Nennen wir Patryk Vegas neuen Film „Niewidzialna Wojna – The invisible war“ Autofiktion. Denn im Mittelpunkt steht ein Regisseur, der seine Filme auch schreibt und produziert, und der gerade nach Katar geflogen ist. Dort erhofft er sich von den Scheichs das nötige Geld für seinen nächsten Film. Als er gefragt wird, warum er zu ihnen gekommen ist, erinnert er sich an sein Leben.
In den nun folgenden über zwei Stunden geht es, mehr oder weniger fiktiv, einmal durch Patryk Vegas Leben von seiner frühen Kinobegeisterung (für Holllywood-Blockbuster), über seine ersten Versuche, Geld zu verdienen (meist mit desaströsem Ergebnis), seiner Arbeit als True-Crime-TV-Reporter (skrupelloser als Jake Gyllenhaal in „Nightcrawler“) und seinen Exploitation-Spielfilmen. In seinen Erinnerungen ist dieser Patryk Vega ein gewissenloses, empathieunfähiges Arschloch. Vega inszeniert dies über weite Strecken als eine bitterböse Satire auf die Medienwelt, die polnische Gesellschaft und den Kapitalismus. Das ist durchgehend auf die zynische Pointe zugespitzt. Die Schauspieler, vor allem die verschiedenen Inkarnationen von Patryk Vega, spielen so schlecht, dass die satirische Absicht überdeutlich ist.
In der zweiten Hälfte verliert „Niewidzialna Wojna“ merklich an Tempo. Dann erinnert Vega sich an seine Filme, von denen wir nichts sehen und über die wir fast nichts erfahren. Wer Vegas Filmographie kennt, ist hier eindeutig im Vorteil. Dazwischen ist er auf Filmpremieren und Empfängen und er plant sein nächstes Filmprojekt. Er will endlich seinen großen international erfolgreichen Hollywood-Blockbuster drehen und so als Regisseur anerkannt werden. Gleichzeitig will er erlöst werden. Denn als braver polnischer Katholik drückt ihn zunehmend das schlechte Gewissen über seine an der Kinokasse erfolgreichen amoralischen Filme, seine Taten und seine Beziehungen ins kriminelle Milieu.
Am Ende des Biopics fragen wir uns, wie autobiograpisch das Werk ist, und welche Stellung „Niewidzialna Wojna“ in seinem Werk haben soll. Also ob es eine überhöhte, keine Grenzen und Tabus kennende Mediensatire mit der Dampframme ist und Vegas nächster Film als weiterer Exploitation-Thriller an seine vorherigen Filme anknüpft, oder ob der am 2. Januar 1977 in Warschau geborene Vega wirklich eine religiöse Bekehrung erfahren hat und seine nächsten Filme gähnend langweilige Faith-based-Movies sind.
Aus Zuschauersicht hoffe ich auf den nächsten Exploitationfilm.
Niewidzialna Wojna – The invisible war(Niewidzialna Wojna, Polen 2022)
Regie: Patryk Vega
Drehbuch: Patryk Vega
mit Rafal Zawierucha, Justyna Karlowska, Anna Mucha, Pawel Olearczyk
Der Titel „Love, Sex and Pandemic“ führt schon etwas in die Irre. Sicher, es geht um Liebe, wir sehen viel Sex und der Film spielt auch während der Coronavirus-Pandemie. Aber die erste Stunde spielt vor der Pandemie und auch in der zweiten Hälfte hatte ich zunehmend den Eindruck, dass die Pandemie sich, nach einem ruhigen Intermezzo, nur noch auf das gelegentliche Tragen von Masken beschränkt.
Dieses Intermezzo ist ein letztendlich für die weitere Geschichte bedeutungsloser Ruhepunkt, in dem es Bilder von einem menschenleeren Warschau gibt. Die Figuren hängen in ihren Wohnungen allein auf dem Sofa ab und videotelefonieren. Einmal sind die vier Hauptfiguren auch in einer Kirche in einer Art Privat-Gottesdienst, in dem sie, wegen der Maskenpflicht, maskiert über ihre Gefühle reden.
Danach geht es weiter, als hätte es diesen kollektiven Moment der Reflektion nicht gegeben. Sowieso drängt sich der Eindruck auf, dass Patryk Vega dieses Intermezzo nur einfügte, weil es während der Dreharbeiten zu seinem Ensemblefilm über Liebe und Sex geschah.
Im Mittelpunkt von „Love, Sex and Pandemic“ stehen die drei Freundinnen Olga, Kaja und Nora, die alle in den Vierzigern, beruflich gut situiert und emanzipiert sind, und der deutlich jüngere Bart, den sie am Filmanfang in einer Bar treffen und mit dem sie während der Pandemie einen Gottesdienst besuchen.
Bart wuchs als Zeuge Jehovas auf. Der schüchterne Mittzwanziger ist noch Jungfrau, sucht verzweifelt eine Freundin, trennt sich darüber von seiner strenggläubigen Familie und wird Stripper. Bei dieser Arbeit verliebt er sich in Roksana. Erst später erfährt er, dass sie ihr Geld als Luxus-Callgirl verdient. Und das ist für ihn ein Problem.
Kaja arbeitet als Journalistin für eine Boulevardzeitung. Ihre neueste Story geht um einen Aufreißer-Guru, der in seinen Seminaren behauptet, schon mit über neunhundert Frauen geschlafen zu haben. Kaja will ihn als Aufschneider enttarnen. Das gelingt ihr. Aber dann schlägt der Pick-Up Artist zurück und zwischen ihnen entbrennt ein zunehmend erbarmungsloser, tödlich endender Kampf, in dem sie die Existenz des anderen vernichten wollen.
Nora arbeitet als Fotografin. Für ihr neuestes Projekt fotografiert sie in ihrem Studio Paare beim Sex. Dabei verliebt sie sich in Alf, der gerne als Schauspieler berühmt werden würde. Nora fragt sich, ob sie ihm helfen soll und ihn damit verlieren würde oder ob sie ihn an sich binden soll.
Olga arbeitet als Staatsanwältin. Sie ist eine glühende Feministin, die Muslime wegen ihres archaischen Frauenbildes hasst. In dem Punkt ist sie eine ebenso überzeugte Rassistin. Da trifft sie auf Baha, der sie mit seiner Performance auf einer Lesebühne und seinen sensiblen Gedichten beeindruckt. Er ist der fleischgewordene, aus dem Morgenland kommende Traumprinz. Sie wirft ihren Mann, mit dem sie ein kleines Kind hat, aus ihrer Wohnung. Baha zieht ein und schon beim Einzug entspricht er dem Prototyp eines frauenverachtenden Machos. Olga erduldet das alles mit einer Eselsruhe. Doch wie lange?
Die meisten Geschichten in Vegas Film gehen schlecht aus. Am Ende kommen beide Geschlechter denkbar schlecht weg (So dürften sich die Sympathien für einen Profi-Verführer, der einen sehr tiefen Fall erlebt, in denkbar engen Grenzen halten.), aber die Frauen kommen noch schlechter weg und in fast jeder Geschichte stellt sich die Frage, was uns der Regisseur damit sagen will und ob er uns genau das sagen will. Das kann einerseits daran liegen, dass die Tabus der polnischen Gesellschaft nicht die Tabus westlicher Gesellschaften sind. Die Kirche ist hier weniger mächtig. Nackte Busen (eigentlich durchgehend nur angedeutet) und Penisse (öfters lange im Bild) taugen bei uns schon lange nicht mehr zum Skandal. Andererseits ist „Love, Sex and Pandemic“ deutlich für einen internationalen Markt inszeniert. Die geleckten, aber auch anonymen Filmwohnungen unterscheiden sich nicht von den Wohnungen, die wir aus deutschen, europäischen oder amerikanischen Filmen kennen. Dito die Bars, in denen sich getroffen wird oder polnischen Stripper vor erregten Fraun auftreten. Dito die Kleider und Frisuren. Dito die Schauspieler. Das könnte alles ebenso in Berlin, Paris oder Hollywood gedreht worden sein. Und natürlich gibt es auch an diesen Orten diese Männer, Frauen, Verhaltensweisen und Probleme.
Weil sich diese Bilder und der Erzählstil radikal von Vegas vorherigen Filmen, die harte Thriller sind, unterscheiden, könnte das auch eine Kritik an dem westlichen Lebensstil sein. Vor allem Barts und Olgas Geschichte, also die Geschichte einer Befreiung aus einer gläubigen Familie, die am Ende wieder bei der Kirche und einem Spendenaufruf für ein von Nonnen in Afrika geführtes Projekt endet und die Geschichte einer emanzipierten Frau, die sich von einem Mann unterdrücken lassen will, böten eine solche Interpretationsmöglichkeit an. Olgas Geschichte kann auch als sich selbst bestätigende Anklage gegen alle aus dem arabischen Raum kommende Männer interpretiert werden.
Dann stünde am Ende des Ensemblefilms die Erkenntnis, dass nur aus dem Glauben Gutes wächst und Frauen unterdrückt werden wollen. „Love, Sex and Pandemic“ wäre also ein konservativ-religiöses Pamphlet. Ob das die von Vega intendierte Aussage ist, weiß ich nicht. Ausgehend von seinen früheren Filmen, in denen Religion und antimuslimischer Rassismus keine Rolle spielten, wohl eher nicht.
Es gibt ständig Irritationen, Leerstellen und Widersprüche in den Figuren und Geschichten. Einiges kann daran liegen, dass er vier Geschichten in unter zwei Stunden erzählt. Einiges kann daran liegen, dass er, wie in seinen anderen Filmen, provozieren will. Mit einem Gebräu aus Sex, Glaube, Sympathie für eine Profi-Aufreißer und negativer Zeichnung von Frauen sollte das wenigstens einige Tugendwächter, Feministinnen und Ausländerfreunde auf die Barrikade bringen. Einiges kann auch ganz einfach Vegas Ansicht über Sex, Liebe und Frauen sein. Einiges kann auch anders gemeint sein, aber bei vier kruden Geschichten, die vor allem mehrmals provozieren sollen, geht es dann nicht mehr um eine reflektierte Analyse oder einem der Gesellschaft und dem eigenen Milieu den Spiegel vorhalten, sondern um Provokation.
Letztendlich sind die vier erzählten Geschichten arg plakativ geraten. Fast so, als habe sie sich der Produzent einer Reality-Show ausgedacht. Und diese Shows haben, wie der Name verrät, nichts mit der Realität zu tun.
Entsprechend gering ist der Erkenntnisgewinn über das Leben von Frauen in der Midlife-Crisis in Polen. Aber man kann nach dem Film gut darüber diskutieren. Und in punkto „Auswirkungen der Pandemie auf unser Liebesleben“ hat er dann doch eine beruhigende Botschaft: nichts wird sich verändern.
Love, Sex and Pandemic (Milosc, seks & pandemia, Polen 2022)
Regie: Patryk Vega
Drehbuch: Olaf Olszewski, Patryk Vega
mit Anna Mucha, Malgorzata Rozenek-Majdan, Zofia Zborowska-Wrona, Michal Czernecki, Dawid Czuprynski, Sebastian Dela, Tomasz Dedek, Leonardo Marques