Neu im Kino/Filmkritik: Über James Mangolds Bob-Dylan-Biopic „Like a Complete Unknown“

Als Bob Dylan (Timothée Chalamet) im Januar 1961 in New York ankommt, wartet niemand auf ihn. Er ist nur ein weiterer junger Mann mit einer Gitarre und dem Wunsch als Folk-Musiker Geld zu verdienen.

Wahnsinnig schnell steigt er, mit ein wenig väterlicher Hilfe von Pete Seeger (Edward Norton), den er am Krankenbett von seinem Idol Woody Guthrie trifft, zum Star und zur Stimme einer Generation auf.

Fünf Jahre später wagt er den Bruch mit der Folk-Szene. Er stöpselt seine Gitarre ein – und der Rest ist Rockgeschichte.

James Mangold der Regisseur des Johnny-Cash-Biopics „Walk the Line“, beschäftigt sich in seinem neuesten Film „Like a Complete Unknown“ mit diesen fünf entscheidenden Jahren in Bob Dylans Karriere. In diesen Jahren legte er das Fundament. Er schrieb viele Songs, die heute immer noch fest im kollektiven Gedächtnis verhaftet sind. Er elektrifizierte, mit einigen begnadeten Begleitmusikern, die Folkmusik zum Folkrock. Es ist auch eine Zeit, die musikhistorisch gut aufgearbeitet ist. Genannt seien hier, neben zahlreichen Büchern und Reportagen, Martin Scorseses vorzüglicher Dokumentarfilm „No Direction Home“, der sich ebenfalls mit diesen Jahren in Bob Dylans Leben beschäftigt, und die vielen CDs in Dylans „The Bootleg Series“, die sich intensiv mit diesen Jahren beschäftigen und bei Fans immer wieder für Erstaunen sorgen. Denn gerade wenn man glaubt, auch wirklich den allerletzten Alternate Take eines Songs gehört zu haben, veröffentlicht Dylan einen weiteren Alternate Take.

Über Dylans Privatleben ist weniger bekannt, was auch daran liegt, dass in Musikzeitschriften, LP-Kritiken und Dokumentarfilmen sich auf das Werk und damit zusammenhängende Äußerungen des Künstlers konzentriert wird. In einem Spielfilm ist das dann anders. Entsprechend großen Raum nehmen Dylans Beziehung zur Folk-Ikone Joan Baez (Monica Barbaro) und zu Suze Rotolo ein. Im Film heißt die politische Aktivistin und Friedenskämpferin Sylvie Russo (Elle Fanning). Beide animierten Dylan zu mehr politischen Liedern. Ein klassischer Polit-Sänger wurde er nie und er benimmt sich ihnen gegenüber immer wieder, wie Mangold in seinem Biopic zeigt, wie ein Arschloch. Seine erste Ehefrau, Sara Lownds, die er 1965 heiratete, wird im Film nicht erwähnt.

James Mangold stellt diese Zeit detailgetrau nach. Bei den Fakten nimmt er sich Freiheiten, die Dylan-Fans teilweise die Wände hochlaufen lassen. Salopp gesagt: die Gitarre stimmt, die Frisur stimmt, die Kleider stimmen, wahrscheinlich stimmt sogar Dylans Unterhose, die Lampe im Hintergrund sowieso, aber dann singt Dylan sein großes Liebeslied vor der falschen Frau oder zum falschen Zeitpunkt. „Like a complete unknown“ ist wahrlich kein verfilmter Wikipedia-Artikel, sondern ein Dylan-Biopic, das ein Gefühl von Dylans Aura vermitteln will und ihn als jungen, von Erfolg zu Erfolg eilenden Künstler zeigt, während Timothée Chalamet die unkaputtbaren Songs von Bob Dylan spielt.

Like a complete unknown“ kann daher gut als Startpunkt für weitere Dylan-Studien verwendet werden. Außerdem hat Bob Dylan, geboren 1941 als Robert Allen Zimmerman in Duluth, Minnesota, schon am Beginn seiner Karriere einer guten Geschichte immer den Vorzug gegenüber der historischen Wahrheit gegeben.

Der Film selbst wirkt dabei immer wie der Besuch in einem Museum. Es ist informativ und kurzweilig in seiner Mischung aus Information und Musik. Vieles wird angesprochen, aber nie aus einer bestimmten Perspektive, sondern nüchtern-objektiv wie ein Text in einer Ausstellung, in dem dann steht, dass Dylan 1965 in Newport nicht mit der im Folk akzeptierten Akustikgitarre, sondern mit einer E-Gitarre auftrat und er von einer Rockband begleitet wurde. Teile des Publikums buhten über diesen Verrat an der Folkmusik. Dieser Auftritt bildet den Höhepunkt und das krachende Finale des Biopics. Die Songs funktionieren, das um den Auftritt ausbrechende Chaos verfolgt man eher ungerührt, weil einerseits an der Mythenbildung weitergearbeitet wird und andererseits nicht wirklich erfahrbar gemacht wird, wie groß der Bruch mit damaligen Folk-Szene war.

Like a complete unkown“ bleibt in diesem Moment, wie während des gesamten Films, an der glänzenden Oberfläche, die nichts von den Leiden und Selbstzweifeln eines Künstlers verrät. Dylan tut, was Dylan tun muss. Die Folk-Szene und seine Beziehungen bleiben der folkloristische Hintergrund für ikonische Bilder. Das ist nie wirklich schlecht und immer gut gemacht, aber auch nie wirklich befriedigend.

Wer mehr über die damalige Folk-Szene und deren Innenleben erfahren möchte, sollte sich „Inside Llewlyn Davis“ ansehen. Der Film der Coen-Brüder endet mit der Ankunft von Dylan in Greenwich Village. Trotzdem ist es der bessere Film über Bob Dylan, die damalige Folk-Szene und die inneren und äußeren Kämpfe eines Musikers. Und dann gibt es noch Martin Scorseses bereits erwähnten Dokumentarfilm „No Direction Home“ über diese erste Schaffensphase in dem an Irrungen, Wirrungen, Ab- und Umwegen reichen Werk von Bob Dylan und seinen Erforschungen der amerikanischen Seele.

Like a complete unknown (A complete unknown, USA 2024)

Regie: James Mangold

Drehbuch: James Mangold, Jay Cocks

LV: Elijah Wald: Dylan Goes Electric!, 2015

mit Timothée Chalamet, Edward Norton, Elle Fanning, Monica Barbaro, Boyd Holbrook, Dan Fogler, Norbert Leo Butz, Scott McNairy

Länge: 142 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Like a complete unknown“

Metacritic über „Like a complete unknown“

Rotten Tomatoes über „Like a complete unknown“

Wikipedia über „Like a complete unknown“ (deutsch, englisch) und Bob Dylan (deutsch, englisch)

AllMusic über Bob Dylan

Homepage von Bob Dylan

Meine Besprechung von James Mangolds “Wolverine – Weg des Kriegers” (The Wolverine, USA 2013)

Meine Besprechung von James Mangolds „Logan – The Wolverine“ (Logan, USA 2017)

Meine Besprechung von James Mangolds „Le Mans 66: Gegen jede Chance“ (Ford v Ferrari, USA 2019)

Meine Besprechung von James Mangolds „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ (Indiana Jones and the Dial of Destiny, USA 2023)

2 Responses to Neu im Kino/Filmkritik: Über James Mangolds Bob-Dylan-Biopic „Like a Complete Unknown“

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