu stehen, ihren Erfolg als Dichterin nicht akzeptieren. Rücksichtslos treibt er die zarte Dichterin in den Wahnsinn und den Tod. So weit, so eindeutig und so langweilig und unglaubwürdig. Denn es ist nie nachvollziehbar, warum eine erfolgreiche, freiheitsliebende und auch selbstbewusste Dichterin sich von so einem uninteressanten Mann abhängig macht.

Es ist schon erstaunlich, dass von Trotta, die vor elf Jahren Leben und Denken von Hannah Arendt kongenial in den Griff bekam, hier so versagt. In „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“ erzählt sie nur, ziemlich verworren, eine Beziehungsgeschichte, die bei ihr weiter banalisiert wird.

Dabei zeigt schon ein Blick in den Wikipedia-Eintrag über Ingeborg Bachmann, dass ihr Leben die Grundlage für mindestens ein gutes Biopic ist. Dieser Film ist es nicht.

Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste (Schweiz, Österreich/Deutschland/Luxemburg 2023)

Regie: Margarethe von Trotta

Drehbuch: Margarethe von Trotta

mit Vicky Krieps, Ronald Zehrfeld, Tobias Resch, Basil Eidenbenz, Luna Wedler, Marc Limpach

Länge: 111 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“

Moviepilot über „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“

Rotten Tomatoes über „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“

Wikipedia über „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Margarethe von Trottas “Hannah Arendt” (Deutschland 2012; DVD-Besprechung)

Meine Besprechung von Margarethe von Trottas „Auf der Suche nach Ingmar Bergman (Deutschland 2018)

Meine Besprechung von Cuini Amelio Ortiz/Peter Altmanns Dokumentarfilm „Margarethe von Trotta – Zeit der Frauen“ (Italien/USA/Deutschland 2021)

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..