Neu im Kino/Filmkritik: „Eine Million Minuten“ für die Vater-Tochter-Beziehung

Februar 1, 2024

Nina wünscht sich eine Million Minuten mit ihrem Papa. Dieser jettet um die Welt und versucht die Welt zu retten. Seine Frau arbeitet, wenn Haushalt und die beiden kleinen Kinder es zulassen, als Bauingenieurin im Home-Office. Ihre gemeinsame Tochter, die fünfjährige Nina, hat eine massive Entwicklungsverzägerung und Bewegungsstörungen. Sie braucht viel Zuwendung und Zeit. Aber, so werden sie von Ninas Doktor beruhigt, mit viel Liebe, Zuwendung, gemeinsam verbrachter Zeit und individueller Hilfe beim Lernen könne ihr geholfen werden.

Nachdem Nina ihm das mit der einen Million Minuten gesagt hat, beginnt Wolf Küper (Tom Schilling) nachzudenken und zu rechnen. Eine Million Minuten sind ungefähr zwei Jahre, in denen er sich um seine Tochter kümmert und, denn nur in Berlin zu bleiben wäre langweilig, sie könnten in dieser Zeit gemeinsam die Welt bereisen. Wolfs Chefin und Ben, sein Kollege und bester Freund, sind einverstanden. Mit Kurzarbeit und Home-Office kann er trotzdem ein Mitglied in ihrem kleinen Team bleiben.

Und los geht die Reise der vierköpfigen Kleinfamilie. Zuerst geht es nach Thailand und später nach Island. Beide Länder hat Nina zufällig auf dem Globus ausgewählt.

Die herzige Geschichte, die Christopher Doll in seinem Regie-Debüt erzählt (nachdem er in den vergangenen Jahren unter anderem „Traumfrauen“, „High Society“ und „Wunderschön“ produzierte), basiert auf dem Reisebuch „Eine Million Minuten“ von Wolf Küper. Im Film folgen Doll und seine vier Mit-Drehbuchautoren Monika Fässler, Tim Hebborn, Ulla Ziemann und Malte Welding nicht sklavisch der Vorlage. Sie konzentrieren sich mehr auf die Beziehung des Ehepaares und veränderten die Reiseroute. Nachdem die Küpers Thailand verlassen, reisen sie im Buch nach Australien und Neuseeland; im Film geht es nach Island.

Die Prämisse erinnert an den vor wenigen Monaten im Kino gelaufenen „Wochenendrebellen“. In diesem, ebenfalls auf einem Sachbuch basierendem Film, verspricht ein von seiner Arbeit als Vertreter gestresster Vater, seinem Sohn, einem Asperger-Autisten, dass sie an den Wochenenden gemeinsam für ihn einen Lieblingsverein suchen. Der Zehnjährige will nämlich, wie alle Jungs, einen Lieblingsfußballverein haben. Aber er nimmt nicht den Heimatverein. Er geht die Suche nach dem Lieblingsverein wissenschaftlich an. Er entwirft einen Katalog mit Kriterien und er will sich – auch wenn so ein Fußballspiel aufgrund der vielen Eindrücke und des Trubels für ihn die Hölle ist – jeden Verein bei einem Heimatspiel ansehen.

Im Gegensatz zu „Eine Million Minuten“ hat „Wochenendrebellen“ eine Prämisse („Ich will einen Verein finden.“) und ein klares Ziel (der Film ist vorbei, wenn entweder ein Verein gefunden oder das Ziel geändert wurde). Auf dem Weg dahin kommen Vater und Sohn sich näher und der Vater beginnt zu überlegen, ob er das Leben lebt, das er leben will.

In „Eine Million Minuten“ verbringt der Vater dagegen wenig Zeit mit seiner Tochter. Wir sehen nicht, wie er ihr über einen längeren Zeitraum Dinge beibringt, wie sich ihre Beziehung verändert und wie sie sich über kleine Fortschritte freuen. Doll zeigt höchstens den Anfang, wenn Nina nicht Fahrrad fahren kann, und das Ende, wenn Nina Fahrrad fahren kann.

Eine Million Minuten“ fehlt genau das, was „Wochenendrebellen“ hat. In „Eine Million Minuten“ ist die Prämisse klar, aber nicht das Ziel. Oder, anders gesagt: was passiert, wenn die Milion Minuten vorbei sind? Nimmt die Familie, wie nach einem Urlaub, wieder ihr altes Leben auf? Entsprechend ziellos plätschert der Film vor sich hin. Die Autoren und der Regisseur wissen nie, welche Episoden in den Film gehören und welche nicht. Es ist unklar, ob es um die Beziehung vom Vater zu seiner Tochter oder vom Vater zu seiner Frau geht. Es ist unklar, was er lernen soll. Und so gibt es von allem etwas und von allem zu wenig.

Dieses, eigentlich leicht zu behebende Problem haben viele deutsche Filme. Es liegt nicht an den Schauspielern oder den Drehorten. In diesem Fall wurde in Berlin, Thailand und Island gedreht. Es liegt am Drehbuch. An dem unzureichend formuliertem Ziel der Hauptfigur, an der nur unzureichend formulierten Hauptfigur und den nicht vorhandenen Konflikten. Über Wolf, seine Arbeit und wie er durch seine Arbeit die Welt sieht, erfahren wir viel zu wenig. Wir erfahren nur, dass er irgendetwas mit Umweltschutz in einer überaus netten Firma macht. Er könnte aber auch irgendeinen anderen Bürojob haben, für den er immer wieder reisen muss. Es würde nichts an der Filmgeschichte ändern. Dabei wäre die Entscheidung, ob er mehr Zeit mit seinen Kindern oder mit der Rettung der Welt für seine Kinder verbringen möchte, ein interessanter Konflikt. Dieser Konflikt würde, wenn er ausformuliert würde, auch den Handlungsorten die notwendige Würze verleihen. Da wäre zuerst der Konflikt, einerseits die Umwelt retten zu wollen und anderereseits endlos viele Flugmeilen anzusammeln. Es könnte weitergehen mit der Frage, wie an den Reisezielen die Umwelt geschützt wird. Er könnte dann immer wieder vor der Entscheidung stehen, ob er mehr über ein Umweltschutzprojekt erfahren möchte oder ob er Zeit mit seiner Tochter verbringen möchte. Ein Subthema könnte sein, wie er seinen beiden Kindern die Schönheit der Natur zeigt und sie animieren möchte, die Natur zu bewahren.

Alles das sehen wir in „Eine Million Minuten“ nicht. Es gibt nur schöne Menschen, ohne erkennbare finanzielle Probleme, in schöner Landschaft und viele Probleme, die eher Scheinprobleme sind. Dafür gibt es in Island einen überaus gutaussehenden, charismatischen und netten Naturburschen-Nachbarn, den Wolf als eine Bedrohung für seine Ehe sieht.

In Island, wo die zweite Hälfte des Films spielt, rückt die Emanzipation von Wolfs Frau Vera (Karoline Herfurth) immer mehr in den Mittelpunkt. Sie arbeitet wieder mehr als Bauingenieurin. Sie knüpft, mit der Hilfe des netten Nachbarn, Kontakt zu den Einheimischen und gemeinsam bauen sie Häuser. Währenddessen überlässt sie Wolf immer mehr die Hausarbeit.

In dieser Hälfte des Films wird vor allem Englisch gesprochen. Das mag zwar realistisch sein, ich empfand es in diesem Fall aber als überflüssig. Außerdem führt die Entscheidung dazu, dass Wolfs fünfjährige Tochter Nina plötzlich sehr gut eine Fremdsprache sprechen kann.

Am Ende ist „Eine Million Minuten“ nur ein weiterer dieser netten deutschen Feelgood-Filme, die ihr Potential nie auch nur im Ansatz ausschöpfen.

Eine Million Minuten (Deutschland 2024)

Regie: Christopher Doll

Drehbuch: Monika Fässler, Tim Hebborn, Ulla Ziemann, Malte Welding, Christopher Doll

LV: Wolf Küper: Eine Million Minuten: Wie ich meiner Tochter einen Wunsch erfüllte und wir das Glück fanden, 2016

mit Karoline Herfurth, Tom Schilling, Pola Friedrichs, Piet Levi Busch, Joachim Król, Ulrike Kriener, Hassan Akkouch, Anneke Kim Sarnau, Godehard Giese, Rúrik Gislason

Länge: 125 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Hinweise

Filmportal über „Eine Million Minuten“

Moviepilot über „Eine Million Minuten“

Wikipedia über „Eine Million Minuten“