Einige Bilder, einige Lesetipps

Mai 23, 2025

Weil es wohl noch einige Tage dauert, bis ich (abgesehen von einer Ausnahme) diese wunderbaren Werke der grafischen Literatur bespreche, gibt es schon heute einige Bilder von den Büchern und den kreativen Köpfen hinter den Büchern.

In „Die letzte Einstellung“ erzählt Isabel Kreitz die Geschichte des fiktiven Autors Heinz Hoffmann, der in Nazi-Deutschland in die innere Emigration geht. Als die UFA 1944 einen Ghostwriter für einen vom NS-Propagandaministerium geplanten ‚Durchhaltefilm‘ sucht, nimmt er zähneknirschend die Arbeit an.

Kreitz zeichnet die in Babelsberg und in der kriegsfernen Provinz aus dem Ruder laufenden Dreharbeiten für diesen kriegswichtigen Film akribisch nach und sie fragt, wie man als Künstler in einer Diktatur überlebt.

Wer will, kann und sollte sich anschließend Dominik Grafs Dokumentarfilm „Jeder schreibt für sich allein“ (Deutschland 2023, ausgehend von Anatol Regniers Sachbuch) über Autoren während der NS-Zeit ansehen.

Isabel Kreitz: Die letzte Einstellung

Reprodukt, 2025

312 Seiten

29 Euro

 

Schweigen“ heißt das neue Werk von Birgit Weyhe. In ihrer dokumentarischen Graphic Novel geht es um das Schweigen während und nach einer Diktatur. Sie erzählt darüber anhand von zwei Frauen – Ellen Marx und Elisabeth Käsemann – und, bei Marx, ihrem Leben während der Nazi-Diktatur und, bei Marx und Käsemann, ihrem Leben in den siebziger Jahren in Argentinien während der grausamen Militärdiktatur.

Ebenfalls empfehlenswert ist ihr vorheriger, hier bereits abgefeierter Comic „Rude Girl“. In dem Buch erzählt sie die Geschichte der Afroamerikanerin Priscilla Layne und unterhält sich, während des Schreibens, mit ihr über kulturelle Aneignung und ihre Zeichnungen, die sich durch diesen Austausch verändern.

Rude Girl“ war als erster Comic in der Kategorie Sachbuch für den Preis der Leipziger Buchmesse 2023 nominiert. Es stand auf der Shortlist für den Hamburger Literaturpreis als Buch des Jahres. Und Weyhe erhielt 2022 den wichtigen Max-und-Moritz-Preis als beste deutschsprachige Künstlerin.

Birgit Weyhe: Schweigen

avant-verlag, 2025

368 Seiten

39 Euro

Birgit Weyhe: Rude Girl

avant-verlag, 2022

312 Seiten

26 Euro

Genug Vergangenheit. Springen wir in die Zukunft. In „Metropolia: Berlin 2099“ erzählen Fred Duval (Szenario) und Ingo Römling (Bild – und im Bild) von der Suche des Privatermittlers Sasha nach einer Killerin, die sich irgendwo in Europas größter Metropole befindet. Sie soll einen genialen, für den Konzern Metropolia arbeitenden Ingenieur ermordet haben.

Seine einzige Spur ist ein Schuh, den sie auf ihrer Flucht verlor.

Der spannende Cyberpunk-Comic erinnert an Science-Fiction-Noirs wie „Blade Runner“, „The Matrix“ und, immerhin spielt ein großer Teil der Geschichte in einem riesigen, renovierungsbedürftigem Hochhaus, an „Dredd“, gekreuzt mit etwas gut abgehangenem Berlin-Feeling. Das Ergebnis ist ein überaus eigenständiges Werk, das die Tradition achtet und weiterentwickelt. Schließlich haben sich in den letzten Jahrzehnte auch die Technik und unsere Visionen einer zukünftigen Stadt weiterentwickelt

Fred Duval/Ingo Römling: Metropolia: Berlin 2099

Splitter, 2025

56 Seiten

18 Euro


Birgit Weyhe erzählt die Geschichte von „Rude Girl“

Juli 20, 2022

Als Birgit Weyhe in den USA an einer Universität im Mittleren Westen für zwei Monate unterrichtet und darüber erstaunt ist, dass sie im Supermarkt Schusswaffen, aber keinen Wein oder frisches Brot kaufen kann, erreicht sie eine Anfrage für ein Interview. Nach ihrer Rückkehr nach Berlin trifft sie sich mit Priscilla Layne, einer US-amerikanischen Germanistik-Professorin, die gerade in der deutsche Hauptstadt lebt. Die beiden Frauen verstehen sich gut. Weyhe hat später die Idee, einen Comic über Layne und ihr ungewöhnliches Leben zu zeichnen.

Aus dieser Idee entstand „Rude Girl“. In dem Comic erzählt Weyhe von Laynes Kindheit, Jugend und ihrem späteren Leben. Während Weyhe eine „mittelalte weiße Frau aus Norddeutschland“ (Selbstbeschreibung) ist, ist Layne eine Schwarze, die in den Achtzigern als Einwandererkind in Chicago aufwuchs und „Oreo“ genannt wurde, weil sie für eine Schwarze zu hellhäutig und für eine Weiße zu dunkelhäutig ist. Genau diese und die damit verbundenen weiteren Unterschiede zwischen den beiden Frauen werden in „Rude Girl“ durchgehend thematisiert.

Weyhe erzählt in ihrem Comic nämlich nicht nur die Geschichte von Layne, sondern sie reflektiert auch über aktuelle identitätspolitische Diskussionen und sie beginnt beim Erzählen der Lebensgeschichte von Priscilla Layne auch ein Gespräch mit ihr über ihre Arbeit. Zwischen die einzelnen biographischen Kapitel fügt Weyhe die – ebenfalls von ihr gezeichneten – Reaktionen und Kommentare von Layne auf ihre Zeichnungen und ihre Interpretation von Laynes Leben ein. Im nächsten Kapitel nimmt Weyhe dann Laynes Kritik auf. So bekommt Layne, die zuerst keine Hautfarbe hatte, einen dunkleren Hautton.

Das ist von seiner Idee und Machart interessant und gelungen umgesetzt. Außerdem füllen Laynes Kommentare einige Lücken in Weyhes Erzählung. Denn für meinen Geschmack wird Laynes Leben oft zu elliptisch erzählt. So hat die aus einer armen Familie kommende Layne plötzlich Empfehlung für eine renommierte Schule, später, ausgehend von einer Faszination für Ska, wird sie Skinhead und, einige Seiten später, Stipendiatin an der Freien Universität Berlin, Studentin in Berkeley und Professorin. Hier hätte ich gerne genauer erfahren, wie Layne Skinhead wurde und warum und wie sie sich später aus der Szene löste.

Trotz dieser Kritik ist „Rude Girl“ absolut lesenswert. Außerdem ist der Comic ein formal interessantes Experiment, das spielerisch identitätspolitische Diskurse in all seinen Facetten reflektiert.

Mitte Juni wurde Birgit Weyhe beim Comic Salon in Erlangen als „Beste deutschsprachige Comic-Künstlerin“ ausgezeichnet.

Birgit Weyhe: Rude Girl

avant-verlag, 2022

312 Seiten

26 Euro

Hinweise

Perlentaucher über „Rude Girl“

Wikipedia über Birgit Weyhe

Homepage von Birgit Weyhe