Neu im Kino/Filmkritik: Der Berlinale-Gewinner „Dahomey“

Letztes Jahr gewann der Dokumentarfilm „Auf der Adamant“ (Sur l’Adamant, Frankreich/Japan 2022) den Goldenen Bären, den Hauptpreis der Berlinale. Dieses Jahr gewann wieder ein Dokumentarfilm den Goldenen Bären. Und wieder fragte ich mich, vor und nach dem Ansehen des Gewinners, ob es wirklich keinen preiswürdigen Spielfilm im Wettbewerb gab.

Wie „Auf der Adamant“ behandelt auch „Dahomey“ ein wichtiges Thema. Nämlich den Umgang mit während der Kolonialzeit geraubten Kunstwerken und ihrer Rückgabe. Konkret geht es um die Rückgabe von 26 Kunstwerken aus dem Königreich Dahomey im November 2021 nach Benim. Im Gegensatz zu Nicolas Philiberts ausschließlich beobachtendem Dokumentarfilm gibt es in Mati Diops „Dahomey“ weitgehend beobachtendem Dokumentarfilm auch inszenierte Teile. Das ist offensichtlich, wenn eines der Kunstwerke über seine Gefühle redet. Bei der die zweite Hälfte des Films dominierenden Diskussion ist das nicht offensichtlich. In ihr sprechen junge Menschen verschiedene Aspekte des Themas an. Sie wurden für die Diskussion so gecastet, dass alle Aspekte des Themas angesprochen werden. Den Rest besorgt der Schnitt.

Dieses nicht im Film offen gelegte Vorgehen verstärkt die Probleme beobachtender Dokumentarfilme. Diese Spielart des Dokumentarfilms ist darauf angewiesen, dass irgendwann in einem Gespräch die zum Verständnis wichtigen Punkte angesprochen werden. Sonst bleiben, wie in „Dahomey“, nur Männer übrig, die sehr sorgfältig Gegenstände verpacken, die uns nichts sagen und über die wir im Film auch nichts substantielles erfahren. Dieses Einpacken zieht sich für den Zuschauer gefühlt endlos und ohne irgendeinen Informationsgewinn hin.

Bei der Diskussion wird dann vieles angesprochen, aber es ist während des Films vollkommen unklar, in welchem Rahmen sie stattfand. Also: war sie eine x-beliebige Diskussion unter zufällig anwesenden Studierenden, die sich für das Thema interessieren, oder handelte es sich um eine Art Bürgerrat, in dem die Anwesenden zu einer Entscheidung über den Umgang mit den zurückgegebenen Raubgütern kommen sollen? Es ist auch unklar, wie sehr ihre Diskussion Diskussionen innerhalb des Landes wiedergibt. Und ob bestimmte Behauptungen stimmen. Beispielsweise dass Frankreich nur 26 von 7000 aus Dahomey geklauten Kunstgegenständen zurückgegeben hat. Das hat die Qualität eines Elternabends, bei dem zufällig anwesend ist, keine der Eltern und keines der Kinder kennt und der ganzen Diskussion mäßig interessiert folgt. Es fehlt einfach jeder Rahmen, in dem man die einzelnen Beiträge bewerten kann.

Das gleiche gilt für eine im Film vor der Diskussion gezeigte wichtig aussehende Veranstaltung, zu der viele Menschen in bunten Kleidern kommen. Anscheinend handelt es sich um Feierlichkeiten zur Rückgabe der Schätze. Im Film es nicht gesagt und dahr könnte es genausogut irgendeine andere Feier oder ein normaler Sonntag in Benim sein.

Die Monologe von Figur 26 klingen wie der gefühlige, zunehmend prätentiöse Monolog eines Rückkehrers in seine alte Heimat, der darüber sinniert, was ihn dort erwartet. Zur Frage der Restitution afrikanischer Kulturgüter hat sie nichts zu sagen.

So zieht sich „Dahomey“ trotz seiner extrem kurzen Laufzeit von 71 Minuten gefühlt ewig und ohne großen Erkenntnisgewinn hin.

Das wichtige Thema der Restitution während der Kolonialzeit gestohlener Kulturgüter und iihrer Rückgabe hätte einen deutlich besseren Film verdient. Ich meine damit einen Film, bei dem man nach den Ansehen des Films schlauer als vor dem Ansehen des Films ist. „Dahomey“ fühlt sich dagegen wie ein Heft voller selbstgestellter Aufgaben und Fragen an. Teilweise sind es grundlegende Fragen, wie „Was wurde damals mitgenommen?“ und „Wie verlief die bisherige Diskussion?“, teilweise philosophischere Fragen, wie „Sollen die Gegenstände zurückgegeben werden?“, und teilweise ganz praktische Fragen, wie „An wen sollen sie zurückgegeben werden?“. Die Nachkommen der damaligen Besitzer oder die Rechtsnachfolger oder jemand anderes? Und dann stellt sich die Frage, was in den Ländern mit ihnen geschehen soll.

Im Gegensatz zu „Auf der Adamant“, wo ich in meiner Besprechung des Films auch über die Hintergründe des porträtierten Projekts schrieb und so Informationen zum Verständnis des Gezeigten lieferte, die der Film nicht liefert, habe ich jetzt nicht die Lust und das Wissen zu einem vertieften Essay über den Kolonialismus, das damalige Königreich Dahomey (in dem auch der Historienspielfilm „The Woman King“ spielt), das heutige Benin, die Diskussion über die Rückgabe von Raubkunst in Benim und Frankreich und wie sich die französische Diskussion von der deutschen Diskussion unterscheidet.

Dahomey (Dahomey, Frankreich/Senegal/Benin 2024)

Regie: Mati Diop

Drehbuch: Mati Diop

Länge: 71 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Dahomey“

AlloCiné über „Dahomey“

Metacritic über „Dahomey“

Rotten Tomatoes über „Dahomey“

Wikipedia über „Dahomey“ (deutsch, englisch, französisch)

Berlinale über „Dahomey“

One Response to Neu im Kino/Filmkritik: Der Berlinale-Gewinner „Dahomey“

  1. […] DAHOMEY (France, Senegal), directed by Mati Diop, produced by Eve Robin, Judith Lou-Lévy & Mati Diop […]

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