Ihr müsst jetzt ganz tapfer sein: Das Plakatmotiv taucht im Film „Der Tag wird kommen“, dem neuesten Werk von Benoit Delépine und Gustave Kervern, die bereits „Louise hires a Contract Killer“ und „Mammuth“ drehten, nicht auf. Es gibt also keine Cowboys im Einkaufszentrum. Aber Punks schon. Einer ist „Not“, eigentlich Benoit, aber als ältester Punk der Stadt mit Hund, will diese zeitgemäße Version von Diogenes nur mit seinem gewähltem Namen angesprochen werden. Sein Bruder Jean-Pierre ist das genaue Gegenteil: spießbürgerlich bis in die Schuhspitzen und als Verkäufer in einem schlecht gehendem Matratzenhaus in einem anonymen Einkaufszentrum vor der Stadt zwar bemüht, aber auch erfolglos. Als er von seinem Chef ein Ultimatum gestellt bekommt, dabei versagt und – alkoholbedingt – ausrastet, ist er seinen Job los. Not, der sonst kaum mit seinem angepassten Bruder redet, versucht ihm zu helfen. Mit vorhersehbar desaströsen Ergebnissen. Also beschließt er Jean-Pierre zu einem lockeren Leben fernab der bürgerlichen Konventionen zu erziehen. Eine seiner ersten Taten: er tätowiert Jean-Pierre dessen neue Namen „Dead“ auf die Stirn. Jetzt machen die beiden Brüder „Not“ und „Dead“ das Einkaufszentrum unsicher und ihre Eltern, die dort das Kartoffelrestaurant „La Pataterie“ haben, sind ihnen keine große Hilfe: ihr Vater ist stoisch bis zur Stummheit, ihre Mutter scheint auf einem ganz anderem Planeten zu leben.
Die Geschichte der beiden Brüder, die sich anfangs nichts zu sagen haben, wird von Delépine und Kervern in langen, teils ungeschnittenen, meist spartanisch geschnittenen Szenen, in denen die Schauspieler viel improvisierten, voll absurdem Humor, extrem lakonisch, aber auch sehr episodenhaft erzählt. So sind die Geburtstagsfeier der Mutter im Kartoffelrestaurant, in dem der eine Bruder von seinem Punkleben, während gleichzeitig der andere, ebenfalls ohne Punkt und Komma, von einem neuen Fernseher erzählt, während ihr Vater stoisch Kartoffeln schält oder die Faxen von Not vor den Überwachungskameras und einem Pizzarestaurant oder seine „Einkaufstouren“ durch das Kaufhaus oder Jean-Pierres Versuche, zuerst Matratzen zu verkaufen, später seinen Job zu behalten und, nachdem das nicht geht, sich erfolglos zu verbrennen oder Gérard Depardieus Auftritt als Wahrsager, der sich mit seinen kryptischen Vorhersagen noch nie irrte, oder der Plan der beiden Brüder einfach stur geradeaus zu gehen, den sie auch gleich umsetzen oder ihre erfolglosen Versuche, die Kunden des Einkaufszentrums zu einer Revolution anzustacheln oder der Ausflug der beiden Brüder aufs Land, inclusive dem erfolglosen Versuch von Dead einen Selbstmörder vom Suizid abzuhalten, köstlich.
Und als YouTube-Clips würde mir jede dieser Episoden gefallen. Wahrscheinlich wäre ich ein Fan der beiden Brüder Not und Dead, würde gierig auf jedes neue mehr oder weniger subversive Abenteuer von ihnen warten, aber als Spielfilm plätschert „Der Tag wird kommen“ arg ziellos vor sich hin bis zum Filmende, das überhaupt nicht wie der Abschluss einer Geschichte wirkt.
Der Tag wird kommen (Le grand soir, Frankreich/Belgien 2012)
Regie: Benoit Delépine, Gustave Kervern
Drehbuch: Benoit Delépine, Gustave Kervern
mit Benoit Poelvoorde, Albert Dupontel, Brigitte Fontaine, Areski Belkacem, Bouli, Lanners, Serge Larivière, Stéphanie Pillonca, Gérard Depardieu
Länge: 92 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
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Hinweise
AlloCine über „Der Tag wird kommen“
Film-Zeit über „Der Tag wird kommen“
Rotten Tomatoes über „Der Tag wird kommen“
Wikipedia über „Der Tag wird kommen“ (englisch, französisch)

Veröffentlicht von AxelB