TV-Tipp für den 15. August: Tangerine L. A.

August 14, 2023

RBB, 22.45

Tangerine L. A. (Tangerine, USA 2015)

Regie: Sean Baker

Drehbuch: Sean Baker, Chris Bergoch

Sin-Dee Rella ist stinkig. Ihr Freund und Zuhälter Chester hat sie mit Dinah betrogen. Im sonnigen Los Angeles sucht Sin-Dee Dinah und ihren Freund.

TV-Premiere (endlich!). Mit Laiendarstellern, einem Ultra-Low-Budget und einem Apple iPhone 5S drehte Sean Baker eine fantastisch aussehende Komödie.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Kitana Kiki Rodriguez, Mya Taylor, Karren Karagulian, Mickey O’Hagan, Alla Tumanian, James Ransone

Hinweise

Moviepilot über „Tangerine L. A.“

Metacritic über „Tangerine L. A.“

Rotten Tomatoes über „Tangerine L. A.“

Wikipedia über „Tangerine L. A.“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Sean Bakers „Tangerine L. A.“ (Tangerine, USA 2015)

Meine Besprechung von Sean Bakers „The Florida Project“ (The Florida Project, USA 2017)

Meine Besprechung von Sean Bakers „Red Rocket“ (Red Rocket, USA 2021)


Neu im Kino/Filmkritik: In Sean Bakers „Red Rocket“ will ein Pornostar durchstarten

April 16, 2022

Sean Baker, der Regisseur der grandiosen Filme „Tangerine L. A.“ und „The Florida Project“, ist zurück und er bleibt sich treu. Mit unbekannten Schauspielern und spontan engagierten Laien drehte er vor Ort. Und wieder spielt die Geschichte in einem Milieu, das so selten im Kino gezeigt wird.

Dieses Mal dreht sich alles um Mikey Saber. Der 41-jährige kehrt aus Hollywood zurück in seine alte Heimatstadt, die er niemals wieder besuchen wollte. In Hollywood war er ein Filmstar. In Pornos. Jetzt hat er in der Stadt der Träume so massive Geldprobleme, dass er sich gerade so ein Busticket leisten konnte. In Texas City, einer Hafenstadt an der Golfküste mit Ölraffinerien in der Sichtweite vom Haus seiner Frau, klopft er bei seiner Immer-noch-Ehefrau Lexi an die Tür.

Dort ist er ungefähr so willkommen wie ein Tripper.

Trotzdem darf er bei ihr und ihrer Mutter, die beide in der heruntergekommenen und versifften Hütte hausen (die Bretterbude ging bei uns noch nicht einmal als Gartenhaus ohne Wohnzweck durch), wohnen. Zunächst nur für einige Tage, die dann zu Wochen werden.

Er sucht eine Arbeit. Weil er viele Jahre in der Pornobranche arbeitete und er diese Jahre in seinem Lebenslauf verschweigt, klafft eine jahrelange Lücke in ihm. Diese versucht er meist erfolglos mit seinem Charme zu füllen. Er hängt im Donut Hole ab. Der in Sichtweite der Raffinerien liegende Laden heißt wirklich so und musste für den Film nicht umbenannt werden. Dort scharwenzelt er um die siebzehnjährige Bedienung Strawberry herum. Er fantasiert ihr gegenüber etwas von einer großen Chance in Hollywood, die sie mit ihm hätte, während er ziemlich eindeutig mit ihr Sex haben möchte. Er beginnt mit Drogen zu handeln. Für diese Arbeit braucht der immer großspurig-optimistische Sonnyboy keinen lückenlosen Lebenslauf.

Und er hat ein Talent, seine Probleme zielsicher zu vergrößern.

Daher ist, wenn er am Filmanfang den Bus verlässt, klar, in welche Richtung sich seine Rückkehr in seine alte Heimat entwickeln wird.

Und trotzdem fühlen wir mit diesem großmäuligen Unsympath. Das liegt an Simon Rex, der den Blender Mikey Saber als einen Mann spielt, der letztendlich immer noch ein die Wirklichkeit ignorierendes, an den amerikanischen Traum glaubendes Kind ist. Für Rex ist die Rolle dieses Schmarotzers, nachdem er schon seit den Neunzigern in Filmen und TV-Serien auftritt, der Durchbruch. Bis jetzt ist er als Schauspieler vor allem durch mehrere „Scary Movie“-Komödien bekannt. Außerdem ist er der Rapper ‚Dirt Nasty‘.

Sean Baker erzählt seine Schwarze Komödie mit spürbarer Sympathie für Saber und die Menschen, die er in Texas City trifft. Er verschließt aber nie die Augen vor ihren Defiziten und ihren prekären Lebensumständen, die mit ‚ärmlich‘ noch zu positiv beschrieben sind.

Er drehte „Red Rocket“, wie seine vorherigen Filme, mit einem geringem Budget, einer kleinen Kerncrew von weniger als zehn Leuten, vor Ort mit vielen Laiendarstellern und Zufallsentdeckungen. Die Dreharbeiten waren, während der Coronavirus-Pandemie, in Texas City an 23 Tagen im Herbst 2020. Spielen tut der Film im Sommer 2016, vor der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA, der ein Bruder im Geist von Saber ist. Beiden gelingt es, andere Menschen zu verführen (wobei ich Trump schon immer für einen talent- und charmefreien Hohlkopf hielt) und in ihren Bannkreis zu ziehen. Beiden sind andere Menschen und ihre Gefühle egal. Schließlich gibt es für sie nur eine wichtige Person im Universum.

Witzig aus europäischer Sicht ist die auch in „Red Rocket“ sichtbare US-amerikanische Prüderie. So gibt es zwar für einen US-Film viel nackte Haut zu sehen, aber den früheren Pornostar Mikey Saber sehen wir nur einmal nackt. Das macht die sehenswerte Komödie jetzt nicht besser oder schlechter, aber es verrät einiges über die US-Gesellschaft.

Red Rocket (Red Rocket, USA 2021)

Regie: Sean Baker

Drehbuch: Sean Baker, Chris Bergoch

mit Simon Rex, Bree Elrod, Suzanna Son, Brenda Deiss, Judy Hill, Brittney Rodriguez, Ethan Darbone, Shih-Ching Tsou, Parker Bigham

Länge: 131 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Red Rocket“

Metacritic über „Red Rocket“

Rotten Tomatoes über „Red Rocket“

Wikipedia über „Red Rocket“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Sean Bakers „Tangerine L. A.“ (Tangerine, USA 2015)

Meine Besprechung von Sean Bakers „The Florida Project“ (The Florida Project, USA 2017)

Die Pressekonferenz in Cannes nach der Weltpremiere des Werkes

Eine Fragestunde mit Sean Baker und Teammitgliedern zum Film in Austin

 


Neu im Kino/Filmkritik: „The Florida Project“ – kein Geld im Paradies, trotzdem eine Menge Spaß

März 19, 2018

Täglich fahren hunderte Touristen über den Highway 192 nach Disney World. Vorbei an Dutzenden Billigmotels, in denen nicht andere Touristen, die ebenfalls Disney World besuchen wollen, übernachten, sondern Menschen leben, die durch das in den USA sehr dünne soziale Raster gefallen sind. Täglich bringen sie die 38 Dollar Miete für die nächste Nacht im „The Magic Castle Motel“ auf. Oder sie sind ein, zwei Nächte, bis sie wieder Geld haben, obdachlos. Wobei Motel-Manager Bobby (Willem Dafoe) ein Herz für seine Stammbewohnerinnen und ihre Kinder hat. Da dehnt er die Regeln ab und an etwas, während er den Laden in Schuss hält.

Im Mittelpunkt von Sean Bakers neuem Film „The Florida Project“ stehen dann einige der Motelbewohnerinnen, die sich mit Gelegenheitsjobs, Diebstählen, Verkauf von Hehlerware, Prostitution und Betteleien über Wasser halten, wenn sie sich nicht gerade am Swimming-Pool sonnen oder in einem Motelzimmer fern sehen. Sie sind zwar Mütter, aber selbst noch fast Kinder. Und Kindererziehung ist ein Fremdwort für sie. Das erledigt Bobby als Ersatzvater mit liebevoller Strenge.

Die meiste Zeit tun die sechsjährige Moonee (Brooklyn Kimberly Prince), ihr Freund Scooty (Christopher Rivera) und die neuen Freundin Jancey (Valeria Cotto), die wenige Meter weiter in einem anderen Motel wohnt, das, was Kinder tun: sie erkunden die Gegend, schnorren Eis, spielen, toben herum und nerven die Erwachsenen.

Baker stellt sie in den Mittelpunkt seines neuen Films. Er folgt ihnen auf Augenhöhe. Für Moonee, Scooty und Jancey ist die Gegend der Billigmotels, der abgewrackten Imbisse und Ruinen, die in Florida immer noch gut aussehen, und der nahe liegenden Sümpfe ihre Welt und ihr sommerlicher Abenteuerspielplatz. Hinter jeder Ecke kann ein neues Abenteuer lauern. Außerdem muss man Jancey ja alles mögliche im Motel und um das Motel herum zeigen. Und Jancey will Moonee ebenfalls ihre Welt zeigen.

Baker erzählt den Film durch die Augen der drei Kinder, die die Welt voller neugieriger Entdeckerfreude erkunden. Es ist auch der kindliche Blick, der aus „The Florida Project“ etwas Besonderes macht. Denn er kennt keine Vorurteile. Er verurteilt nicht. Er hat auch kein Bedauern mit den Erwachsenen und den Kindern. Er analysiert nicht. Er zeigt nur, wie Menschen, die durch das soziale Netz gefallen sind, überleben, während sie teils keine Hilfe haben wollen, teils keine Hilfe bekommen, weil sich niemand um sie kümmert. Und er zeigt auch die Probleme die sie haben und in welchem Teufelskreis sie stecken. Ohne etwas sozialpädagogisch zu erklären oder eine Disney-Lösung zu haben.

Sean Baker sieht sein Drama als moderne Version der Kleinen Strolche. „In diesen Comedy-Kurzfilmen, die Hal Roach in den Zwanziger- und Dreißigerjahren produzierte, ging es um Kinder, die während der Großen Depression in einer prekären Situation aufwachsen. Ihre ökonomische Situation war die Kulisse für die Filme – im Mittelpunkt standen aber die aberwitzigen und urkomischen Abenteuer, die die Kinder erlebten.“ (Sean Baker) Daneben orientierte Baker sich an europäischen Filmen mit Kindern, wie „Kes“ von Ken Loach, „Ponette“ von Jacques Doillon und die TV-Miniserie „Kindkind“ von Bruno Dumont. Er hätte auch noch „Jack“ von Edward Berger nennen können. Amerikanische Filme mit Kindern seien ihm oft zu künstlich. „Ich wollte die Kinder in meinem Film so agieren lassen, wie sie eben sind. Ihnen in langen Einstellungen zusehen und sie einfach Kinder sein lassen.“ (Sean Baker)

Ein Kinderfilm ist „The Florida Project“ trotzdem nicht. Es ist ein Film mit Kindern als Protagonisten, der episodisch, witzig, ernst, todtraurig und, trotz allem, mutmachend ist. Es ist auch ein Film über das heutige Amerika. Obwohl Sean Baker und sein Co-Drehbuchautor Chris Bergoch die ersten Ideen für den Film bereits 2011 hatten. In den folgenden Jahren unternahmen sie mehrere Recherchereisen nach Florida. Für den Film sahen sie sich dann auch nach Laiendarstellern um, die in den billigen Motels leben und die sich im Film mehr oder weniger selbst spielen.

The Florida Project (The Florida Project, USA 2017)

Regie: Sean Baker

Drehbuch: Sean Baker, Chris Bergoch

mit Brooklynn Kimberly Prince, Bria Vinaite, Willem Dafoe, Christopher Rivera, Caleb Landry Jones, Mela Murder, Karren Karagulian

Länge: 111 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „The Florida Project“

Metacritic über „The Florida Project“

Rotten Tomatoes über „The Florida Project“

Wikipedia über „The Florida Project“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Sean Bakers „Tangerine L. A.“ (Tangerine, USA 2015)

DP/30 unterhält sich mit Sean Baker über den Film (leider mit etwas zu viel Hintergrundgeräuschen)

Ein Gespräch mit Sean Baker, Chris Bergoch (Co-Autor, Produzent) und Samantha Quan (Acting Coach, Produzentin) beim NYFF


TV-Tipp für den 12. Juli: Starlet

Juli 11, 2016

ZDFkultur, 22.00

Starlet (USA 2012, Regie: Sean Baker)

Drehbuch: Sean Baker, Chris Bergoch

Vor „Tangerine L. A.“ (seit Donnerstag im Kino) inszenierte Sean Baker „Starlet“, ein hochgelobtes Indie-Drama über eine Porno-Darstellerin, die sich mit einer älteren Dame befreundet.

Unaufgeregt und ohne die Profession seiner Hauptfigur zu skandalisieren, erkundet der Film das Lebenim sonnendurchfluteten, aber gänzlich unglamourös gezeigten ‚Porn Valley‘.“ (Lexikon des internationalen Films)

mit Dree Hemingway, Stella Maeve, Besedka Johnson, James Ransone, Karren Karagulian

Wiederholung: Mittwoch, 13. Juli, 01.15 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Moviepilot über „Starlet“

Metacritic über „Starlet“

Rotten Tomatoes über „Starlet“

Wikipedia über „Starlet“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Sean Bakers „Tangerine L. A.“ (Tangerine, USA 2015)


Neu im Kino/Filmkritik: „Tangerine L. A.“ erkundet unbekannte Ecken

Juli 7, 2016

Heiligabend in Los Angeles: Sin-Dee Rella erfährt von ihrer Freundin Alexandra, dass, während sie im Gefängnis saß, ihr Freund Chester eine Affäre mit einer anderen Frau hatte. Wutentbrannt will sie ihn zur Rede stellen. Aber zuerst muss sie ihre Nebenbuhlerin Dinah und dann ihren Freund finden.

Sean Baker („Starlet“) inszenierte diese Liebesgeschichte als Screwball-Comedy. Entsprechend hoch her geht es. Vor allem wenn in einem Donut-Laden in der finalen Konfrontation sich erstmals alle in die Geschichte involvierten Personen treffen und sich ohne jede Schamgrenze anbrüllen. So weit, so konventionell. Dass Sin-Dee und Alexandra Prostituierte sind, ändert daran nichts.

Allerdings sind die beiden Trans-Prostituierte, und das ist dann schon gar nicht mehr so konventionell. Sin-Dee ist über Chesters Seitensprung auch deshalb empört, weil er sie mit einer echten Frau betrogen hat. Mit der Feinfühligkeit einer in einer Ein-Zimmer-Wohnung gezündeten Silvesterrakete, die sich nicht um das von ihr verursachte Chaos kümmert, tobt sie durch ihr Viertel; die filmisch noch nicht erschlossene Gegend um das Santa Monica Boulevard und die Highland Avenue, in dem die Schauspieler von „Tangerine L. A.“ leben und sich mehr oder weniger selbst spielten. Und alle Schauspieler überzeugen in ihren Rollen, die ihnen auf den Leib geschrieben wurden.

So sind die beiden Hauptdarstellerinnen Mya Taylor und Kitana Kiki Rodriguez selbst Transgender-Frauen. Sie lieferten die Inspiration für die Filmgeschichte und die Dynamik zwischen Sin-Dee und Alexandra. Sie waren auch in die weitere Vorbereitung involviert. Sean Baker und sein Co-Autor Chris Bergoch erkundeten vor dem Dreh die Gegend und entwarfen eine Ethnographie der Gegend, der dortigen Subkultur und den dort lebenden und arbeitenden Menschen. In dieser Beziehung hat „Tangerine L. A.“ viel von einem Dokumentarfilm. Realität und Fiktion liegen hier nah beieinander.

Man könnte „Tangerine L. A.“ also als unterhaltsame, teils auch arg vor sich hin plätschernde Screwball-Comedy unter Transgender-Prostituierten, gedreht mit Laienschauspielerinnen, für ein Independent-Publikum, das sich nicht an schrill-vulgären Klischeetransen stört, abtun, wenn es da nicht den technischen Aspekt gäbe.

Denn Sean Baker drehte den gesamten Film mit dem iPhone 5S. Er und sein Kameramann Radium Cheung benutzten beim Dreh anamorphotische Linsen von Moondog Labs, die ihnen Prototypen ihrer Adapter für das iPhone gaben. Die kleinen Kameras ermöglichten ihnen auf der Straße ein ungestörtes Filmen. In der Postproduktion wurden die Bilder bearbeitet und im Kino – ich habe den Film auf einer wirklich großen Leinwand gesehen – überzeugen die Bilder restlos. Es sind Kinobilder, die niemals an verwackelte YouTube-Videos oder die schrecklich unprofessionell und billig aussehenden Video-Aufnahmen erinnern, die es auch in Filmen mit bekannten Schauspielern gibt. Ich hatte beim Ansehen auch niemals das Gefühl, einen für einen kleinen Bildschirm gedrehten Film zu sehen. Die Bilder füllen in jeder Sekunde die gesamte Leinwand aus.

Tangerine L. A.“ zeigt, dass man nicht viel Geld benötigt, um einen gut aussehenden Film für die groooße Leinwand zu drehen.

Man benötigt nur eine gute Geschichte, die dazu passende Schauspieler und das Ziel, einen Kinofilm zu drehen.

Tangerine L A - Plakat 4

Tangerine L. A. (Tangerine, USA 2015)

Regie: Sean Baker

Drehbuch: Sean Baker, Chris Bergoch

mit Kitana Kiki Rodriguez, Mya Taylor, Karren Karagulian, Mickey O’Hagan, Alla Tumanian, James Ransone

Länge: 88 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Tangerine L. A.“

Metacritic über „Tangerine L. A.“

Rotten Tomatoes über „Tangerine L. A.“

Wikipedia über „Tangerine L. A.“ (deutsch, englisch)

Ein Gespräch mit Sean Baker über „Tangerine L. A.“