Kaum ist Ricky aus dem Knast entlassen, ist er schon in die nächste krumme Sache verwickelt. Zusammen mit seinem Bruder klaut er von kurdischen Gangstern zweieinhalb Kilo Heroin – und ab da geht alles gründlich schief.
TV-Premiere. Absolut gelungener deutscher Gangsterkrimi, der seine Vorbilder kennt.
Anschließend, um 00.30 Uhr, zeigt Sat.1, ebenfalls als TV-Premiere, Detlev Bucks Gangsterfilm „Aspahltgorillas“.
mit Moritz Bleibtreu, Birgit Minichmayr, Edin Hasanovic, Kida Khodr Ramadan, Franziska Wulf, Peter Simonischek, Lilly Wagner, Cem Öztabakci, Blerim Destani, Marie-Lou Sellem, Alexandra Maria Lara
Vor fünf Jahren bejubelten etliche Filmkritiker die „Lust am Genre“ im deutschen Film. Damals kamen parallel mehrere Kriminalfilme in unsere Kinos, die gelungen waren. Danach erlosch die Lust am Genre schneller als ein Strohfeuer. Der letzte deutsch(sprachig)e Kriminalfilm im Kino, der nicht Totalgrütze war, ist schon eine Weile her.
Özgür Yildirims „Chiko“ fällt einem ein. Inzwischen inszenierte er auch drei „Tatorte“ mit Wotan Wilke Möhring als Kommissar Thorsten Falke (Der Dritte wird dieses Jahr ausgestrahlt.). Bei seinem ersten „Tatort“ „Feuerteufel“ begann er auch an der Idee für seinen neuen Film „Nur Gott kann mich richten“ zu arbeiten. Es handelt sich dabei um ein waschechtes Gangsterdrama das Frankfurt am Main von einer sehr unglamourösen Seite zeigt. Es ist das Milieu der Klein- und Berufsverbrecher, die Stammgast im Knast sind, weil ihre Pläne größer als ihr Intellekt sind.
Ricky (Moritz Bleibtreu) ist so einer. Er wird nach fünf Jahren aus dem Knast entlassen. Bei einem grandios an der eigenen Unfähigkeit gescheitertem Überfall mit seinem Kumpel Latif (Kida Khord Ramadan) und seinem Bruder Rafael (Edin Hasanovic) nahm er die Hauptschuld auf sich. Jetzt will er ein ehrliches Leben führen. Er braucht dazu nur eine kleine Anschubfinanzierung für seinen Traum von einer Bar auf Cabrera.
Sein alter Kumpel Latif, inzwischen Besitzer einer schlecht gehenden Bar, vermittelt ihm einen Job. Er soll, mit einem zweiten Mann, die Albaner Branko und Fuad bei einem Drogendeal überfallen. Branko möchte nämlich die Drogen haben, ohne dafür zu bezahlen. Das ist ihm 50.000 Euro wert.
Vor dem fingierten Überfall wird Latif allerdings von der Polizei verhaftet. Ricky muss seinen nicht gerade zuverlässigen Bruder Rafael, der nichts mehr mit ihm zu tun haben will, um Hilfe bitten. Weil Rafael den ihn in Aussicht gestellten Teil des Geldes gut gebrauche kann, ist er einverdanden.
Der Überfall geht glatt über die Bühne, aber als Ricky und Rafael danach von der Polizei kontrolliert werden, gerät Rafael in Panik und es kommt zu einer Verfolgungsjagd durch Frankfurts Hinterhöfe, bei der Rafael die Beute verliert.
Die Tasche wird – wenn’s schon schiefgeht, dann geht alles schief – von einer Polizistin entdeckt, die die mit dem Heroin gefüllte Tasche nicht abgibt, sondern gewinnbringend verkaufen will. Sie könnte das Geld gut für ihre todkranke Tochter gebrauchen.
Weil der Albaner die spurlos verschwundenen Drogen haben will, erpresst er Ricky und Latif, der das Geschäft vermittelte. Also müssen sie die Drogen finden oder das nächste Verbrechen begehen, das nach Murphys Law nicht funktionieren kann.
Natürlich erfindet „Nur Gott kann mich richten“ das Genre nicht neu. Das will Özgür Yildirim auch nicht. Er will nur eine tief im Milieu verwurzelte Geschichte erzählen, in der ein Malheur dem nächsten folgt und alles etwas größer als das Leben ist. Natürlich mit den bekannten Klischees, Dialogen, Überhöhungen und wenigen Brechungen. So kümmert sich Ricky um seinen zunehmend dementen Vater (Peter Simonischek), der Rickys Bruder vergöttert.
Sowieso ist Ricky zwar der Vernünftigste unter den im Film agierenden Verbrechern. Aber Parkers Fußstapfen (der von Richard Stark erfundene eiskalte Profigangster) sind für ihn mehrere Nummern zu groß. Entsprechend wenig Illusionen hat man als Zuschauer über sein Schicksal. Das ist schon von der ersten Minute an vorgezeichnet.
Für Genrejunkies ist „Nur Gott kann mich richten“, trotz kleiner Schwächen, ein feiner Film.
Nur Gott kann mich richten (Deutschland 2017)
Regie: Özgür Yildirim
Drehbuch: Özgür Yildirim
mit Moritz Bleibtreu, Birgit Minichmayr, Edin Hasanovic, Kida Khodr Ramadan, Franziska Wulf, Peter Simonischek, Lilly Wagner, Cem Öztabakci, Blerim Destani, Marie-Lou Sellem, Alexandra Maria Lara
Deutsche Komödien – – – – nach dem Genuss einiger US-Komödien, deren Humor verklemmt unter der Gürtellinie bleibt und der ungefähr so witzig wie eine Gürtelrose ist, erscheinen deutschsprachige Komödien nicht mehr so schlimm. Gut sind sie trotzdem nicht, wie „Frauen“ und „Schrotten“ zeigen.
In „Frauen“ steigt K. O. Schott (Heiner Lauterbach) in die falsche Miet-Limousine. Er muss zu einem wichtigen Termin nach Bad Honnersheim. Viel später erfahren wir, dass er ein Millionär ist und zu seinem jüngsten Scheidungstermin gefahren werden will.
Sein Fahrer Rüdiger Kneppke (Martin Brambach) ist, egal welchen Standard man ansetzt, kein guter Chauffeur. Schlecht gekleidet, latent desorientiert, dumm wie Brot und nur am Quatschen, solange er nicht sein Blödel-Lieblingslied singt.
Kurz darauf springt Liz Tucha (Blerim Destani) in ihre Limousine. Der junge Mazedonier ist, wie wir erst viel später erfahren, ein Bräutigam auf der Flucht. Die betrogene Hochzeitsgemeinschaft verfolgt ihn und dass die Brüder der sitzengelassenen Braut Polizisten sind, verschlimmert die Situation von Tucha, Schott und Kneppke.
Ab jetzt ist das Trio, zusammengehalten durch den Willen des Drehbuchautors, auf einer ziemlich planlosen Reise durch Deutschland. Immer wieder unterhalten sie sich über Frauen, welche Probleme sie verursachen und warum Männer nicht von ihnen lassen können.
Aber öfter geht es um andere Dinge, krude Verwicklungen und, angesichts des Alters der beiden Hauptverantwortlichen, Regisseur Nikolai Müllerschön und Hauptdarsteller Heiner Lauterbach, die beide, wie schon bei dem letztendlich misslungenem Gangsterfilm „Harms“ auch zu den Produzenten gehören, einen Altherren- und Kneipenhumor, der selten amüsiert. Auch weil alle Charaktere mindestens grenzdebil sind.
Immerhin ist Tucha der Intelligenteste des Trios.
In „Schrotten“ wird Mirko Talhammer (Lucas Gregorowicz), ein halbseidener Versicherungsvertreter, der von seiner Familie, einer Schrotthändler-Dynastie, nichts mehr wissen will, von ebendiesen Familienmitgliedern bei seiner Arbeit besucht und zusammen geschlagen. Nur so können sie Mirko zur Beerdigung seines Vaters bringen und ihm seinen letzten großen Plan präsentieren: den Diebstahl eines mit wertvollem Schrott gefüllten Zuges. Dafür wollen sie in den Wald ein zweites Gleis legen.
Nach kurzem Zögern beschließt Mirko seinem Bruder Letscho (Frederick Lau) bei dem Diebstahl zu helfen. Denn Letscho beschwört zwar lautstark den Schrotthändler-Ethos, aber mit ihm als Kopf der Bande wird der Plan in einem Desaster enden.
Gleichzeitig verhandelt Mirko, der hoch verschuldet ist, hinter dem Rücken seiner Familie (Ganovenehre ist ja so etwas von 20. Jahrhundert) mit dem gegnerischen Schrotthändler Kercher (Jan-Gregor Kremp) über einen Verkauf des Thalheimerschen Erbe.
Das ist ähnlich ausgedacht wie die Drei-Männer-im-Auto-Idee von „Frauen“ und der geniale Plan in „Schrotten“ ist so bescheuert, dass es einen sprachlos macht.
Aber immerhin sind die Talhammers und ihr Clan ganz sympathisch in ihrem Zusammenhalt und Max Zähle rückt in seinem Spielfilmdebüt, nach seinem Oscar-nominiertem Kurzfilm „Raju“, ein Milieu in den Mittelpunkt, das vor einigen Jahrzehnten noch fest zum Landschaftsbild gehörte. Heute, seitdem Schrott Wertstoff ist, sind Schrotthändler ja eine aussterbende Spezies.
Der Humor ist beide Male eher grob. Die Zahl der Lacher beide Male überschaubar. Die Story beide Male unglaubwürdig.
Immerhin wurde beide Male versucht, keine typisch deutsche Schweiger/Schweighöfer-Familienkomödie abzuliefern.
Frauen (Deutschland 2016)
Regie: Nikolai Müllerschön
Drehbuch: Nikolai Müllerschön
mit Heiner Lauterbach, Blerim Destani, Martin Brambach, Victoria Mirovaya, Mark Keller, André Hennicke
Im Presseheft wird ausführlich auf die Finanzierung von „Harms“ eingegangen. Denn der Gangsterfilm entstand ohne Fördergelder. Das ist mutig, aber wenn man weiß, welche Filme normalerweise gefördert werden, auch konsequent. Denn Genregeschichten haben es schwer. So erzählte Sebastian Fitzek über die Produktion von „Das Kind“, dass das Projekt, obwohl es sich um eine Bestsellerverfilmung handelt (was für gute kommerzielle Aussichten spricht), sofort abgelehnt wurde, weil es sich um eine Genregeschichte handelt.
Nun, „Harms“ erzählt ebenfalls eine Genregeschichte, die wohl nicht nur Genrefans gut kennen: nach sechzehn Jahren, davon dreizehn Jahre für ein Ehrenwort, wird Harms, ein harter Knacki mit dem Herz am rechten Fleck, aus dem Gefängnis entlassen. Er besucht seine alten Freunde und fragt sich, was er mit seiner Zeit anstellen soll. Immerhin ist er nicht der mehr der Jüngste und die Job-Perspektiven sind mau. Rente gibt es auch nicht. Entsprechend trist und ohne Perspektive ist sein Leben zwischen Knacki-Männerwohngemeinschaft, einsam auf einer Wiese vor sich hin gammelnder Imbissbude und Eckkneipe. Er erträgt sein Schicksal stoisch, schweigsam und mit starrem Blick. Endstation eben.
Da wird er in einer noblen Hotelbar von einem älteren, wohlhabendem Mann angesprochen, der selbstverständlich ein doppeltes Spiel spielt. Er macht Harms ein Angebot, das er nicht ablehnen kann: den Überfall auf die Bundesbank, wo an einem bestimmten Tag 100 Millionen Euro in alten Scheinen sind, die vernichtet werden sollen. Einen helfenden Insider gibt es auch. Harms stellt eine Gang zusammen – und, ich verrate jetzt sicher nichts wirklich überraschendes, der Überfall geht schief.
Die Vorbilder und auch die Richtung, in die Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Nikolai Müllerschön („Der rote Baron“) und Hauptdarsteller und Produzent Heiner Lauterbach gehen wollen, ist klar: das klassische Gangsterfilmkino, in dem Berufsverbrecher eiskalt ihr Ding durchziehen, gemeinsam einen Überfall oder Einbruch planen und, spätestens nach der Straftat gegeneinander kämpfen. „Rififi“ und seine Parodie „Topkapi“ sind die Marksteine des Genres, in denen die Vorbereitungen und der Einbruch minutiös gezeigt werden und eine beträchtliche Spannung entwickeln.
Aber gerade die Vorbereitungen des Überfalls enttäuschen. Denn in „Harms“ finden sie kaum statt. Stattdessen sehen wir schweigsame Männer, vor allem Heiner Lauterbach, tiefgründig in die Luft starren, was nicht besonders spannend ist. Auch die Anti-Hartz-IV-Tiraden von Familienvater Menges (Axel Prahl) und die schofelig rassistischen Tiraden von Eckkneipenwirt Timm (Martin Brambach) vertreiben nur mühsam die Zeit. Wobei gerade Timm eine echte Type ist, während Menges doch zu sehr im gut geübten TV-Klischee erstarrt
In „Harms“ findet der Überfall auf die Bank erst im dritten Akt statt und er ist erstaunlich schlecht geplant. Schon während des Überfalls sterben die ersten Männer. Danach geht es lustig mit dem Morden weiter. Schließlich ist das gegenseitige Erschießen unter harten Männern eine bewährte Methode. Dabei wäre es nett gewesen, wenn hier nicht dumpfe Gewalt, die doch arg unvermittelt hereinbricht, sondern etwas mehr Cleverness herrschen würden. Schließlich müssen die Verbrecher der Polizei nicht die gesamte Arbeit abnehmen.
Als Gangsterfilm ist „Harms“ ziemlich schwach, weil er zu lange in erster Linie eine zu statische Milieustudie mit höchst unsympathischen Männern und Proleten ist und bei dem viel zu lieblos inszeniertem Überfall kommt auch nie Spannung auf.
„Harms“ erreicht nie die Qualität von Thomas Arslans „Im Schatten“, dem es sehr gut gelang, die vor allem US-amerikanischen Vorbilder in die deutsche Metropole zu übertragen. Dennoch hätte es, das muss angesichts von etlichen vollkommen misslungen bundesdeutschen Genreübungen auch gesagt werden, viel schlimmer kommen können.
Harms (Deutschland 2014)
Regie: Nikolai Müllerschön
Drehbuch: Nikolai Müllerschön
mit Heiner Lauterbach, Friedrich von Thun, Axel Prahl, Martin Brambach, Blerim Destani, André Hennicke, Benedikct Blaskovic, Valentina Sauca, Helmut Lohner
Länge: 102 Minuten
FSK: ab 16 Jahre
– Hinweise Homepage zum Film Film-Zeit über „Harms“ Moviepilot über „Harms“
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