Attica Locke entdeckt „Heaven, my home“

Januar 30, 2020

Der schwarze Texas Ranger Darren Mathews muss wieder ran. In Marion County in Osttexas ist der neunjährige Levi King verschwunden. Er ist der Sohn eines inhaftierten führenden Mitglied der Arischen Bruderschaft, das so besorgt um das Wohlergehen seines Sohnes ist, dass er bereit ist, mit den Strafverfolgungsbehörden zu kooperieren. Für sie ist das eine gute Gelegenheit, der Arischen Bruderschaft einen empfindlichen Schlag zu verpassen. Wenn sie seinen Sohn Levi finden.

Zuletzt wurde Levi von Leroy Page gesehen. Er ist ein Schwarzer, der Ärger mit dem Jungen hatte und auch der Besitzer des Grundstücks ist, auf dem die Kings in einer White-Trash-Trailersiedlung leben.

Dieser Kriminalfall, in dem ein Ermittler in einer Kleinstadt ermittelt und allerhand schmutzige Wäsche entdeckt, würde bei einem anderen Autor locker für einen spannenden Krimi ausreichen. In Attica Lockes „Heaven, my home“ ist er allerdings ziemlich unwichtig und auch leicht durchschaubar. Wichtiger ist ihr Mathews‘ Privatleben, seine Gefühle für zwei verschiedene Frauen (mit einer ist er verheiratet), seine äußerst angespannte Beziehung zu seiner Mutter und die Folgen des Todes von Ronnie Malvo. Sein Tod war in Lockes erstem, mit dem Edgar Award und dem Ian Fleming Steel Dagger ausgezeichneten Darren-Mathews-Krimi „Bluebird, Bluebird“ eine Nebengeschichte. Damals half Mathews seinem alten Bekannten Rutherford ‚Mack‘ McMillan. Mack war angeklagt, den weißen Rassisten Ronnie Malvo erschossen zu haben. Die Tatwaffe, ein 38er, ist verschwunden. Später findet Mathews‘ Mutter sie und sie beginnt ihren Sohn damit zu erpressen.

In „Heaven, my home“ ist diese Geschichte fast schon die Hauptgeschichte. Weil Locke in ihrem neuen Roman die damaligen Ereignisse als bekannt voraussetzt, kümmert sie sich nicht um die Leser, die „Bluebird, Bluebird“ nicht gelesen oder die damaligen Ereignisse wieder vergessen haben. In „Heaven, my home“ erfahren wir mehr von den Ereignisse dieser Nacht, die dann wahrscheinlich im nächsten Mathews-Roman zu neuen Erkenntnissen und Entwicklungen führen.

Für Neueinsteiger sind das alles sich über Seiten hinziehende längliche Ablenkungen von dem ebenfalls nicht besonders spannenden Hauptfall.

Alles spielt sich vor dem eindrücklich beschriebenem Hintergrund des alltäglichen Rassismus in Texas ab. Deshalb hat Mathews, vor allem bei Gesprächen mit Weißen, seine Dienstwaffe immer in Reichweite. Der Roman spielt wenige Tage nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten. Attica Locke zeigt allerdings auf fast jeder Seite, dass die Rassisten diese Ermutigung überhaupt nicht gebraucht haben.

Attica Locke: Heaven, my home

(übersetzt von Susanna Mende, mit einem Nachwort von Sonja Hartl)

Polar, 2020

328 Seiten

22 Euro

Originalausgabe

Heaven, my home

Mulholland Books/Little, Brown and Company, 2019

Hinweise

Homepage von Attica Locke

Polar über Attica Locke

Wikipedia über Attica Locke (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Attica Lockes „Bluebird, Bluebird“ (Bluebird, Bluebird, 2017)

Attica Locke spricht über „Bluebird, Bluebird“ (14. September 2017)


Black History Tage: Über Attica Lockes Kriminalroman „Bluebird, Bluebird“

Mai 20, 2019

So langsam – der Beginn war am 28. Februar mit „The Hate U Give“ – sind es Monate und Attica Lockes Kriminalroman „Bluebird, Bluebird“ passt nur so halb hinein. Obwohl Attica Locke eine Afroamerikanerin ist und ihr Romanheld, der Texas Ranger Darren Mathews, ein Afroamerikaner ist und es auch um Rassismus geht.

In Lark, einem Dorf in Osttexas, werden die weiße, zwanzigjährige, verheiratete Dorfschönheit Melissa ‚Missy‘ Dale und der durchreisende afroamerikanische, in Chicago lebende, fünfunddreißigjährige, ebenfalls verheiratete Anwalt Michael Wright ermordet. Zuerst findet man Wrights Leiche im Attoyac Bayou. Einige Tage später findet man Dales Leiche.

Mathews vermutet selbstverständlich einen rassistischen Hintergrund. Der Dorfsheriff ist anderer Ansicht. Trotzdem ermitteln sie, nachdem die Kompetenzen geklärt sind, mehr oder weniger gemeinsam.

Das ganze Set-Up erinnert sehr an John Balls 1966 von Norman Jewison verfilmten Roman „In der Hitze der Nacht“(In the Heat of the Night). Damals war der Afroamerikaner ein gebildeter, höflicher Mann, der dem Dorfpolizisten in jeder Beziehung haushoch überlegen war. Gebildet ist auch Mathews. Er ist allerdings – so haben sich die Zeiten geändert – ein Alkoholiker mit Eheproblemen. Diese und Mathews Erinnerungen nehmen einen großen Teil von Attica Lockes Roman „Bluebird, Bluebird“ ein. Der Kriminalfall selbst ist dagegen vernachlässigbar und auch bei den allzu oft alkoholdurchtränkten Ermittlungen muss sich Mathews mit der für die Lösung des Falls schon auf den ersten Blick erkennbar unwichtigen Vergangenheit der in den Fall involvierten Personen herumschlagen.

Insofern funktioniert „Bluebird, Bluebird“ nur bedingt als Polizeiroman. Dafür wird der Plot zu wenig vorangetrieben. Dafür wird ein fast schon episches Bild der Rassenkonflikte in Texas und vor allem in Lark entworfen.

Deshalb funktioniert „Bluebird, Bluebird“ besser, wenn man an das Buch mit den Leseerwartungen an einen Roman oder literarischen Kriminalroman herangeht. Dann kann man das ruhige, fast schon meditative Erzähltempo genießen. Wirklich überzeugend ist die dröge erzählte Geschichte auch dann nicht.

Vor allem wenn man „Bluebird, Bluebird“ mit anderen Romanen vergleicht, die das gleiche Thema behandeln. Mit dem Rassismus in Texas beschäftigt Joe R. Lansdale sich deutlich kurzweiliger. Mit dem Rassismus in den USA, wobei Washington, D. C., seine Spielwiese ist, George Pelecanos. Um nur zwei auch sprachlich überzeugendere Autoren zu nennen.

In den USA erhielt der Roman letztes Jahr zahlreiche Preise. Zu den für Krimifans wichtigen Preisen gehören der Edgar Award for Best Novel, Anthony Award for Best Novel und der CWA Ian Fleming Steel Dagger Award und die Nennungen in Listen wie der Washington Post 10 Best Thrillers and Mysteries of 2017 und der Kirkus Best Mysteries and Thrillers of 2017.

Attica Locke: Bluebird, Bluebird

(übersetzt von Susanna Mende)

Polar Verlag, 2019

336 Seiten

20 Euro

Originalausgabe

Bluebird, Bluebird

Mulholland Books/Little, Brown and Company, 2017

Hinweise

Homepage von Attica Locke

Polar über Attica Locke

Wikipedia über Attica Locke (deutsch, englisch)

Perlentaucher über „Bluebird, Bluebird“