LV: Antony Johnston/Sam Hart: The Coldest City, 2012 (The Coldest City)
Berlin, 1989, vor dem Fall der Mauer: ein britischer Geheimagent wird getötet. Er hatte eine Liste bei sich, die nicht in die falschen Hände fallen darf. Der MI6 schickt seine beste Agentin los. Kurz darauf prügelt Agentin Lorraine Broughton (Charlize Theron) sich durch das feindiche Gelände.
Action- und wendungsreicher, in Berlin spielender Agententhriller, der viel zu stylish für Berlin ist.
mit Charlize Theron, James McAvoy, John Goodman, Til Schweiger, Eddie Marsan, Sofia Boutella, Toby Jones, Roland Møller, Bill Skarsgård, Barbara Sukowa
Noch bekämpfen sich westliche und östliche Geheimdienste. Wenn sie nicht gerade miteinander kooperieren und dabei, vielleicht, versuchen, sich gegenseitig zu betrügen.
In diese Schattenwelt der Spione entführt David Leitch uns mit seinem Spielfilmdebüt „Atomic Blonde“. Davor war der Stuntman bei Filmen wie „The Wolverine“, „Jurassic World“, „Hitman: Agent 47“ und „Captain America: Civil War“ Second Unit Director und bei „John Wick“ der Regisseur, dessen Namen wegen der DGA-Regeln nicht genannt wurde. Im Moment dreht er den zweiten „Deadpool“-Film. Aber „John Wick“ ist die Referenz, die die Werbung für den Film anpeilt. Ein stylischer Agententhriller mit einer Frau, die keinem Kampf aus dem Weg geht, als Protagonisten und atemberaubenden Actionszenen wird versprochen.
Charlize Theron spielt sie. Lorraine Broughton ist eine britische Agentin, die wenige Tage vor dem Fall der Mauer nach Berlin geschickt wird. Sie soll von einem Stasi-Offizier, der den Codenamen Spyglass hat, eine Liste beschaffen, die alle Identitäten und persönlichen Details der westlichen Agenten, die im Moment in Berlin arbeiten, enthält. Jeder, immerhin ist die Liste der klassische MacGuffin, will diese brisante Liste haben.
Schon vor ihrem Eintreffen in Berlin ist Broughtons Tarnung aufgeflogen. Auf der Fahrt vom Flughafen Tempelhof zum Hotel erledigt sie deshalb im fahrenden Auto ihre Begleiter.
Trotz aufgeflogener Tarnung bleibt sie in Berlin und versucht an die Liste zu kommen, während sie sich fragt, wem sie trauen kann. Denn neben den für verschiedene Geheimdienste arbeitenden Agenten gibt es auch Doppel-, Trippel- und Doppel-Doppel-Agenten, die sich munter bekriegen, bis schließlich die Operation so sehr aus dem Ruder läuft, dass – und das ist in der Comicvorlage und dem Film die Rahmenhandlung – die mit blauen Flecken übersäte Broughton unmittelbar nach dem Einsatz ihrem MI6-Vorgesetzten und einem hochrangigen CIA-Geheimdienstler Bericht erstatten muss.
Obwohl Regisseur Leitch und Drehbuchautor Kurt Johnstadt („300“) viel Zeit auf diesen letztendlich hoffnungslos verworrenen und unglaubwürdigen Geheimdienstplot der John-le-Carré-Schule verwenden, bekommen sie die Geschichte nie in den Griff. Das liegt auch daran, dass Leitch die Inszenierung, der schöne Schein, das Spiel mit Zitaten und die Action wichtiger sind.
Berlin wird bei ihm zu einem neonbunten 80er-Jahre-Retrofest. Bekannte Songs, wie „99 Luftballons“, „Der Kommissar“, „Major Tom“, „Cat People“ und, an einem arg unpassenden Moment eingesetzt, „London Calling“, werden exzessiv und die Handlung wenig subtil kommentierend eingesetzt, während die Bilder direkt aus einem Musikvideo stammen könnten.
Hier zeigt sich ein Stilwille, der in die Prätention umschlägt. Entsprechend ist der Humor auch eher behauptet als wirklich vorhanden. „Atomic Blonde“ besitzt halt nie den subversiven Humor von „John Wick“ und Leitch ist als Regisseur nicht so talentiert wie „John Wick“-Regisseur Chad Stahelski, der den Humor und die Anspielungen auf andere Filme gelungener in die „John Wick“-Filme integriert. Außerdem arbeitet er erkennbar an einem vollkommen eigenen Action-Stil.
Die Action, die in der Werbung für den Film im Mittelpunkt steht, dominiert „Atomic Blonde“ dann doch nicht so sehr wie man erwarten könnte. Es gibt angesichts der geschürten Erwartung eines zweistündigen Non-Stop-Actionfilms eigentlich sogar ziemlich wenig Action, aber die ist dann – wir erinnern uns an „John Wick“ -, soweit möglich, ziemlich altmodisch und mit wenigen Schnitten inszeniert. Man will die Stuntmen bei der Arbeit sehen. Und genau wie Darsteller Keanu Reeves, der John Wick spielt, verzichtet Charlize Theron bei den Actionszenen fast vollständig auf ein Double. Entsprechend beeindruckend ist eine fast zwölfminütigen Schlägerei und Schießerei zwischen Theron und einigen Bösewichtern, die in einem Fahrstuhl beginnt und sich über mehrere Stockwerke und durch eine verlassene Wohnung bis zur Straße hinunter hinzieht. Leitch hat sie so inszeniert, dass sie wie eine ungeschnittene Szene wirkt. Weil er hier und in den anderen Actionszenen immer wieder mit Nahaufnahmen und Wackelkamera arbeitet, fällt auch auf, dass Theron nicht so fit wie Reeves ist.
Der Film wurde in Budapest und Berlin gedreht und als Berliner erkennt man auch erfreulich viele Drehorte; auch wenn die Macher sich letztendlich nicht darum kümmerten, ob die Orte wirklich so nebeneinander liegen, wie der Actionthriller es suggeriert.
Das alles erfreut das Auge, während die Geschichte sich in nebulösen Spionageintrigen und halbseidenen Geschäften erschöpft. Die Charaktere bleiben alle eindimensionale Abziehbilder. Comiccharaktere in einer Comicwelt. Vor allem Charlize Theron marschiert terminatorgleich und ohne eine Miene zu verziehen durch den Film. Entsprechend schwer bis unmöglich ist es, irgendeine emotionale Bindung zu dieser Kunstfigur, die auch keinen Schmerz empfindet, aufzubauen. Dagegen gelingt es den hochkarätigen Nebendarstellern, ihren bestenfalls sparsam, meistens funktional gezeichneten Charakteren eine unglaubliche Tiefe zu verleihen. So hat Eddie Marsan als Spyglass nur, je nach Zählung, ungefähr drei Szenen, aber sein Porträt eines kleinen Beamten, der sein Land verrät und plötzlich um sein Leben kämpfen muss, ist absolut glaubwürdig und berührend.
Insgesamt ist „Atomic Blond“ eine mit zwei Stunden etwas lang geratene und mit einem unnötig komplizierten Plot gesegnete Agentenplotte mit viel Action und noch mehr allseits bekannten Hits.
Eine in Neon getauchte 80er-Jahre-Gedächtnisveranstaltung eben.
Der von Anthony Johnston geschriebene und Sam Hart in atmosphärischen, oft ins Abstrakte gehenden SW-Panels gezeichnete, grandiose Comic „The Coldest City“ beginnt zwar mit der gleichen Prämisse und der gleichen Struktur. Aber in Berlin bewegt sich die Geschichte, mit deutlich weniger Action, auf anderen Wegen.
Atomic Blonde (Atomic Blonde, USA 2017)
Regie: David Leitch
Drehbuch: Kurt Johnstad
LV: Antony Johnston/Sam Hart: The Coldest City, 2012 (The Coldest City)
mit Charlize Theron, James McAvoy, John Goodman, Til Schweiger, Eddie Marsan, Sofia Boutella, Toby Jones, Roland Møller, Bill Skarsgård, Barbara Sukowa
Für seine Jünger ist Alan Moore, der mit „Watchmen“, „Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ und „From Hell“ ja einige veritable Klassiker schrieb, ein Heiliger.
Für eher profane Geister ist er ein guter Comic-Autor mit einem durchwachsenem Oeuvre, wie auch ein Blick auf seine zuletzt in Deutschland erschienenen Werke zeigt.
„Fashion Beast“ ist seine neueste Kreation; – wobei das nicht so genau stimmt. Denn der Ursprung der Geschichte ist ein Filmtreatment von Alan Moore und Malcolm McLaren aus den Achtzigern, das jetzt von Antony Johnston zu einem Comic verarbeitet wurde.
In der in einer dystopischen Welt spielenden Geschichte träumt der Transvestit Doll, während die meisten Menschen um ihre nackte Existenz kämpfen, von einem Leben auf dem Laufsteg. Als sie ihre Arbeit als Garderobiere in einem Nobel-Disco verliert, spricht sie bei dem legendären Modeschöpfer Celestine vor – und wird, wider Erwarten, als Modell genommen.
Wahrscheinlich weil „Fashion Beast“ bereits 1985 geschrieben wurde, wirkt die Geschichte anachronistisch. Das zeigt sich vor allem daran, wie die Modewelt gezeichnet wird und dass das damalige Zeitgefühl, in dem man sich täglich vor der Apokalypse in Form eines Dritten Weltkriegs, den Grenzen des Wachstums, Umweltkatastrophen und damit dem Ende des westlichen Lebensmodells fürchtete und dem Ende mit einer nihilistischen Punk-Attitüde begegnete. Immerhin war der Modemacher Malcolm McLaren auch Manager der „Sex Pistols“.
Dazu gesellen sich storytechnische Probleme. Denn „Gefeuert“ erzählt die erste Hälfte der Geschichte von Doll. Allerdings erfolgte bislang nur ein Set-Up, bei dem weitgehend unklar ist, in welche Richtung die Geschichte sich bewegen soll.
„2009“ erzählt eine weitere, ziemlich kurze Geschichte aus der Welt der „Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“. Sie ist der abschließende Teil der Jahrhundert-Trilogie (aka Century-Trilogie), spielt 2009, wechselt ziemlich flüssig zwischen den verschiedenen Welten und verliert irgendwo dazwischen eine nachvollziehbare Geschichte. Immerhin erklärt ein Alan-Moore-Lookalike die Mission: „Dieses Reich hat sich darauf verlassen, dass du für uns den Propheten Antichrist findest, sodass wir die Apokalypse verhindern können.“
Wahrscheinlich aufgrund der Kürze fühlt sich die Geschichte wie eine Skizze an, die sich, auch aufgrund ihrer nur angerissenen Hintergrundgeschichten über die Hauptcharaktere, vor allem an Menschen richtet, die mit dem „Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“-Kosmos vertraut sind.
Deutlich besser ist, ebenfalls mit der „Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“, „Das schwarze Dossier“, das auch einen Blick in die Geschichte der Liga wirft, weil Wilhelmina ‚Mina‘ Murray und Allan Quatermain 1958 das titelgebende „Schwarze Dossier“ in einem England, das etwas anders ist, als das England, das wir aus den Geschichtsbüchern kennen, stehlen und es auf ihrer Flucht lesen. Das Dossier ist eine Sammlung von verschiedenen Dokumenten, die etwas mit der Geschichte der Liga zu tun haben, wie „Die Abstammung der Götter“ von Okkultfachmann Oliver Haddo, einer Faksimilie-Ausgabe des Trump-Heftes „Das Leben von Orlando“ (eine bebilderte Biographie), „Feenlands Schicksalsfügung“ von William Shakespeare, „Die neuen Abenteuer der Fanny Hill“ von John Cleland, ein Prospekt von London, wie es 1901 zur Zeit der ersten Murray-Gruppe aussah, „Die irrsinnig weite Ewigkeit“ von Sal Paradyse, eine „Zusammenfassung des des Direktors“ von M und einige Postkarten.
Das ist einerseits witzig zu lesen, wenn Autor Alan Moore und Zeichner Kevin O’Neill mit jedem Dokument radikal den Stil wechseln, sich Zeichengeschichten mit Texten abwechseln. Allerdings ist es auch ungefähr so spannend, wie die Lektüre einer Akte oder, positiv gesagt, einer Zeitschrift.
Dazwischen gibt es eine Verfolgungsjagd mit einem leichten „Die 39 Stufen“-Touch: Bulldog Drummond, Emma Night (aka Emma Peel) und eine James-Bond-Pastiche verfolgen Murray und Quatermain quer durch die englische Landschaft.
Das gelungenste Werk im neuen Output von Alan Moore ist „Neonomicon“. In dem Sammelband sind die sehr locker miteinander verbundenen Geschichten „The Courtyard“ (2003) und „Neonomicon“ (2010/2011) enthalten, die auf Lovecrafts Cthulhu-Mythos basieren und einige ungeahnte Hintergründe über die Entstehung der Cthulhu-Geschichten enthüllen.
In der ersten Geschichte „The Courtyard“ untersucht FBI-Agent Aldo Sax eine Serie von Ritualmorden und stößt auf eine vom Cthulhu-Mythos inspirierte Subkultur.
In der vierteiligen Geschichte „Neonomicon“ sitzt Sax in einem Hochsicherheitstrakt. Die FBI-Agenten Gordon Lamper und Merril Brears untersuchen eine ähnliche Mordserie in Connecticut. Sie vermuten, dass ein seit Jahrzehnten agierender Kult dahinter steckt. Undercover versuchen sie ihn zu infiltrieren, was keine so gute Idee ist.
–
Alan Moore (Manuskript, Original-Drehbuch)/Malcolm McLaren (Original-Drehbuch)/Antony Johnston (Comic-Skript)/Facundo Percio (Zeichnungen): Fashion Beast: Gefeuert (Band 1)
(übersetzt von Gerlinde Althoff)
Panini, 2013
132 Seiten
16,95 Euro
–
Originalausgabe
Fashion Beast # 1 – 5
August 2012 – Januar 2013
–
Alan Moore/Kevin O’Neill: Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen: 2009
(übersetzt von Gerlinde Althoff)
Panini, 2013
84 Seiten
12,95 Euro
–
Originalausgabe
The League of Extraordinary Gentlemen #3: 2009
2011
–
Alan Moore/Kevin O’Neill: Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen: Das schwarze Dossier
(übersetzt von Gerlinde Althoff)
Panini, 2013
212 Seiten
29,99 Euro
–
Originalausgabe
The League of Extraordinary Gentlemen: Black Dossier