Sechs Jahre sind seit seinem letzten Film vergangen. Das war 2017 die Flüchtlingsgeschichte „Die andere Seite der Hoffnung“. Aber gleich mit den ersten präzise arrangierten Bildern und den ersten lakonischen Sätzen ist das alte Aki-Kaurismäki-Gefühl wieder da. Das sind die Bilder, die Sets, die Dialoge, der lakonische Humor, die Rocksongs und, auch wenn wir dieses Mal auf seine altbekannte Stammschauspieler verzichten müssen, die Gesichter, die es nur in einem Film von Aki Kaurismäki gibt.
Die Geschichte kann mühelos als Nachtrag oder Fortsetzung seiner proletarischen Trilogie gesehen werden. Sie entstand in den Achtzigern und besteht aus „Schatten im Paradies“ (1986), „Ariel“ (1988) und „Das Mädchen in der Streichholzfabrik“ (1989).
Im Mittelpunkt von „Fallende Blätter“ stehen die Verkäuferin Ansa (Alma Pöysti) und der Arbeiter Holappa (Jussi Vatanen). Beide sind einsam und ohne Perspektive. Beide leben in Helsinki einfach vor sich hin. Sie in einer dieser spärlich ausgestatteten Retro-Fünfziger-Jahre-Wohnungen, die es so nur im Film oder, seit einigen Jahren, im Museum gibt. Er in einem Mehrbettzimmer in einer abgeranzten Gemeinschaftsunterkunft für herumziehende Arbeiter. Sie wird beim Klauen von abgelaufenen Lebensmitteln erwischt und entlassen. Als nächstes arbeitet sie in einem Lokal als Tellerwäscherin. Bis ihr Chef verhaftet wird und sie wieder auf Arbeitssuche ist.
Erstmals treffen sich Ansa und Holappa während eines Karaoke-Abends. Sie verrät ihm nicht ihren Namen, schreibt ihm aber ihre Telefonnummer auf. Er verliert den Zettel sofort. Sie begegnen sich später wieder und während eines romantischen Abends im Kino – sie sehen sich Jim Jarmuschs „The Dead don’t die“ an – verlieben sie sich. Trotzdem setzt sich das Problem mit dem Nicht-Kennen ihrer Namen fort. Außerdem will sie keine Beziehung mit einem Alkoholiker beginnen. Und das ist Holappa unbestreitbar.
Kaurismäki erzählt die Geschichte von Ansa und Holappa in schlanken achtzig Minuten. Trotzdem fühlt sich der Film länger an. Jede Szene, jedes Bild wird zelebriert. Alma Pöysti muss gefühlt bewegungslos mehrere Minuten aus dem Fenster in die Nacht starren und auf ihren Freund warten. Bei einem Karaoke-Abend werden mehrere Songs ausgespielt, während die Story mal wieder pausiert und wir darüber nachdenken können, wie sehr die Figuren aus der Zeit gefallen sind. Denn die Geschichte spielt in der Gegenwart. Wenn Ansa ihr Radio einschaltet, hört sie Nachrichten über den Ukraine-Krieg und den Kampf um die belagerte ukrainische Stadt Mariupol. Diese Nachrichten sind ein für ihr Leben unwichtiges Hintergrundrauschen. Im Film stören sie, weil sie nichts zur Geschichte beitragen. Sie wirken wie ein unbeholfener und vollkommen überflüssiger Versuch, dem Film eine aktuelle Relevanz, eine Verortung in der Gegenwart, zu verleihen.
In „Fallende Blätter“ präsentiert Kaurismäki in Slow Motion wieder einmal, sorgfältig für die Nachwelt kuratiert, seine Welt, die schon lange nichts mehr mit der Gegenwart und aktuellen Diskussionen zu tun hat. Bei ihm verstehen die Männer ein „Rauchen verboten“-Schild als eine Aufforderung, sich die nächste Zigarette anzuzünden. Schnaps wird wie Wasser getrunken und es wird viel geschwiegen.

Fallende Blätter (Kuolleet Lehdet, Finnland/Deutschland 2023)
Regie: Aki Kaurismäki
Drehbuch: Aki Kaurismäki
mit Alma Pöysti, Jussi Vatanen, Janne Hyytiäinen, Nuppu Koivu
Länge: 81 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
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Hinweise
Filmportal über „Fallende Blätter“
Moviepilot über „Fallende Blätter
Metacritic über „Fallende Blatter“
Rotten Tomatoes über „Fallende Blätter“
Wikipedia über „Fallende Blätter“ (deutsch, englisch)
Deutsche Homepage von Aki Kaurismäki (Pandora Filmverleih)
Meine Besprechung von Aki Kaurismäkis „Le Havre“ (Le Havre, Finnland/Frankreich/Deutschland 2011)
Veröffentlicht von AxelB 
