TV-Tipp für den 31. Mai: Rainer-Werner-Fassbinder-Abend mit „Angst essen Seele auf“, „Katzelmacher“ und „Despair – Eine Reise ins Licht“ – und ein Buchhinweis

Mai 31, 2020

75 Jahre wäre Rainer Werner Fassbinder heute geworden, wenn er nicht bereits, mit 37 Jahren, am 10. Juni 1982 überraschend gestorben wäre. Bis zu seinem Tod legte er in wenigen Jahren ein in seiner Quantität (über vierzig Filme, etliche Hörspiele, Theaterstücke und Inszenierungen) und Qualität – er ist unbestritten einer der wichtigsten deutschen Regisseure – beeindruckendes Werk vor.

Dieser Geburtstag wäre für die TV-Sender eine gute Gelegenheit, einmal so richtig tief in den Archiven zu wühlen und eine umfassende und werkkritische Retrospektive zu präsentieren. Also nicht nur die allseits bekannten und kanonisierten Meisterwerke, sondern auch die selten gezeigten Filme zeigen und diese Filme um einige klug gewählte Dokumentationen über Rainer Werner Fassbinder ergänzen.

Diese Aufgabe bleibt, wie schon bei Ingmar Bergman, bei Tele 5 hängen, der heute mit drei gut gewählten Fassbinder-Filmen einen Einblick in sein Werk liefern.

Tele 5, 20.15

Angst essen Seele auf (Deutschland 1973)

Regie: Rainer Werner Fassbinder

Drehbuch: Rainer Werner Fassbinder

Eine verwitwete Putzfrau verliebt sich in einen deutlich jüngeren marokkanischen Gastarbeiter.

Gleich mehrere Tabus brechendes, von Douglas Sirk inspiriertes Drama. Einer von RWFs bekanntesten und beliebtesten Filme.

Mit Brigitte Mira, El Hedi ben Salem, Barbara Valentin, Irm Hermann, Rainer Werner Fassbinder, Karl Scheydt, Walter Sedlemayr, Marquard Bohm, Hark Bohm, Liselotte Eder

Wiederholung: Montag, 1. Juni, 02.30 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Angst essen Seele auf“

Wikipedia über „Angst essen Seele auf“ (deutsch, englisch)

Tele 5, 22.10

Katzelmacher (Deutschland 1969)

Regie: Rainer Werner Fassbinder

Drehbuch: Rainer Werner Fassbinder (nach seinem Bühnenstück)

Fassbinders zweiter Spielfilm: eine deprimierende Milieustudie: ein griechischer Gastarbeiter trifft eine Münchner Clique. Die Mädchen finden ihn attraktiv. Die Männer wollen ihn loswerden.

Katzelmacher ist ein bayerisches Schimpfwort für aus dem Süden kommende Gastarbeiter, die deutschen Frauen Kinder machen.

mit Hanna Schygulla, Lilith Ungerer, Elga Sorbas, Doris Mattes, Rainer Werner Fassbinder, Harry Baer, Irm Hermann

Wiederholung: Dienstag, 2. Juni, 03.55 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Katzelmacher“

Wikipedia über „Katzelmacher“ (deutsch, englisch)

Tele 5, 00.00

Despair – Eine Reise ins Licht (Deutschland/Frankreich 1978)

Regie: Rainer Werner Fassbinder

Drehbuch: Tom Stoppard

LV: Vladimir Nabokov: Otchayanie, 1934 (englischer Titel: Despair) (Verzweiflung)

Berlin, zwanziger Jahre: ein Schokoladenfabrikant (Dirk Bogarde) will vor seinen Problemen flüchten. Ein Doppelgänger (Klaus Löwitsch) soll ihm dabei helfen.

Fassbinders erste internationale Produktion, die in Artikeln über RWF normalerweise übergangen wird, zur DVD-Veröffentlichung gelobt wurde und, weil sie im Fernsehen ungefähr nie gezeigt wird, fast unbekannt ist.

Mit Dirk Bogarde, Andrea Ferréol, Volker Spengler, Klaus Löwitsch, Alexander Allerson, Bernhard Wicki, Peter Kern, Gottfried John, Adrian Hoven, Roger Fritz, Hark Bohm, Y Sa Lo, Ingrid Caven, Liselotte Eder

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Despair – Eine Reise ins Licht“

Wikipedia über „Despair – Eine Reise ins Licht“ (deutsch, englisch)

Buchhinweis

Auch auf dem Buchmarkt scheint der 75. Geburtstag von RWF auf kein größeres Interesse zu stoßen. Es gibt nur den von Werner C. Barg und Michael Töteberg herausgegebenen Sammelband „Rainer Werner Fassbinder Transmedial“. Die Aufsätze des Buches beruhen, bis auf einen Text, auf zwei Uni-Veranstaltungen, nämlich einer 2017 stattgefundenen Tagung und einer 2018 stattgefundenen Workshopreihe

In dem Buch geht es um die unbekannten Arbeiten von RWF und wie er zwischen Theater, Hörspiel, Spielfilm, TV-Filmen unterschiedlicher Länge und TV-Serien seinen Stil änderte. So plante er bei seiner Döblin-Verfilmung „Berlin Alexanderplatz“ neben der TV-Serie einen Spielfilm. Dabei folgte er nicht dem bekannt-beliebten Hybrid-Modell, in dem der Kinofilm eine kürzere Fassung der TV-Miniserie ist, wie in Wolfgang Petersens „Das Boot“. RWF plante eine konventionelle TV-Serie und einen experimentellen Spielfilm. Letztendlich wurde nichts aus dem Spielfilm, aber der letzte Teil der durchgehend nicht besonders konventionellen TV-Serie, war dann der zweistündige sehr experimentelle Epilog „Mein Traum vom Traum des Franz Biberkopf“.

Werner C. Barg/Michael Töteberg (Hrsg.): Rainer Werner Fassbinder Transmedial

Schüren, 2020

224 Seiten

24,90 Euro

Hinweise

Wikipedia über Rainer Werner Fassbinder

Homepage der Rainer-Werner-Fassbinder-Foundation

Meine Besprechung von Annekatrin Hendels Doku „Fassbinder“ (Deutschland 2015)

Rainer Werner Fassbinder in der Kriminalakte

 


DVD-Kritik: Für „Fräuleins in Uniform“ ist der Krieg ein Spaß

Mai 7, 2014

Wir nehmen junge Frauen, gerne nackt, Nazi-Uniformen, Sex, Gewalt, viele Explosionen, Nazi-Symbole und -Plakate – und fertig ist der Film, der als „Fräuleins in Uniform“ oder „Eine Armee Gretchen“ vor über vierzig Jahren in die Kinos kam und weil er von Erwin C. Dietrich produziert wurde, der dieses Mal auch das Drehbuch schrieb und Regie führte, zielt er auf die primären Wünsche eines eher jugendlichen Publikums, das vor allem an nackten Tatsachen interessiert ist. Die gibt es – aus heutiger Perspektive – in eher überschaubaren Dimensionen mit einer deutlichen Konzentration auf nackte weibliche Oberkörper.
Daneben reiht der Film lieblos einige Episoden aus dem Leben der Blitzmädel aneinander, als sei der Krieg ein Aufenthalt im Landschulheim, bei dem es nur um Sex geht und dazwischen, ab und an, ein fröhliches „Heil Hitler“ geschmettert wird; – was subversiv sein könnte, wenn es nicht einfach so furchtbar gedankenlos wäre.
Es wurde auch keine Sekunde an so etwas wie Charakterentwicklung oder Dramaturgie gedacht. Entsprechend egal sind einem einem alle Charaktere und wer glaubt, irgendetwas über den Zweiten Weltkrieg zu erfahren, der ist definitiv im falschen Film. Sogar die Erinnerungen des Großvaters an den Krieg sind da tiefgründiger, strukturierter und auch kritischer.
Am Kassenerfolg änderte das nichts. Als „She-Devils of the S.S.“ lief der Film auch in den USA und, unter verschiedenen anderen Titeln, in unseren Nachbarländern. Damals war das Nazi-Exploitation- und Woman-in-Prison-Genre (wozu „Fräuleins in Uniform“ nur ganz am Rand gehört) ein an der Kinokasse erfolgreiches Subgenre innerhalb des Sexploitation-Genres. Was auch daran lag, dass die Filme für ein Butterbrot gedreht wurden und teilweise unter verschiedenen Titeln mit neuen vielversprechenden Plakaten in die Kinos kamen.
„Fräuleins in Uniform“ ist da mit einem Budget von einer Millionen DM, so Produzent Erwin C. Dietrich im Audiokommentar, sogar ungewöhnlich teuer geraten, was sich vor allem in den in Jugoslawien gedrehten Kampfszenen, mit einem Flugzeug und drei Panzern, vielen Statisten und Explosionen bis zum Abwinken, zeigt.
Außerdem war der Film, streng historisch betrachtet, vor den Nazi-Exploitation-Filmen im Kino. Er ist ein fast schon unschuldiger Vorläufer von wesentlich geschmackloseren Filmen, wie zum Beispiel Jess Francos von Dietrich produzierten Filme „Ilsa, the Mad Butcher“ oder „Frauen für Zellenblock 9“. „Fräuleins in Uniform“ ist dagegen ein verfilmtes Landserheft mit willigen Mädchen, Nazi-Symbolen und verklärten „Schön war die Zeit“-Kriegserinnerungen.
Georg Seeßlen schreibt in „Quentin Tarantino gegen die Nazis“ zu dem Werk, das er als einen Nachzügler des italienischen Trash-Kriegsfilms sieht: „Das Ganze wurde mehr oder weniger einhellig als die größte Geschmacksentgleisung des Genres jenseits des Nazi-Pornos gewertet.“
Als Film kann man „Fräuleins in Uniform“ getrost vergessen, aber das Bonusmaterial auf der jetzt erschienenen DVD (und Blu-ray) ist gelungen. Es gibt eine Bildergalerie, die noch einmal zeigt, mit welchen nackten Tatsachen der Film verkauft wurde, den Trailer, ein aktuelles Interview mit Birgit Bergen (kein Kommentar) und einen im Oktober 2013 aufgenommenen, durchaus informativen, vollkommen unkritischen, aber filmhistorisch interessanten Audiokommentar mit dem inzwischen 83-jährigem Erwin C. Dietrich und Filmhistoriker Uwe Huber, in dem man einige Hintergründe über die Dreharbeiten, den Verbleib der Darsteller und die Arbeit in Dietrichs Produktionsfirma, die damals zuverlässig mit Exploitation-Filmen die Kinos bediente, erfährt.

Fräuleins in Uniform - DVD

Fräuleins in Uniform (Schweiz 1973)
Regie: Erwin C. Dietrich
Drehbuch: Erwin C. Dietrich, Christine Lembach (Dialoge)
LV: Karl-Heinz Helms-Liesenhoff: Eine Armee Gretchen, 1948
mit Renate Kasche, Carl Möhner, Helmut Förnbacher, Alexander Allerson, Birgit Bergen
auch bekannt als „Eine Armee Gretchen“, „Eine Armee nackter Gretchen“, „Blitzmädchen an die Front“ und „Strafkommando Ost“

DVD
Ascot Elite (Cinema Treasures)
Bild: 1,85:1 (16:9)
Ton: Deutsch (Dolby Digital 2.0), Englisch, Italienisch, Französisch (DD 2.0 Mono)
Untertitel: –
Bonusmaterial: Audiokommentar mit Erwin C. Dietrich und Filmhistoriker Uwe Huber, Interview mit Darstellerin Birgit Bergen, Bildergalerie, Trailer, Wendecover
Länge: 96 Minuten
FSK: ab 18 Jahre

Das Werk ist auch auf Blu-ray erhältlich.

Hinweise

Homepage von/über Erwin C. Dietrich (schon etwas älter, aber mit vielen Bildern)

Wikipedia über Erwin C. Dietrich

Mundo Stumpo: Interview mit Erwin C. Dietrich (2003 – für die deutsche Fassung runterscrollen)