TV-Tipp für den 12. Juni: Das Leben meiner Tochter

Juni 11, 2020

Arte, 20.15

Das Leben meiner Tochter (Deutschland 2019)

Regie: Steffen Weinert

Drehbuch: Steffen Weinert

Die achtjährige Jana hat einen tödlichen Herzfehler. Als nach langem Warten immer noch kein Spenderherz verfügbar ist und Janas Überlebenschancen beständig kleiner werden, bittet Janas Vater Micha illegale Organhändlern um Hilfe.

TV-Premiere. „Das Leben meiner Tochter“ ist ein ambitioniertes Fernsehspiel, das deutlich unter den Möglichkeiten des Themas bleibt.

Ähnlich urteilt das Lexikon des internationalen Films: „zielt (…) etwas zu offensichtlich auf das gesellschaftlich strittige Thema der Organspende und tendiert dadurch eher zum formelhaften Aufklärungsfilm.“

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Christoph Bach, Maggie Valentina Salomon, Alwara Höfels, Barbara Philipp, André M. Hennicke, Marc Zwinz, Erik Madsen, Birge Schade

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Das Leben meiner Tochter“

Moviepilot über „Das Leben meiner Tochter“

Meine Besprechung von Steffen Weinerts „Das Leben meiner Tochter“ (Deutschland 2019)


Neu im Kino/Buch- und Filmkritik: Über Stefan Ruzowitzkys Herman-Hesse-Verfilmung „Narziss und Goldmund“

März 12, 2020

Laut der IMDB ist „Narziss und Goldmund“ die, wenn man die TV-Filme mitzählt, achte Hermann-Hesse-Verfilmung. Das ist angesichts der immer noch vorhandenen Popularität des 1962 verstorbenen Literaturnobelpreisträgers erstaunlich. Auch weil viele während ihrer Jugend (so mit 14 Jahren beim Interrail-Fahren durch Europa) eine Hesse-Phase hatten. Die zweite Hesse-Phase soll dann im hohen Alter kommen. Da sollte es in den vergangenen Jahrzehnten doch einige Regisseure gegeben haben, die sich seiner Romane annehmen und daraus einen Film machen. Die bisherigen Verfilmungen, unter anderem „Der Steppenwolf“ mit Max von Sydow, sind weitgehend und aus verschiedenen Gründen obskur. Das kann von Stefan Ruzowitzkys Verfilmung von „Narziss und Goldmund“ nicht behauptet werden. Mit einem ordentlichem Budget, mittelalterlichen Schauwerten und bekannten Schauspielern (Jannis Niewöhner, André M. Hennicke, Emilia Schüle, Uwe Ochsenknecht, Kida Khodr Ramadan, Jessica Schwarz, Sunnyi Melles, Matthias Habich und Sabin Tambrea) bearbeitete er Hesses Geschichte für die große Leinwand und für ein Mainstream-Publikum. Und er nahm sich einige Freiheiten.

Im Mittelpunkt der irgendwann im Mittelalter spielenden Geschichte stehen Narziss und Goldmund, die sich zum ersten Mal als Knaben im Kloster Mariabronn treffen. Narziss ist ein sehr begabter Novize, der auch seinen Lehrern widerspricht. Er ist ein Intellektueller, ein Geistesmensch, der mit einem enthaltsamen, von der Welt abgewandtem Leben im Kloster glücklich wird.

Goldmund ist das Gegenteil. Der Zehnjährige wird von seinem Vater ins Kloster gebracht, damit er etwas lernt. Narziss wird vom Abt zu Goldmunds Lehrer ernannt. Der Abt hofft, dass so auch Narziss etwas für sein weiteres Leben lernt.

Nach einer kurzen Zeit, in der die beiden Jungen sich näher kommen (und, ja, im Buch und Film wird einem eine homosexuelle Liebesgeschichte nahe gelegt), verlässt Goldmund das Kloster. Er will die Welt erkunden, Abenteuer erleben und Sex haben. Seine Schule sind nicht Bücher und das Nachdenken in einer stillen Kammer, sondern das eigene Erleben und, später, das Schaffen von Kunstwerken, die aus seinem eigenen Erleben ihre Kraft ziehen.

Während Hesse die Geschichte von Narziss und Goldmund chronologisch erzählt und immer bei Goldmund bleibt, wählt Ruzowitzky eine wesentlich komplizierte Struktur. Bei ihm kommt Goldmund, wie im Roman, fünfzehn Jahre nach seinem Abschied aus dem Kloster zurück. In dem Moment sind ungefähr 25 Filmminuten vergangen. Im Kloster erhält Goldmund von Narziss, der inzwischen zum Abt wurde, den Auftrag, einen Altar zu schnitzen. Während der Arbeit am Altar erzählt Goldmund Narziss, was er in den vergangenen Jahren erlebte. Gleichzeitig regt sich im Kloster Widerstand gegen Goldmunds viel zu offensichtlich von seinen weltlichen Erlebnissen und der Suche nach seiner Mutter inspirierte Arbeit.

Außerdem verlegte Ruzowitzkys Hesses zeitlich nicht genau verorteten Roman in ein Fantasy-Mittelalter, das zeitlich überhaupt nicht mehr zu verorten ist. Es wurde einfach genommen, was gefällt. Auch wenn es aus verschiedenen Jahrhunderten stammt. Ruzowitzkys Hesse-Mittelalter ist sauber. Die Schauspieler haben blendend weiße Zähne, einen akkuraten Haarschnitt und trendige Klamotten. Die Männer dürfen sehr oft ihren nackten Körper präsentieren. Vor allem „Goldmund“ Jannis Niewöhner zeigt mehrmals einen preiswürdigen Waschbrettbauch, der eindeutig aus dem Fitness-Studio um die Ecke stammt. Die Frauen bleiben dagegen züchtig verhüllt.

Die Filmgeschichte wird durch die von Ruzowitzky gewählte Struktur in den Rückblenden schnell redundant. Wie Casanova stolpert Goldmund von dem einen unglücklich endendem Liebesabenteuer zum nächsten, das ebenso unglücklich endet, weil Goldmund sich wieder in die falsche Frau verliebt hat. Außerdem hat er überhaupt kein Interesse an einer längerfristigen Bindung. Deshalb kann er sich umstandslos in die nächste Affäre stürzen.

Zur gleichen Zeit bleibt der von Ruzowitzky erfundene Konflikt um den Altar, den Goldmund für das Kloster anfertigt, an der Oberfläche und über Narziss‘ Aufstieg im Kloster erfahren wir im Film nicht mehr als im Buch. Da verschwindet er allerdings die meiste Zeit aus der Geschichte.

Ruzowitzkys „Narziss und Goldmund“ ist eine gut gemeinte Literaturverfilmung, die immerhin gut genug für den Schulunterricht ist.

P. S.: Fun Fact: Sunnyi Melles, die hier eine Gräfin spielt, hatte ihr Filmdebüt 1974 als Judith Melles in der schon erwähnten Verfilmung von „Der Steppenwolf“.

Narziss und Goldmund (Deutschland 2020)

Regie Stefan Ruzowitzky

Drehbuch: Stefan Ruzowitzky, Robert Gold (Ko-Autor)

LV: Hermann Hesse: Narziss und Goldmund, 1930

mit Jannis Niewöhner, Sabin Tambrea, André M. Hennicke, Henriette Confurius, Emilia Schüle, Uwe Ochsenknecht, Kida Khodr Ramadan, Jessica Schwarz, Sunnyi Melles, Roxane Duran, Matthias Habich

Länge: 118 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Die Vorlage

(pünktlich zum Filmstart mit einem neuen Cover)

Hermann Hesse: Narziss und Goldmund

Suhrkamp, 2020 (Filmausgabe)

320 Seiten

10 Euro

Erstausgabe

S. Fischer Verlag, 1930

 

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Narziss und Goldmund“

Moviepilot über „Narziss und Goldmund“

Wikipedia über „Narziss und Goldmund“ und Hermann Hesse

Suhrkamp-Sonderseite über Hermann Hesse

Meine Besprechung von Stefan Ruzowitzkys „Cold Blood – Kein Ausweg, keine Gnade“ (Deadfall, USA/Frankreich 2012)

Meine Besprechung von Stefan Ruzowitzkys „Das radikal Böse“ (Deutschland 2013)

Meine Besprechung von Stefan Ruzowitzkys „Die Hölle – Inferno“ (Österreich/Deutschland 2016)


TV-Tipp für den 26. Januar: Meine Tochter Anne Frank

Januar 26, 2020

RBB, 22.20

Meine Tochter Anne Frank (Deutschland 2015)

Regie: Raymond Ley

Drehbuch: Hannah Ley, Raymond Ley

LV: Anne Frank: Das Tagebuch der Anne Frank

Die bekannte Geschichte der am 12. Juni 1929 geborenen Anne Frank, die sich in Amsterdam während des Zweiten Weltkriegs mit ihrer Familie in einem Hinterhaus versteckte, erzählt Raymond Ley primär aus der Sicht von Annes Vater Otto Frank, der den Krieg überlebte.

„Die künstlerisch ambitionierte Collage setzt sich eindrucksvoll aus Spielszenen und dokumentarischen Einsprengseln zusammen.“ (Lexikon des internationalen Films)

mit Mala Emde, Götz Schubert, Axel Milberg, Lion Wasczyk, Harald Schrott, André M. Hennicke

Hinweise

Wikipedia über „Meine Tochter Anne Frank“ und Anne Frank (deutsch, englisch)

Der Anne Frank Fonds

Anne-Frank-Seite des Fischer Verlags

Meine Besprechung von Hans Steinbichlers „Das Tagebuch der Anne Frank“ (Deutschland 2016)

Die Lektüre zum Film

Anne Frank - Gesamtausgabe TB - 4

Wer nach (oder vor) dem Film so richtig in die Schriften von Anne Frank einsteigen möchte, sollte sich die Gesamtausgabe, die auch ganz banal „Gesamtausgabe“ heißt, zulegen. In ihr sind die verschiedenen Versionen ihres Tagebuchs (es gibt das ursprüngliche Tagebuch, eine von ihr für eine Veröffentlichung schon überarbeitete Fassung, die von ihrem Vater Otto Frank für die Veröffentlichung erstellte Fassung und die von Mirjam Pressler 2001 im Auftrag des Anne Frank Fonds erstellte und autorisierte „Version d“, die die heute verbindliche Fassung ist und in der für frühere Veröffentlichungen gekürzte und weggelassene Teile wieder aufgenommen wurden), die „Geschichten und Ereignisse aus dem Hinterhaus“ (ihre Erzählungen, die teils auf selbst Erlebtem basieren und die auch teils von ihr in ihr Tagebuch übernommen wurden), weitere Erzählungen, Briefe, Einträge in Poesiealben, „Das Schöne-Sätze-Buch“ (das hauptsächlich eine Sammlung von Texten, die ihr gefielen und die sie im Versteck abschrieb, ist) und ‚Das Ägyptenbuch‘ (das ebenfalls vor allem aus anderen Texten besteht und das Anne Franks Faszination für das alte Ägypten dokumentiert) abgedruckt. Damit ist ihr schriftstellerisches Gesamtwerk in diesem Buch enthalten.
Ergänzt wird der Sammelband durch Fotos und Dokumente über sie und ihre Familie und vier Aufsätze über Anne Frank, ihre Familie, den zeitgeschichtlichen Kontext und die Rezeptionsgeschichte.
Diese umfassende Ausgabe eignet sich vor allem für das vertiefte und auch vergleichende Studium.
Für den Hausgebrauch reicht natürlich auch die Ausgabe ihres Tagebuchs.

Anne Frank: Gesamtausgabe
(herausgegeben vom Anne Frank Fonds)
(übersetzt von Mirjam Pressler)
Fischer, 2015
816 Seiten
12,99 Euro

Deutsche Erstausgabe
Fischer, 2013


TV-Tipp für den 16. Dezember: Der Mann aus dem Eis

Dezember 16, 2019

Arte, 22.20

Der Mann aus dem Eis (Deutschland/Italien/Österreich 2017)

Regie: Felix Randau

Drehbuch: Felix Randau

Die Welt, vor 5300 Jahren: Kelab will die Ermordung seiner Familie rächen. Er verfolgt die Mörder in die Alpen.

TV-Premiere. Zwiespältiger Quasi-Stummfilm, der eine mögliche Geschichte erzählt über Ötzi, den 1991 im Gletschereis der Ötztaler Alpen entdeckten erstaunlich gut erhaltenen Leichnam aus der Jungsteinzeit.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Jürgen Vogel, André M. Hennicke, Susanne Wuest, Violetta Schurawlow, Sabin Tambrea, Martin Augustin Schneider, Axel Stein, Franco Nero

Das Buch zum Film

Albert Zink (Hrsg.): Der Mann aus dem Eis

Reclam, 2017

184 Seiten

12,95 Euro

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Der Mann aus dem Eis“

Moviepilot über „Der Mann aus dem Eis“

Rotten Tomatoes über „Der Mann aus dem Eis“

Wikipedia über „Der Mann aus dem Eis“ und Ötzi

Meine Besprechung von Felix Randaus „Der Mann aus dem Eis“ (Deutschland/Italien/Österreich 2017)


Neu im Kino/Filmkritik: „Das Leben meiner Tochter“ und das dringend benötigte Spenderherz

Juni 6, 2019

Während eines Urlaubs in den Bergen bricht die achtjährige Jana zusammen. Im Krankenhaus stellen die Ärzte fest, dass sie eine akute Herzmuskelentzündung hat und dringend ein neues Herz benötigt. Im Schnitt dauert es acht Monate, bis ein passendes Spenderherz gefunden wird. Nach einem Jahr ist Jana immer noch im Krankenhaus. Ihre Chancen zu überleben, schwinden täglich.

Da entdeckt Janas Vater Micha Faber im Internet ein Angebot. In Osteuropa sind die Gesetze laxer. Ein passendes Organ kann schneller besorgt werden. Es kostet nur die Kleinigkeit von 250.000 Euro. Janas Ärztin Dr. Andrea Benesch und Janas Mutter Natalie raten ab. Aber Micha lässt sich mit den illegalen Organhändlern ein.

So ein spannendes Thema, so eine schön zugespitztes moralisches Dilemma und dann ist „Das Leben meiner Tochter“ ein erschreckend leb- und auch spannungsloser Film. Dem Drehbuch gelingt es nämlich nie, die Fabers Dilemma in eine spannende Erzählung zu übertragen. Strukturell ist der strikt chronologisch erzählte Film wie ein Thriller aufgebaut. Aber in den einzelnen Szenen zeigt sich das nicht. Das liegt vor allem an den Dialogen. Sie hören sich durchgängig wie eine erste Fassung an. Das ist bestenfalls Bürokratendeutsch, das in einer Überarbeitung in gesprochene Dialoge hätte übersetzt werden müssen. Aus einem „Hat Janas Zustand sich verbessert?“ wäre ein „Geht es Jana besser?“ oder „Wie geht es Jana?“ geworden. Es sind Sätze, die man aufschreiben, aber nicht sagen kann. Entsprechend emotionslos und distanziert tragen die Schauspieler die Drehbuchsätze dann vor.

Auch die Bilder und die ruhige Inszenierung zielen auf den TV-Bildschirm. Die Ausstattung wirkt durchgehend unpassend. Oder haben in den Alpen die Chefärzte Büros, in denen sie locker ganze Betriebsversammlungen und Partys abhalten können?

Dabei ist das Thema Organspende und illegaler Organhandel wichtig und verdient eine ernsthafte Behandlung. Nur werden in Steffen Weinerts Drama „Das Leben meiner Tochter“ diese Fragen zu oberflächlich behandelt. Wichtige Informationen über den Ablauf von Organspenden und dem Problem des illegalen Organhandels werden kaum geliefert. So warnt Janas Ärztin die Fabers zwar, vor der illegalen Transplantationen und den möglichen strafrechtlichen Folgen. Aber das ist nur eine Szene im Film. Ein späteres Gespräch, das Natalie mit Dr. Benesch führt, wird nur in einem späteren Gespräch mit ihrem Mann in einem Satz erwähnt.

Das Leben meiner Tochter“ ist ein ambitioniertes Fernsehspiel, das deutlich unter den Möglichkeiten des Themas bleibt.

Das Leben meiner Tochter (Deutschland 2019)

Regie: Steffen Weinert

Drehbuch: Steffen Weinert

mit Christoph Bach, Maggie Valentina Salomon, Alwara Höfels, Barbara Philipp, André M. Hennicke, Marc Zwinz, Erik Madsen, Birge Schade

Länge: 92 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Das Leben meiner Tochter“

Moviepilot über „Das Leben meiner Tochter“

 


TV-Tipp für den 6. Juni: Meine Tochter Anne Frank

Juni 6, 2019

HR, 22.50

Meine Tochter Anne Frank (Deutschland 2015)

Regie: Raymond Ley

Drehbuch: Hannah Ley, Raymond Ley

LV: Anne Frank: Das Tagebuch der Anne Frank

Die bekannte Geschichte der am 12. Juni 1929 geborenen Anne Frank, die sich in Amsterdam während des Zweiten Weltkriegs mit ihrer Familie in einem Hinterhaus versteckte, erzählt Raymond Ley primär aus der Sicht von Annes Vater Otto Frank, der den Krieg überlebte.

Die künstlerisch ambitionierte Collage setzt sich eindrucksvoll aus Spielszenen und dokumentarischen Einsprengseln zusammen.“ (Lexikon des internationalen Films)

mit Mala Emde, Götz Schubert, Axel Milberg, Lion Wasczyk, Harald Schrott, André M. Hennicke

Wiederholung: 3sat, Mittwoch, 12. Juni, 22.25 Uhr (Anne Franks Geburtstag

Hinweise

Wikipedia über „Meine Tochter Anne Frankund Anne Frank (deutsch, englisch)

Der Anne Frank Fonds

Anne-Frank-Seite des Fischer Verlags

Meine Besprechung von Hans Steinbichlers „Das Tagebuch der Anne Frank“ (Deutschland 2016)

Die Lektüre zum Film

Anne Frank - Gesamtausgabe TB - 4

Wer nach (oder vor) dem Film so richtig in die Schriften von Anne Frank einsteigen möchte, sollte sich die Gesamtausgabe, die auch ganz banal „Gesamtausgabe“ heißt, zulegen. In ihr sind die verschiedenen Versionen ihres Tagebuchs (es gibt das ursprüngliche Tagebuch, eine von ihr für eine Veröffentlichung schon überarbeitete Fassung, die von ihrem Vater Otto Frank für die Veröffentlichung erstellte Fassung und die von Mirjam Pressler 2001 im Auftrag des Anne Frank Fonds erstellte und autorisierte „Version d“, die die heute verbindliche Fassung ist und in der für frühere Veröffentlichungen gekürzte und weggelassene Teile wieder aufgenommen wurden), die „Geschichten und Ereignisse aus dem Hinterhaus“ (ihre Erzählungen, die teils auf selbst Erlebtem basieren und die auch teils von ihr in ihr Tagebuch übernommen wurden), weitere Erzählungen, Briefe, Einträge in Poesiealben, „Das Schöne-Sätze-Buch“ (das hauptsächlich eine Sammlung von Texten, die ihr gefielen und die sie im Versteck abschrieb, ist) und ‚Das Ägyptenbuch‘ (das ebenfalls vor allem aus anderen Texten besteht und das Anne Franks Faszination für das alte Ägypten dokumentiert) abgedruckt. Damit ist ihr schriftstellerisches Gesamtwerk in diesem Buch enthalten.
Ergänzt wird der Sammelband durch Fotos und Dokumente über sie und ihre Familie und vier Aufsätze über Anne Frank, ihre Familie, den zeitgeschichtlichen Kontext und die Rezeptionsgeschichte.
Diese umfassende Ausgabe eignet sich vor allem für das vertiefte und auch vergleichende Studium.
Für den Hausgebrauch reicht natürlich auch die Ausgabe ihres Tagebuchs.

Anne Frank: Gesamtausgabe
(herausgegeben vom Anne Frank Fonds)
(übersetzt von Mirjam Pressler)
Fischer, 2015
816 Seiten
12,99 Euro

Deutsche Erstausgabe
Fischer, 2013


Neu im Kino/Buch- und Filmkritik: Fakten und Vermutungen über Ötzi, „Der Mann aus dem Eis“

Dezember 1, 2017

Am 19. September 1991 entdeckt das Ehepaar Simon bei einer Wandertour durch die Ötztaler Alpen im Gletschereis eine gefrorene Leiche. Schnell fanden Gerichtsmediziner heraus, dass die Leiche nicht einige Tage oder Jahre, sondern mindestens viertausend Jahre alt ist. Ötzi, wie der Mann aus dem Eis wegen des Fundorts schnell genannt wurde, war eine Sensation für die Wissenschaft. Denn die Leiche aus der Jungsteinzeit war gut erhalten, mumifiziert und damit ein wundervolles, noch nie dagewesenes und bisher einzigartiges Forschungsobjekt über unsere Frühgeschichte.

Auch Felix Randau war fasziniert von Europas ältester Mumie. Er fragte sich, wie viele andre Menschen, wie Ötzi vor 5300 Jahren gelebt hat und warum er in den Alpen, im heutigen Grenzgebiet zwischen Italien und Österreich, ermordet wurde. Ausgehend von dieser Frage erzählt er in seinem Spielfilm „Der Mann aus dem Eis“ die Geschichte von Kelab, einem Dorfoberhaupt einer kleinen, in den Südtiroler Alpen lebenden Sippe. Als er auf der Jagd ist, wird sein Dorf von Krant und seinen beiden Söhnen Tasar und Gosar überfallen. Die drei Männer ermorden Kelabs Sippe und zerstören die Siedlung.

Kelab will sich an den Mördern rächen.

Randau erzählt in seinem Film eine gradlinige, ziemlich banale Rachegeschichte, deren größtes Problem ihre Behauptung ist, Ötzis Geschichte zu erzählen und er dann munter drauflos fantasiert. Denn obwohl die Forscher immer mehr über Ötzi wissen – über seine Verletzungen, seine Tätowierungen, seine Nahrung, seine Krankheiten, seine Werkzeuge und auch dass er ermordet wurde -, wissen sie sehr wenig. Sie können nur Vermutungen über den Grund für den Mord anstellen. Sie wissen auch, mangels schriftlicher Aufzeichnungen, nichts darüber, wie die Menschen zusammen lebten und wie sie sich verständigten. Hier werden im Film mehr oder weniger glaubhafte Vermutungen, die mehr oder weniger nah am Forschungsstand sind, angestellt.

Trotzdem wirkt Ötzis Welt nie glaubhaft als Reenactment. Die Alpenlandschaft, durch die Kelab streift, sieht aus, wie die Alpenlandschaften, die man mühelos jedes Wochenende besuchen kann. Keine Überhöhungen, keine Geheimnisse oder ein archaisches Gefühl, sondern nur Wiesen und Steine. Die benutzen Waffen und Kleider wirken wie gerade aus der Kostümkammer entnommen und nicht als ob sie in mühevoller Handarbeit hergestellt und lange benutzt wurden. Alles, und ich meine wirklich alles, wirkt wie aus dem Fundus für einen x-beliebigen Fantasy-Film zusammengestellt.

Verglichen mit Alejandro G. Iñárritus Rachewestern „The Revenant“, der einem als Referenz immer wieder einfällt, fällt das Scheitern von „Der Mann aus dem Eis“ noch deutlicher auf. Alles was in „The Revenant“ stimmt und ihn zu einem in jeder Beziehung überwältigendem Kinoerlebnis machte, fehlt in „Der Mann aus dem Eis“.

Der Mann aus dem Eis“ erinnert dagegen, auch weil der Film fast vollständig auf Dialoge verzichtet, an einen Stummfilm, der sich wenig um historische Genauigkeit bemüht.

Zum Filmstart erschien bei Reclam ein reichhaltig bebildertes „Buch zum Film“. Das von Albert Zink herausgegebene Buch enthält Interviews mit Hauptdarsteller Jürgen Vogel und Regisseur Felix Randau, Randaus Drehbuch und, in der zweiten Hälfte, eine von Zink geschriebene faktenreiche Bestandsaufnahme der Forschung zu dem Mann aus dem Eis. Zink ist der Leiter des Instituts für Mumienforschung der EURAC Research in Bozen und das merkt man. Denn dieser Teil ist im akademischen Tonfall eines Wissenschaftlers geschrieben, der die aus der Forschung bekannten Fakten präsentiert. Ein Journalist hätte daraus einen Wissenschaftskrimi gemacht.

Der Mann aus dem Eis (Deutschland/Italien/Österreich 2017)

Regie: Felix Randau

Drehbuch: Felix Randau

mit Jürgen Vogel, André M. Hennicke, Susanne Wuest, Violetta Schurawlow, Sabin Tambrea, Martin Augustin Schneider, Axel Stein, Franco Nero

Länge: 96 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Das Buch zum Film

Albert Zink (Hrsg.): Der Mann aus dem Eis

Reclam, 2017

184 Seiten

12,95 Euro

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Der Mann aus dem Eis“

Moviepilot über „Der Mann aus dem Eis“

Rotten Tomatoes über „Der Mann aus dem Eis“

Wikipedia über „Der Mann aus dem Eis“ und Ötzi

 


Neu im Kino/Filmkritik: „Volt“ – ein Polizist in gewissen Nöten

Februar 5, 2017

In naher Zukunft, mehr oder weniger irgendwo in Deutschland: Flüchtlinge vegetieren in einer abgezäunten Transitzone vor sich hin. In leerstehenden Häusern und ohne staatliche Gewalt. Die führt in unregelmäßigen Abständen Razzien durch. Bei einer solchen gewalttätigen Durchsuchung verfolgt der Polizist Volt (natürlich ist der Name Programm) einen Flüchtling und tötet ihn in einem Kampf. Volt vertuscht den Mord. Seine Kollegen von der Eingreifgruppe helfen ihm unwissentlich dabei und damit könnte die Sache vergessen sein, wenn der Tote nicht die Initialzündung für Proteste wäre und wenn nicht Volt, der Einzelgänger ohne Gewissensbisse, plötzlich Gewissensbisse hätte.

Er schleicht sich in die Transitzone und lernt eine Frau kennen, in die er sich auch verliebt. LaBlanche ist außerdem die Schwester des Toten.

Volt“ ist ein zwiespältiger Film. Nicht weil er eine Dystopie zeigt, die wir schon öfter gesehen haben, sondern weil es dem Drehbuch nicht gelingt, eine spannende Geschichte zu erzählen. Der Grundplot ist ja vertraut und, wie bei einem Western (oder einem Liebesfilm), geht es darum, wie der Protagonist an sein Ziel gelangt und warum das Ziel für ihn wichtig ist. Natürlich mit dreidimensionalen Charakteren und guten Dialogen. „Volt“ liefert da allerdings nur die Chiffren aus dem Handbuch des Harten Mannes, abgeschmeckt mit einem rüpelhaftem Einsatzkommando, das sich in pubertären Testosteron-Spielchen gefällt, und etwas politischem Überbau der beliebigen Sorte. Obwohl einzelne Punkte an die Realität anknüpfen – die Flüchtlingskrise und ihr Umgang mit ihr (siehe das Flüchtlingslager in Calais), der Korpsgeist in Sondereinheiten, der Umgang mit internen Ermittlungen, die politischen Ränkespiele (die hier aber nur ein Newsflash sind) – wirkt die in „Volt“ gezeichnete Zukunft wie ein Recycling eines minderwertigen, irgendwo in der Provinz gedrehten Post-“Blade Runner“-Films, in dem nie eine kohärente und in sich glaubwürdige Zukunftsvision entwickelt wird.

Da wirken die achtzig Minuten dann arg lang.

Die Bilder der Dystopie sind einer der Pluspunkte des Films. Tarek Ehlail drehte an Nicht-Orten, die er mit minimalen Mitteln, Nachtaufnahmen, Farbfiltern, Gegenlicht und allem, was im Handbuch für eine Dystopie oder ein stylisches Rock-Video (Ehlail drehte Musikvideos für Slime, Bushido, NYZE und D-Bo) steht, zu einer ungemütlichen, betont rohen Vision Deutschlands machte. Die Musik von Alec Empire hilft dabei.

Ebenso die Besetzung. Neben bekannten Gesichtern wie Benno Fürmann, der Volt spielt (ihm aber wegen des klischeehaften Drehbuchs keine Tiefe verleihen kann), gibt es etliche Neuentdeckungen, wie die Songwriterin Ayo, die LaBlanche spielt.

Am Ende von „Volt“ bleibt die Erkenntnis, dass Tarek Ehlail mit einem guten Drehbuch einen wirklich überzeugenden Film drehen könnte. „Volt“ ist, so gesehen, eine Talentprobe, eine Visitenkarte.

volt-plakat

Volt (Deutschland/Frankreich 2016)

Regie: Tarek Ehlail

Drehbuch: Tarek Ehlail

mit Benno Fürmann, Sascha Alexander Gersak, Ayo, Denis Moschitto, Anna Bederke, Kida Khodr Ramadan, Stipe Erceg, Tony Harrisson Mpoudja, Surho Sugaipov, André M. Hennicke

Länge: 81 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Volt“

Moviepilot über „Volt“

Wikipedia über Tarek Ehlail

Die Welt: Interview mit Tarek Ehlail


Neu im Kino/Filmkritik: „Continuity“ – das neue Werk von Omer Fast

November 20, 2016

In seinem Spielfilmdebüt „Remainder“ war der Protagonist in einer Zeitschleife gefangen. In seinem zweiten Spielfilm „Continuity“, in dem Videokünstler Omer Fast seinen gleichnamigen 41-minütigen Kurzfilm von 2012 zu einem Spielfilm erweiterte, sind seine Protagonisten in einer anderen Schleife gefangen.

Schon in den ersten Minuten, wenn Torsten (André M. Hennicke) und Katja Fiedler (Iris Böhm) sich durch ihr austauschbares Einfamilienhaus bewegen, wird deutlich, dass etwas nicht stimmt. Auch die Fahrt zum Bahnhof und die Begegnung mit ihrem aus dem Afghanistan-Einsatz heimkehrendem Sohn am Bahnhof gestaltet sich gezwungen. Ebenso das Abendessen. Ohne dass wir wissen, warum sich alle so seltsam benehmen, was sie uns verschweigen und woher die seltsame sexuelle Spannung kommt.

Kurz darauf wiederholt sich das gleiche Spiel zweimal. Mit minimalen Variationen, aber immer mit einem anderen Daniel, den sie abholen und mit dem sie zu Abend essen.

Währenddessen zeigt Fast Szenen aus Afghanistan, in denen bekannte Gesichter wieder auftauchen, einen versuchten Mord in der örtlichen Bäckerei an Daniel (Fiedler?), die auch mit illegalen Drogen handelt und es gibt Bruchstücke von Erklärungen, die immer offen für Interpretationen bleiben. So sind einige (oder alle) Söhne Stricher, die von den Böhms bezahlt werden, ihren Sohn zu spielen. So hat sich ein Sohn (der echte?) bei der Bundeswehr für den Afghanistan-Einsatz beworben und in Afghanistan kam es zu sexuellen und gewalttätigen Handlungen. Oder fantasieren Daniels Eltern sich das nur herbei, aus den Erzählungen der Stricher, die dafür bezahlt werden ihren Sohn, der vielleicht tot ist, zu spielen?.

Das schöne an Omer Fasts zweitem Spielfilm „Continuity“ ist, neben der formalen Strenge, die an die Berliner Schule erinnert, dass er bis zur letzten Minute viele seiner Geheimnisse bewahrt und somit offen für Interpretationen bleibt, ohne jemals beliebig zu werden.

Wie bei seinem ersten Spielfilm „Remainder“ gibt es am Ende von „Continuity“ immer noch einige lose Fäden und nicht alles fügt sich zu einer widerspruchsfreien und plausiblen Erzählung zusammen. Wie in der Realität, in der auch nicht immer alles restlos aufgeklärt und eindeutig ist.

Continity“ ist ein spannendes, vielschichtiges erzählerisches Experiment. Sehr, sehr sehenswert.

continuity-plakat

Continuity (Continuity, Deutschland 2016)

Regie: Omer Fast

Drehbuch: Omer Fast

mit André M. Hennicke, Iris Böhm, Constantin von Jascheroff, Bruno Alexander, Josef Mattes, Lukas Steltner, Niklas Kohrt, Anne Ratte-Polle

Länge: 85 Minuten

FSK: –

Hinweise

Deutsche Facebook-Seite zum Film (mit den Kinos, die den Film zeigen)

Berlinale über „Continuity“

Filmportal über „Continuity“

Moviepilot über „Continuity“

Rotten Tomatoes über „Continuity“

Wikipedia über Omer Fast (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Omer Fasts „Remainder“ (Remainder, Großbritannien/Deutschland 2016)

Bonushinweis

Im Martin-Gropius-Bau wird bis zum 12. März 2017 die erste große Berlin-Werkschau von Omer Fast gezeigt.

Omer Fast spricht mit Sergio Fant bei der Art Basel im Juni 2016 über den Film (und verrät natürlich einiges)