Neu im Kino/Filmkritik: „The Fall Guy“, jetzt in der Kinoversion

Kommen wir zur nächsten TV-Serie, die zu einem Spielfilm verwurstet wird und mit viel Werbetamtam im Kino anläuft. Im Werbesprech heißt das dann „Neuinterpretation“ oder „zeitgemäßes Update“. Das Rezept besteht normalerweise aus einer neuen Story, die mit der Serie eher weniger als mehr zu tun hat, einigen Reminiszenzen an die Originalserie, die die mit der Serie verbundenen wohligen Erinnerungen der Menschen, die sie damals im TV gesehen haben triggern, einem Cameoauftritt der damaligen Stars am Filmende und der irrwitzigen Hoffnung der Macher auf den Start eines erfolgreichen Kino-Franchises. Das gelang, in den letzten Jahren, nur bei „The Equalizer“. „Starsky & Hutch“, „Miami Vice“, „Das A-Team“, „Baywatch“, „ChiPs“, „Codename U.N.C.L.E.“ und „Drei Engel für Charlie“ kamen und gingen.

Und jetzt ist „The Fall Guy“ an der Reihe. Bei uns lief die TV-Serie über den Stuntman und Kopfgeldjäger Colt Seavers als „Ein Colt für alle Fälle“. Produziert wurde die 113 Serienepisoden von 1981 bis 1986. Bei der Serie gefielen die Stunts, der Blick hinter die Kulissen von Hollywood (immerhin arbeitete Colt Seavers in jeder Folge auch als Stuntman auf einem Filmset) und die Auftritte der Gaststars. In den Geschichten jagten Colt Seavers und seine Freunde dann als Kopfgeldjäger flüchtige Verbrecher. Es gab etwas Humor und noch mehr Action.

Oder, in den Worten von Martin Compart in dem Standardwerk „Crime TV – Lexikon der Krimi-Serien“ (2000): „Aus hirnrissigen Drehbüchern, abgehalfterten Altstars (darunter immerhin Richard Burton) als Gästen und jeder Menge kaputter Autos bestand das Erfolgsrezept, das besonders Kinder begeisterte.“ Diese Kinder – die Serie lief in Deutschland im Vorabendprogramm – sind heute vierzig Jahre älter und können jetzt mit ihren Kindern ins Kino gehen und sich über Explosionen, Faustkämpfe, zerdepperte Autos, einige Wortgefechte und ein hirnrissiges Drehbuch freuen.

David Leitch, ein ehemaliger Stuntman, der mit „John Wick“ erfolgreich die Seiten wechselte und zuletzt „Bullet Train“ furios inszenierte, erzählt in „The Fall Guy“ so etwas wie die Vorgeschichte zur TV-Serie, ohne die Vorgeschichte zu sein. Im Film arbeitet Colt Seavers noch nicht als Kopfgeldjäger und wir erfahren auch nicht, wie er einer wird; – wobei es für diesen Job auch keinen elaborierten Grund geben muss. Es ist halt ein Job, den er macht, um Geld zu verdienen. Und für die Serie war es eine gute Prämisse, um ihn unzählige Abenteuer an verschiedenen Orten erleben zu lassen.

Im Film wird die Geschichte des Stuntmans Colt Seavers (Ryan Gosling) erzählt, der sich bei einem Set-Unfall schwer verletzt. Achtzehn Monate später wird er von der damaligen Produzentin angerufen. Er soll unbedingt nach Australien kommen und als Stuntman bei einem Film mithelfen, der anscheinend eine familientaugliche Mischung aus „Mad Max“ und „Firefly“ ist. Halt ein Science-Fiction-Film, in dem Aliens und Menschen sich am Strand kloppen, mit Autos rumfahren und ständig irgendetwas explodiert. Gedreht wird der Science-Fiction-Film „Metalstorm“ von Jody Moreno (Emily Blunt), seiner damaligen Freundin, die damals als Kamerafrau arbeitete und jetzt ihren ersten Film dreht.

Kurz nachdem er am Set angekommen ist, erfährt er von Gail Meyer (Hannah Waddingham), der Produzentin des Films, dass Tom Ryder (Aaron Taylor-Johnson), der Star des Films, spurlos verschwunden ist. Sie bittet Colt, der Ryders Stuntdouble war, den verschwundenen Star zu suchen und innerhalb weniger Stunden, bevor die Presse und die anderen Produzenten davon erfahren, zu finden.

Er beginnt ihn zu suchen und gerät in ein Komplott, das sogar für eine Episode einer TV-Serie eine dünne Suppe wäre. Gleichzeitig kabbeln sich Colt und Jody, die sich seit Colts Unfall nicht mehr gesehen haben und die immer noch ineinander verliebt sind. Und Colt hat, als ob die Liebesgeschichte nicht schon genug Ablenkung vom Krimiplot wäre, noch genug Zeit für zeitaufwändige Filmstunts.

Nach „John Wick“ (wo David Leitch die ungenannte Co-Regie führte), „Atomic Blonde“, Deadpool 2“ und „Bullet Train“ ist der garantiert jugendfreie „The Fall Guy“ eine ziemliche Enttäuschung. Anstatt dem Hauptplot – der Suche nach dem verschwundenem Filmstar – zu folgen, verzettelt der Film sich in Nebengeschichten, Episoden, Episödchen und ziemlich altbackene Insider-Gags über egomanische Stars und skrupellose Produzenten. Das alles ist nie so witzig, wie es gerne wäre.

Es gibt nur wenige Actionszenen, die immer erstaunlich lieblos und fahrig wirken. Öfters sehen sie sogar wie im Studio gedrehte und mit schlechten CGI-Effekten aufgepeppte Szenen aus. Im Abspann werden dann Aufnahmen von den Dreharbeiten gezeigt, die zeigen, dass viele der Actionszenen vor Ort gedreht wurde. Aber an dem ersten desaströsen Eindruck aus dem Film ändert sich nichts mehr. Außerdem hatte Leitch es bei seinen vorherigen Filmen nicht nötig, solche Bilder von den Dreharbeiten zu zeigen. Die Bilder im Film zeigten schon, dass vor Ort gedreht wurde.

Zwischen den wenig beeindruckenden Actionszenen und dem noch weniger vorhandenem Krimiplot nehmen die endlos langen Kabbeleien zwischen Ryan Gosling und Emily Blunt so viel Zeit in Anspruch, dass „The Fall Guy“ über weite Strecken eine ziemlich nervige RomCom ist. Gosling und Blunt verstehen sich zwar gut vor der Kamera, aber ihre sich schnell wiederholenden Streitereien ziehen sich viel zu lang hin.

Am Ende ist „The Fall Guy“ ein Film, der aus den umfangreichen Resten einer RomCom-Improvisation, einem 80er Jahre B-Science-Fiction-Actionkracher, einer läppischen Actionkomödie und einer Synopse für einen banalen TV-Krimi zusammengeklebt und mit einem Retro-Soundtrack garniert wurde.

Das hat mich nie begeistert und über weite Strecken sogar gelangweilt.

Vielleicht hätten die Macher einfach beim Serienkonzept bleiben sollen. Dann hätten sie erzählt, wie ein Stuntman, der als Kopfgeldjäger arbeitet, einen flüchtigen Verbrecher jagt und die Story mit reichlich Action und Anspielungen auf Hollywood garniert. Hätte eine schöne Actionkomödie werden können.

P. S.: Es gibt eine Abspannszene.

The Fall Guy (The Fall Guy, USA 2024)

Regie: David Leitch

Drehbuch: Drew Pearce (nach der TV-Serie von Glen A. Larson)

mit Ryan Gosling, Emily Blunt, Aaron Taylor-Johnson, Hannah Waddingham, Teresa Palmer, Stephanie Hsu, Winston Duke, Lee Majors (Cameo am erwartbaren Ort)

Länge: 127 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „The Fall Guy“

Metacritic über „The Fall Guy“

Rotten Tomatoes über „The Fall Guy“

Wikipedia über „The Fall Guy“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von David Leitchs „Atomic Blonde“ (Atomic Blonde, USA 2017)

Meine Besprehung von David Leitchs „Deadpool 2“ (Deadpool 2, USA 2018)

Meine Besprechung von David Leitchs „Fast & Furious: Hobbs & Shaw“ (Fast & Furious presents: Hobbs & Shaw, USA 2019)

Meine Besprechung von David Leitchs „Bullet Train“ (Bullet Train, USA 2022)

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