„Vergeltung hat ihren Preis“ – fast das Ende für „The Boys“

Dass Superhelden nicht immer die freundlichen Helfer aus der Nachbarschaft sind, konnte man sich schon bei einigen normalen Superheldencomics denken. Wenn der Held bei seiner Verbrecherjagd mal wieder eine halbe Stadt zerstört und dabei, außerhalb der Bilder, auch etliche Einwohner tötet, kommt das bei den Betroffenen und ihren Freunden und Bekannten nicht gut an. Und das mit großer Macht große Verantwortung komme, stimmt zwar, aber es heißt nicht, dass Menschen mit großer Macht auch verantwortungsvoll mit dieser Macht umgehen. Wahrscheinlich eher nicht.

Jedenfalls ging Garth Ennis von dieser Idee aus, als er 2006 zusammen mit Zeichner Darik Robertson seine erfolgreiche Superheldenserie „The Boys“ startete. In der Comicserie sind Superhelden eine Bande präpotenter Teenager, die bei ihren unverantwortlichen, nicht durchdachten und normalerweise aus dem Ruder laufenden Aktionen nur Unheil anrichten. Ihre Fähigkeiten erhielten sie von dem Konzern Vought-American, der seit Ewigkeiten für das US-Militär arbeitet und ihm ihre Fehlschläge als Erfolge verkaufte. Seit längerem sorgen lukrative Werbeverträge für Einnahmen und ein positives Image in der Öffentlichkeit.

Gegen diese Superhelden kämpfen, im Auftrag der CIA, Billy Butcher und sein grenzwertiges Team „The Boys“. Sie verstehen ihre Aufgabe als Freischein, ab und an Superhelden zu verprügeln.

Ende 2012 endetete die von Ennis und Robertson erfundene Comicserie mit dem 72. Heft. In dem jetzt erschienenen sechsten Sammelband sind die Hefte 60 bis 72 enthalten.

Die ersten Seiten versprechen dann auch einen zünftigen, sich über den gesamten Sammelband von über dreihundert Seiten erstreckenden Showdown. Nachdem vorher immer wieder unklar war, wohn sich die Geschichte entwickeln könnte, stellen sich jetzt Homelander und seine Superhelden gegen die US-Regierung. Sie besetzten das Weiße Haus.

In dem Moment erhält Billy Butcher die Erlaubnis, die Supies zu eliminieren. Er kann also endlich tun, was er schon seit Ewigkeiten tun möchte. Er darf dabei auch nach eigenem Ermessen Gewalt anwenden. Es wird sehr blutig und, wie der Titel des Sammelbandes verrät, emotional. Denn „Vergeltung hat ihren Preis“.

Dieses Ende der Boys wirkt eher pflichtschuldig als inspiriert. Lose Fäden werden zusammengefügt, aber so richtig überzeugend oder überraschend ist nichts. Auch die Idee, dass die Superhelden ein Produkt der Zusammenarbeit von Privatwirtschaft und Militär, dem Militärisch-Industriellen-Komplex (MIK), sind, ist hier mehr eine für etwas Amüsement sorgende Idee als eine Negativutopie oder eine Zustandsbeschreibung der damaligen US-Außenpoltiik nach 9/11.

Im Gegensatz zu Brian Azzarello und Eduardo Risso, die ab 1999 in „100 Bullets“, oder zu James Ellroy, der ab 1996 in seiner „Underworld USA“-Trilogie (und seinen anderen Romanen), eine alternative Geschichte der USA schrieben, interessieren Ennis und Robertson sich nicht für irgendwelche groß angelegten Verschwörungstheorien. Sie wollen nur die Superheldenmythologie als eine einzige große Lüge entlarven. Das gelingt ihnen bereits in den ersten Heften. Einige sich über mehrere Geschichten erstreckenden Einzelgeschichten, wie das Treiben der Supies bei ihrem Herogasm (dagegen ist Spring Break ein harmloser Kindergarten), bestätigten die Prämisse gelungen.

Trotzdem bleibt nach 72 Heften die Erkenntnis, dass „The Boys“ niemals das Potential seier Prämisse vollständig ausschöpft. Es bleibt bei der immer wieder nicht jugendfreien und oft sehr brutalen Demystifizierung des Superheldentums.

Nach dem Ende der Serie erschien 2020, begleitend zur Streaming-Adaption des Comics, der auf 8 Hefte beschränkte Nachschlag „Dear Becky“. Die deutsche Neuausgabe ist für Ende des Monats angekündigt.

Garth Ennis/Darick Robertson: The Boys – Vergeltung hat ihren Preis (Band 6)

(übersetzt von Bernd Kronsbein)

Panini, 2025

330 Seiten

17 Euro

Originalausgabe/enthält

Over the Hill with the Swords of a Thousand Men

The Boys (2006) # 60 – 65

November 2011 – April 2012

The Bloody Doors off

The Boys (2006) # 66 – 71

Mai 2012 – Oktober 2012

You found Me

The Boys (2006) # 72

November 2012

Hinweise

Wikipedia über „The Boys“ (deutsch, englisch) und über Garth Ennis (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Garth Ennis/Will Simpson/Steve Dillons “Hellblazer – Gefährliche Laster” (Dangerous Habits, 1991)

Meine Besprechung von Garth Ennis (Autor)/Leandro Fernandez (Zeichner) „The Punisher – Garth Ennis Collection 7“ (Up is Down and Black is White, The Slavers, 2005/2006)

Meine Besprechung von Garth Ennis/Goran Parlov/Leandro Fernandezs “The Punisher – Garth-Ennis-Collection 8″ (Barracuda, Part 1 – 6 (Punisher [MAX] 31 – 36), Man of Stone, Part 1 – 6 (Punisher [MAX] 37 – 42), 2006/2007)

Meine Besprechung von Garth Ennis‘ „The Punisher – Garth-Ennis-Collection 9“ (Widowmaker, Part 1 – 7 [Punisher (MAX) Vol. 43 – 49], Long Cold Dark, Part 1 – 5 [Punisher (MAX) Vol 50 – 54], 2007/2008)

Meine Besprechung von Garth Ennis‘ „The Punisher – Garth-Ennis-Collection 10“ (Valley Forge, Valley Forge, Part 1 – 6 [Punisher (MAX) Vol. 55 – 60], 2008)

Meine Besprechung von Garth Ennis (Autor)/Adriano Batista/Marcos Marz/Kewber Baal (Zeichner) „Jennifer Blood – Selbst ist die Frau (Band 1)“ (Garth Ennis’ Jennifer Blood: A Woman’s Work is Never Done, 2012)

Meine Besprechung von Garth Ennis und Mike Wolfers „Stitched: Die lebenden Toten“ (Band 1) (Stitched # 1 – 7, 2011/2012)

Meine Besprechung von Garth Ennis/John McCreas „Dicks – Band 1“ (Dicks # 1 – 4, 2013)

Meine Besprechung von Garth Ennis‘ „Crossed – Monster Edition“ (enthält „Crossed“ und „Crossed Band 2: Familienbande“)

Meine Besprechung von Garth Ennis/Steve Dillons „The Punisher: Frank ist zurück“ (The Punisher # 1 – 12, 2000/2001)

Meine Besprechung von Garth Ennis/Goran Sudzukas „A Walk through Hell: Das verlassene Lagerhaus (Band 1)“ (A Walk through Hell # 1 – 5, 2018)

Meine Besprechung von Garth Ennis/Goran Sudzukas „A Walk through Hell: Die Kathedrale (Band 2)“ (A Walk through Hell # 6 -12, 2019)

Meine Besprechung von Garth Ennis/Russ Brauns „Jimmys Bastarde: Getriggert (Band 1)“ (Jimmy’s Bastards Volume 1: Trigger Warning, 2018)

Meine Besprechung von Garth Ennis//Russ Brauns „Jimmys Bastarde: Wie war das?! (Band 2)“ (Jimmy’s Bastards Volume 2: What did you just say?, 2018)

Meine Besprechung von Garth Ennis/Jacen Burrows‘ „Punisher: Mission Fury“ (Get Fury (2024) # 1- 6, Juli 2024 – Dezember 2024)

Meine Besprechung von Garth Ennis/Darick Robertsons „The Boys 1: Das wird sehr weh tun“ (The Boys (2006) # 1 – 14, Oktober 2006 – Januar 2008)

Meine Besprechung von Garth Ennis/Darick Robertsons „The Boys 2: Es wird blutig“(The Boys (2006) # 15 – 30, Februar 2008 – Mai 2009)

Meine Besprechung von Garth Ennis/Darick Robertsons „The Boys 3: Sagen wir mal so“ (The Boys: Herogasm (2009) # 1 – 6; The Boys (2006) # 31 – 38, Mai 2009 – Januar 2010)

Meine Besprechung von Garth Ennis/Darick Robertsons „The Boys 4: Nimm’s nicht so schwer“ (The Boys (2006) # 39 – 47, Highland Laddie (2010) # 1 – 6, Februar 2010 – Januar 2011)

Meine Besprechung von Gareth Ennis/Darick Robertsons „The Boys 5: Der Sohn des Bäckers“ (The Boys (2006) # 48 – 59, The Boys: Butcher, Baker, Candlestickmaker (2011) # 1 – 6, November 2010 – Dezember 2011)

One Response to „Vergeltung hat ihren Preis“ – fast das Ende für „The Boys“

  1. […] Als Amazon Prime Video am 26. Juli 2019 die erste Staffel ihrer auf den Comics basierenden Streamingserie „The Boys“ veröffentlichte, schrieb Garth Ennis so etwas wie einen ausführlichen, acht Hefte umfassenden Epilog. Russ Braun zeichnete die auf mehreren Zeitebenen spielende Geschichte, die zwölf Jahren nach dem Ende der Superhelden spielt (nachzulesen in dem „The Boys“-Sammelband „Vergeltung hat ihren Preis“). […]

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