Neu im Kino/Filmkritik: Das Biopic „Whitney Houston: I wanna dance with somebody“

Dezember 22, 2022

Kommen wir zum neuesten Eintrag in der stetig wachsenden Liste von Musiker-Biopics. Zuletzt liefen im Kino Baz Luhrmanns „Elvis“ (über Elvis Presley) und Liesl Tommys Aretha-Franklin-Biopic „Respect“. Jetzt porträtiert Kasi Lemmons („Harriet – Der Weg in die Freiheit“) Whitney Houston.

Houston wird am 9. August 1963 in New Jersey geboren. Ihre Mutter ist die Soul- und Gospel-Sängerin Cissy Houston. 1983 unterschreibt Whitney Houston bei Arista Records. 1985 veröffentlich sie dort ihre erste LP. „Whitney Houston“ wird ein voller Erfolg. Die LP und die Singles stürmen die Charts. Das gleiche gilt für die beiden folgenden LPs „Whitney“ (1987) und „I’m your Baby tonight“ (1990). 1992 spielt sie in der enorm erfolgreichen Thriller-Schmonzette „Bodyguard“ eine Hauptrolle. Der Soundtrack, auf dem sie sechs Songs singt, ist ein Verkaufserfolg. Sie erhält etliche Grammys, Billboard Music Awards und American Music Awards. 1992 heiratet sie den R&B-Sänger Bobby Brown. Ihre gemeinsame Tochter wird 1993 geboren. Sie nimmt Drogen und veröffentlicht kaum noch neue Songs. Am 11. Februar 2012 ertrinkt sie, einen Tag vor der Verleihung der Grammy Awards, in Beverly Hills in einem Hotelzimmer in einer Badewanne. Ihr Drogenkonsum und eine Herzkrankheit sollen ihren Tod mitverschuldet haben.

Das wären die nackten Daten eines kurzen Lebens, die in einem Biopic natürlich ausgefüllt werden müssen. Kasi Lemmons tut dies arg konventionell, vollkommen unkritisch und indem sie das ganze Leben von Whitney Houston von ihren musikalischen Anfängen bis zu ihrem Tod erzählt. In 145 Minuten erzählt sie 30 Jahre Leben, garniert mit 22 neu abgemischten Hits aus Houstons Repertoire, die auch im Film weitgehend von Houston gesungen werden. Für die Fans der vor zehn Jahren verstorbenen Sängerin dürfte das genug sein, um sich das Biopic anzusehen.

Aber für alle anderen gibt es erstaunlich wenig Gründe, sich „Whitney Houston: I wanna dance with somebody“ anzusehen. Das beginnt mit der Machart. Lemmons erzählt einfach Stationen und Episoden aus dem Leben der Sängerin nach. Filmisch aufregend ist da, im Gegensatz zu Luhrmanns „Elvis“ (der ersten Hälfte) oder Dexter Fletchers grandiosem Elton-John-Biopic „Rocketman“, nichts.

Die Geschichte selbst krankt an der bis auf wenige Ausnahmen zum Scheitern verurteilten Idee, in einem Film ein ganzes Leben abzuhandeln. Besser ist es, sich auf eine wichtige Phase im Leben der porträtierten Person zu konzentrieren oder einen bestimmten Teil des Lebens dieser Person im Gegensatz zu allen anderen Phasen radikal hervorzuheben.

In „Whitney Houston: I wanna dance with somebody“ geht es, bis auf zwei Jahreszahlen am Filmanfang, ohne weitere Jahreszahlen chronologisch und an den falschen Stellen elliptisch durch die Jahrzehnte. Da wird von ihrer ersten Veröffentlichung gleich etliche Hits weiter gesprungen. Von den Dreharbeiten an ihrem ersten Film geht es zu der Bemerkung, dass sie inzwischen in drei Filmen mitgespielt habe. Arista-Chef Clive Davis sagt einmal, sie habe seit sieben Jahren keine LP mehr veröffentlicht. Sie heiratet Bobby Brown. Ihre Tochter ist im nächsten Bild ein ungefähr sechsjähriges Kind und im übernächsten ein Teenager. Houston ist plötzlich drogensüchtig und soll in eine Entziehungsklinik gehen. Sie begibt sich auf eine Welttournee. Kurz darauf ist sie tot. So episodisch und unverbunden, wie ich das jetzt aufgeschrieben habe, wird Houstons Leben, mit etlichen Live-Auftritten, im Film präsentiert.

In all den Episoden wird vieles angesprochen, aber auch nichts vertieft. Einiges, wie Bobby Browns bekannte Gewalttätigkeit, wird übergangen. Houstons Drogensucht wird oberflächlich angesprochen. Ihre Beziehung zu ihrer Jugendfreundin Robyn Crawford wird am Filmanfang ausführlich als auch lesbische Beziehung gezeigt. Irgendwann in der zweiten Filmhälfte verschwindet Crawford ohne Erklärung aus dem Film. Houstons Zerrisenheit zwischen der von ihr gewünschten Akzeptanz beim schwarzen Publikum und ihrem Erfolg beim weißen Publikum wird ebenfalls angesprochen, aber nicht vertieft. Ihr später immer wieder behaupteter Kampf um künstlerische Unabhängigkeit wird schon beim ersten Gespräch mit ihrem außergewöhnlich verständnisvollem Plattenproduzenten Davis (der auch einer der Produzenten dieses Films ist) konterkariert. Sie fordert die besten Komponisten für die besten Songs, die sie musikalisch herausfordern. Die Sängerin bekommt sie. Später wählt sie in gemeinsamen Sitzungen spontan neue Songs aus – und Davis stimmt ihr immer zu.

Zwischen all diesen Episoden ist abseits der reinen Chronologie kein roter Faden und auch kein eigenständiger Zugriff auf das Leben von Whitney Houston erkennbar. Weil Lemmons fast vollständig auf Jahreszahlen und tiefergehende Informationen verzichtet, empfiehlt sich vor dem Filmgenuß die Lektüre des Wikipedia-Artikels über die Sängerin. Der füllt dann die Lücken aus, die der Film hat.

Dabei hätte Houstons Leben für so vieles stehen können. Dafür hätte es natürlich einen Drehbuchautor und Regisseurin gebraucht, die eine eigenständige Sicht auf Houstons Leben entwickelt hätten und uns erzählen würden, warum wir uns heute für Whitney Houston interessieren sollten. Also inwiefern sie für irgendetwas ein Vorbild, gerne auch ein schlechtes Vorbild, sein könnte.

Dieser mangelnde Mut macht „Whitney Houston: I wanna dance with somebody“ zu einem Biopic, das all die Probleme hat, die entstehen, wenn in zwei Stunden das gesamte Leben der porträtierten Person von ihren Anfängen bis zu ihrem Tod behandelt wird und wenn im Film porträtierte Personen oder Angehörige der porträtierten Person beteiligt sind. Da ist kein Platz für kritische Worte. 

Am Ende erschöpft sich die Leistung dieses Biopics in der Aufbereitung von 22 Popsongs für das Kino.

Whitney Houston: I wanna dance with somebody (Whitney Houston: I wanna dance with somebody; USA 2022)

Regie: Kasi Lemmons

Drehbuch: Anthony McCarten

mit Naomi Ackie, Stanley Tucci, Ashton Sanders, Tamara Tunie, Nafessa Williams, Clarke Peters

Länge: 145 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Whitney Houston: I wanna dance with somebody“

Metacritic über „Whitney Houston: I wanna dance with somebody“

Rotten Tomatoes über „Whitney Houston: I wanna dance with somebody“

Wikipedia über „Whitney Houston: I wanna dance with somebody“ (deutsch, englisch) und Whitney Houston (deutsch, englisch)

AllMusic über Whitney Houston

History vs. Hollywood wirft einen Blick auf das Biopic

Meine Besprechung von Nick Broomfield/Rudi Dolezals „Whitney – Can I be me“ (Whitney: Can I be me, USA/Großbritannien 2017) (sehr gelungene Doku über die Sängerin)

 


TV-Tipp für den 4. Oktober: Bohemian Rhapsody

Oktober 4, 2020

Pro7, 20.15

Bohemian Rhapsody (Bohemian Rhapsody, USA 2018)

Regie: Bryan Singer, Dexter Fletcher (ungenannt)

Drehbuch: Anthony McCarten (nach einer Geschichte von Anthony McCarten und Peter Morgan)

TV-Premiere. Nicht besonders tiefgründiges, aber fett rockendes Biopic über Freddie Mercury und die Rockband „Queen“, von der so Gassenhauer wie „Bohemian Rhapsody“, „We will rock you“ (funktioniert in jedem Stadion) und „We’re the Champions“ (funktioniert in jeder Fankurve) stammen.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

Anschließend, um 23.00 Uhr, zeigt Pro7 die spielfilmlange Doku „Queen – Days of our Lives“ (Großbritannien/Deutschland 2011) und danach, um 01.25 Uhr „Queen: Live at Wembley“ (Großbritannien 1986) und danach, um 02.30 Uhr, wieder „Bohemian Rhapsody“.

mit Rami Malek, Lucy Boynton, Ben Hardy, Joseph Mazzello, Mike Myers, Gwilym Lee, Aidan Gillen, Allen Leech, Tom Hollander, Aaron McCusker

Wiederholung: Montag, 6. Oktober, 02.30 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Moviepilot über „Bohemian Rhapsody“

Metacritic über „Bohemian Rhapsody“

Rotten Tomatoes über „Bohemian Rhapsody“

Wikipedia über „Bohemian Rhapsody“ (deutsch, englisch) und Queen (deutsch, englisch)

Hollywood vs. History stellt die böhmische Wahrheitsfrage

AllMusic über Queen

Meine Besprechung von Bryan Singers „X-Men: Zukunft ist Vergangenheit“ (X-Men: Days of Future Past, USA 2014)

Meine Besprechung von Bryan Singers „X-Men: Apocalypse“ (X-Men: Apocalypse, USA 2016)

Meine Besprechung von Bryan Singers „Bohemian Rhapsody“ (Bohemian Rhapsody, USA 2018)


Neu im Kino/Filmkritik: „Bohemian Rhapsody“ – ein Band-Biopic ohne Tiefgang

Oktober 31, 2018

Muss „Queen“ groß vorgestellt werden? Die Band, die uns so Perlen des Stadionrocks wie „We are the Champions“ (ungefähr bei jedem Fußballspiel zu hören) und „We will rock you“ (ungefähr bei jeder Party zu hören) bescherte und das als „A Kind of Magic“ bezeichnete?

Wahrscheinlich nicht.

Aber wahrscheinlich kennen die meisten nur den charismatischen Leadsänger der Band und einige ihrer Hits.

Da kann, wenn man nicht einige Lexika-Artikel, Reportagen oder sogar ein Buch über die Band lesen will, ein Dokumentarfilm oder ein Biopic, wie „Bohemian Rhapsody“, Bildungslücken schließen. Wobei man bei den Biopics vor dem angeberischen Gespräch in der Kneipe wenigstens der Wikipedia-Artikel durchlesen sollte. Denn auch in Bryan Singers „Queen“-Biopic triumphiert im Zweifelsfall die gut erzählte Anekdote und die bildgewaltige Verknappung über der historischen Genauigkeit.

In „Bohemian Rhapsody“ erzählt Singer die Geschichte von Freddie Mercury und „Queen“ von ihrer ersten Begegnung 1970 bis zu ihrem weltweit ausgestrahltem Live-Aid-Auftritt am 13. Juli 1985 im Londoner Wembley Stadion. Dieses inzwischen legendäre Kurzkonzert bildet den erzählerischen Rahmen des Films, der in den Gängen des Stadions beginnt, in das London von 1970 springt, chronologisch die Geschichte von „Queen“ erzählt und mit dem Live-Auftritt endet. „Bohemian Rhapsody“ zeigt in diesem ausführlich nachgestelltem Moment die Rockband auf dem Höhepunkt ihres globalen Ruhms.

Der Film konzentriert sich dabei auf Freddie Mercury (grandios gespielt von Rami Malek), der als begnadeter Entertainer und visionärer Bandleader gezeigt wird. Die anderen Musiker von „Queen“ – Gitarrist Brian May, Bassist John Deacon und Schlagzeuger Roger Taylor – sind nur die Staffage für die als alles bestimmende Rampensau Mercury.

Dabei überschreitet der Film immer wieder die Grenze zur Parodie. Denn in dem Biopic sind die bekannten „Queen“-Songs von Anfang an perfekt. Das Publikum ist konstant begeistert. Und die Band ist eine ultra-harmonische Familie sympathischer und akademisch gebildeter Zeitgenossen. Brian May promovierte sogar in Astrophysik.

Über etwaige Probleme und unangenehme Punkte wird hinweggegangen. Das gilt vor allem für Mercurys Sexualpartner und seine HIV-Infektion, von der er erst nach dem Live-Aid-Konzert erfuhr. Beides wird im Film nur gestreift, während in jeder Minute die passende Zeile aus einem „Queen“-Song ertönt. Bei der Songauswahl wird konsequent nach dem Prinzip „Wenn der Song zur Szene passt, wird er genommen.“ vorgegangen. Schließlich werden in einem Konzert die Songs auch nicht nach ihrer Entstehung gespielt.

Viele Songs werden auch auf der Bühne gespielt und der zwanzigminütige, sorgfältig geprobte Live-Aid-Auftritt wird, als Höhepunkt des Films, fast vollständig nachgespielt. Der Auftritt war auch ein Best-of-Queen-Medley.

Als Konzertfilm mit einigen mehr oder weniger wahren biographischen Informationen über die Band und etlichen witzig pointierten Szenen, funktioniert „Bohemian Rhapsody“ daher ausgezeichnet.

Das ist alles allerdings durchgehend reichlich oberflächlich. Es ist eine Heldenverklärung, die auch damit erklärt werden kann, dass Mercurys frühere Mitmusiker Brian May und Roger Taylor, die noch heute als „Queen“ auftreten, als Berater stark in den Film involviert waren und die Macher einen Film machen wollten, der ihnen und den anderen in die Geschichte von „Queen“ involvierten Menschen gefällt. Immerhin hätten sie mit ihrem Veto den Film stoppen können..

Für eine auch nur ansatzweise kritische Sicht ist das tödlich. Damit fällt Singers Musikfilm deutlich, um nur die neueren Musiker-Biopics zu nennen, hinter Tate Taylors „Get on Up“ (über James Brown), F. Gary Grays „Straight Outta Compton“ (über N. W. A.), Robert Budreaus „Born to be Blue“ (über Chet Baker) und Bill Pohlads „Love & Mercy“ (über „Beach Boys“-Mastermind Brian Wilson) zurück.

Er hat auch kein Interesse an der Schlüssellochperspektive, die es zuletzt in Dokus wie Brett Morgens „Cobain: Montage Of Heck“ und Asif Kapadias „Amy“ (über Amy Winehouse) gab.

Bohemian Rhapsody“ ist auch als Bryan-Singer-Film enttäuschend. Nicht auf der formalen Ebene. Da rockt der Film. Sondern, obwohl Singer immer vor allem ein Mainstream-Regisseur für ein Mainstream-Publikum ist, auf der persönlichen Ebene. In seinen vorherigen Filmen, wie „Der Musterschüler“ und vor allem den „X-Men“-Filmen, ging es immer um Außenseiter, ihre Rolle in der Gesellschaft und wie die Gesellschaft sie sieht und die Auswirkungen und der Umgang mit der Nazi-Zeit.

Das waren immer auch und leicht erkennbar, persönliche Filme. Singer wurde als Kind adoptiert, wuchs in einer jüdischen Familie auf und ist bisexuell. Die Parallelen zwischen seinem und Freddy Mercurys Leben sind offensichtlich.

Mercury wurde am 5. September 1946 in Sansibar (heute Tansania) als Farrokh Bulsara geboren. Seine Eltern kamen aus Indien und zogen später mit ihm und seiner Schwester nach London. Mercury war ebenfalls bisexuell und erst einen Tag vor seinem Tod am 24. November 1991 machte er seine bereits 1987 diagnostizierte AIDS-Erkrankung publik. Das alles wird im Musikfilm erwähnt, aber nie weiter vertieft. Es sind Dinge, die man gerne verschwiegen hätte, aber nicht verschweigen konnte. Also begräbt man sie unter einem Berg von Band-Kameradie und Rockmusik.

So ist der Film „Bohemian Rhapsody“ wie der Song „Bohemian Rhapsody“: laut, oberflächlich und auf eine primitive Art mitreisend. Am Ende ist Singers Biopic 135 Minuten Fanservice mit einem Best-of-Soundtrack und verklärenden Zwischenszenen. .

Bohemian Rhapsody (Bohemian Rhapsody, USA 2018)

Regie: Bryan Singer, Dexter Fletcher (ungenannt)

Drehbuch: Anthony McCarten (nach einer Geschichte von Anthony McCarten und Peter Morgan)

mit Rami Malek, Lucy Boynton, Ben Hardy, Joseph Mazzello, Mike Myers, Gwilym Lee, Aidan Gillen, Allen Leech, Tom Hollander, Aaron McCusker

Länge: 135 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

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Moviepilot über „Bohemian Rhapsody“

Metacritic über „Bohemian Rhapsody“

Rotten Tomatoes über „Bohemian Rhapsody“

Wikipedia über „Bohemian Rhapsody“ (deutsch, englisch) und Queen (deutsch, englisch)

Hollywood vs. History stellt die böhmische Wahrheitsfrage

AllMusic über Queen

Meine Besprechung von Bryan Singers „X-Men: Zukunft ist Vergangenheit“ (X-Men: Days of Future Past, USA 2014)

Meine Besprechung von Bryan Singers „X-Men: Apocalypse“ (X-Men: Apocalypse, USA 2016)

Und hier das „Live Aid“-Konzert

https://www.youtube.com/watch?v=ktYlzVYQbwY


Neu im Kino/Filmkritik: Gary Oldman ist Winston Churchill in „Die dunkelste Stunde“

Januar 20, 2018

Das ist Gary Oldmans Films.

Gut, das hat man früher öfter gesagt. Bei „Sid & Nancy“, „Bram Stokers Dracula“, „Romeo is bleeding“, „Leon – Der Profi“, „Das fünfte Element“ und „Air Force One“. Meistens spielte er den Bösewicht und er okkupierte einfach den Film. In den letzten Jahren verlegte er sich auf mehr oder weniger unauffällige Kurzauftritte. Sein George Smiley in „Dame, König, As, Spion“ war die gelungene Verkörperung eines unauffälligen Mannes. In etlichen weiteren Filmen stand er ebenfalls auf der Seite der Guten.

Jetzt, in „Die dunkelste Stunde“ hat Gary Oldman in jeder Beziehung die Hauptrolle übernommen. Er spielt Winston Churchill. Unter der Maske erkennt man Oldman nicht mehr. Sein Spiel unterscheidet sich von all seinen anderen Rollen.

Churchill ist immer noch ein britisches Nationalheiligtum. Er führte im Zweiten Weltkrieg Großbritannien in den siegreichen Kampf gegen Hitler-Deutschland. Der Anfang war die Schlacht um Dünkirchen und die Rettungsoperation Dynamo, die vor einigen Monaten im Kino (und inzwischen auf DVD) von Christopher Nolan in „Dunkirk“ sehr beeindruckend geschildert wurde. Nolan verzichtet in seinem Kriegsfilm auf historische Erklärungen und Hintergründe. Die liefert jetzt Joe Wright in „Die dunkelste Stunde“. Deshalb kann man seinen Film gut als Ergänzung und, wenn man ein Double-Feature haben will, Vorfilm für „Dunkirk“ betrachten.

Wright schildert, wie Winston Churchill, ein Grantler vor dem Herrn, im Mai 1940 nach dem glücklosen Premierminister Neville Chamberlain zu seinem Nachfolger ernannt wird und wie er sich durch das Minenfeld von Parteiintrigen, die ihn als Kompromisskandidaten sehen, und einem missgünstigen König George VI (Ben Mendelsohn, grandios in einer kleinen Rolle), den Weg zu der großen, noch heute bekannten und viel zitierten Rede am 4. Juni 1940 bahnt. In dieser Rede rief er, nach der erfolgreichen Evakuierung der in Dünkirchen von den Deutschen eingeschlossenen Soldaten, zum kompromisslosen Kampf gegen Hitler-Deutschland auf.

Der Film schildert wenige Wochen, die für Churchills Nachruhm entscheidend sind.

Die dunkelste Stunde“ ist, die britische Seele streichelndes, historisches Erbauungskino, das sich auf die Schauspieler und Dialoge konzentriert und, wenn Churchill vor seiner großen Rede in der U-Bahn die normalen Briten um Rat fragt, nicht vor Kitsch zurückschreckt. Das ist, schließlich handelt es sich um einen Spielfilm und keinen Dokumentarfilm, historisch weitgehend akkurat. So ist Churchills U-Bahnfahrt historisch nicht verbürgt. Aber er war immer wieder in Pubs und unterhielt sich mit den Gästen.

Neben Oldman werden die anderen Schauspieler, wie Kristin Scott Thomas als Churchills Frau, Lily James als seine neue Sekretärin, Ronald Pickup als Neville Chamberlain und Stephen Dillane als Viscount Halifax, zu Stichwortgebern.

Denn im Mittelpunkt von Wrights Heldensaga steht Gary Oldman mit einer Performance und einer Rolle, die nach dem Oscar für den besten Hauptdarsteller schreit. Den Golden Globe hat er schon gewonnen.

Die dunkelste Stunde (Darkest Hour, Großbritannien 2017)

Regie: Joe Wright

Drehbuch: Anthony McCarten

mit Gary Oldman, Kristin Scott Thomas, Lily James, Stephen Dillane, Ronald Pickup, Ben Mendelsohn, Nicholas Jones, Samuel West, David Schofield, Richard Lumsden, Malcolm Storry

Länge: 126 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Die dunkelste Stunde“

Metacritic über „Die dunkelste Stunde“

Rotten Tomatoes über „Die dunkelste Stunde“

Wikipedia über „Die dunkelste Stunde“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Joe Wrights „Wer ist Hanna?“ (Hanna, USA/GB/D 2011)

Die TIFF-Pressekonferenz

Joe Wright und Gary Oldman reden über den Film

Gary Oldman, Ben Mendelsohn und Kristin Scott Thomas reden über den Film

Gary Oldman und Ben Mendelson reden über den Film (schlechter Sound)