Neu im Kino/Filmkritik: Über die Charakterstudie „Rickerl – Musik is höchstens a Hobby“

Februar 1, 2024

Zwischen den Musicals „Mean Girls – Der Girls Club“ (letzte Woche) und „Die Farbe Lila“ (nächste Woche) und zwei Wochen vor dem Biopic „Bob Marley: One Love“ kommt diese Woche ein Musikfilm ins Kino, der eine Liebeserklärung an den Austropop und die Welt der verrauchten Tschocherl ist.

Im Mittelpunkt steht der Musiker Erich ‚Rickerl‘ Bohacek. Verkörpert wird er von Voodoo Jürgens, einem Vertreter der neuen Generation des Austropops, der in dem Film einige seiner Lieder ungeschnitten auf der Akustik-Gitarre präsentiert. Bei uns sind ja immer noch die Begründer Wolfgang Ambros, Georg Danzer, Reinhard Fendrich, Ludwig Hirsch und STS die bekanntesten und für Adrian Goigingers Film in verschiedenen Schattierungen wichtigsten Vertreter des Austropops.

Rickerl hat immer seine Gitarre und seine handgeschriebenen Texte dabei. Es sind schwarzhumorige Alltagsbeobachtungen über die Menschen, die er kennt und liebt. Er schreibt, von unüberhörbarer Sympathie getragen, von den Gescheiterten, den Randexistenzen, den Spinnern, den Verpeilten, den Jungen und den Alten, die alle im Kapitalismus nicht richtig funktionieren, weil sie lieber in der Beisln rauchen, trinken und reden.

Rickerl will zwar von seiner Musik leben. Er ist talentiert. Er hat auch einen Manager, der gerne einige seiner Songs aufnehmen würde, aber er ist unfähig, seine Karriere sorgfältig zu planen. Er kann noch nicht einmal einen der vielen Aushilfsjob, die ihm vom Amt mit milder Verzweifelung angeboten werde, länger behalten. Zu einem Gespräch mit einer Journalistin, die in seiner Beisl auftaucht, muss er gezwungen werden. Als sie ihn in ihre Radiosendung einlädt, kehrt er vor der Tür des Senders um und verbringt lieber den Tag mit seinem Sohn am See.

Seine Wohnung scheint zu sagen „Verwahrlost aber frei“ (Ambros). Ein Smartphone besitzt er nicht. Auch keinen Computer. Mit seinem Sohn, dem sechsjährigen Dominik, versteht er sich gut. Mit seiner Ex-Freundin Viki, die auch Dominiks Mutter ist, weniger. Sie hat inzwischen einen neuen Freund, den sie auch heiraten will. Für Rickerl ist ihr neuer nur ein ‚gstopfter Piefke‘.

Adrian Goiginger setzt diesem Musiker, seiner Musik und dem in ihr porträtierten Milieu ein Denkmal. „Rickerl – Musik is höchstens a Hobby“ ist ein liebevolles Porträt einer sich im Verschwinden befindenden Welt, die es so vielleicht nie gegeben hat, die aber höchst heimilig und liebenswert ist.

Rickerl – Musik is höchstens a Hobby (Österreich/Deutschland 2023)

Regie: Adrian Goiginger

Drehbuch: Adrian Goiginger

Musik: Voodoo Jürgens

mit Voodoo Jürgens, Ben Winkler, Agnes Hausmann, Claudius von Stolzmann, Rudi Larsen, Nicole Beutler, Patrick Seletzky, Der Nino aus Wien

Länge: 109 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Rickerl – Musik is höchstens a Hobby“

Moviepilot über „Rickerl – Musik is höchstens a Hobby“

Wikipedia über „Rickerl – Musik is höchstens a Hobby“

Meine Besprechung von Adrian Goigingers „Die beste aller Welten“ (Österreich/Deutschland 2017)

Meine Besprechung von Adrian Goigingers „Märzengrund“ (Österreich/Deutschland 2022)

Meine Besprechung von Adrian Goigingers „Der Fuchs“ (Deutschland/Österreich 2022)

Voodoo Jürgens live


Neu im Kino/Filmkritik: Der Kinderfilm „Kopfüber“

November 8, 2013

Das erste Problem von „Kopfüber“ ist die Werbung, die sich darauf konzentriert, den zehnjährigen Protagonisten als ADHS-Kranken hinzustellen und damit den Kinderfilm als einen Film über ADHS verkauft. Aber über die Krankheit erfahren wir fast nichts und das, was wir erfahren, scheint auch noch – so wurde mir nach dem Film gesagt – falsch zu sein. Außerdem wird ADHS in der ersten Stunde des Films überhaupt nicht angesprochen.

Das zweite Problem von „Kopfüber“ ist, dass die Macher einfach zu viel in den Film hineinpackten, dass vieles nur angerissen wird, vieles deshalb vollkommen unlogisch wird und der Film deshalb die wirklich spannende Geschichte, die irgendwo in ihm versteckt ist, nicht findet.

Dabei ist „Kopfüber“ als Porträt eines schwierigen Jugendlichen, der von einer alleinerziehenden Kindergärtnerin liebevoll erzogen wird, mit seiner ebenfalls einsamen Freundin durch die Gegend streift und gerne Fahrräder repariert, gar nicht so schlecht. Der zehnjährige Sascha (Marcel Hoffmann) hat auch zwei Geschwister, die, etwas arg didaktisch, diametral entgegengesetzte Rollenvorbilder sind: einen Bruder, der die Schule geschmissen hat und sich mit bestenfalls halblegalen Geschäften durchschlägt, und eine Schwester, die nur die Schule und einen erfolgreichen Abschluss im Kopf hat. Weil er immer wieder bei Diebstählen und dem Schuleschwänzen erwischt wird, hat er eine dicke Mappe beim Jugendamt. Seine letzte Chance ist ein vom Jugendamt bestimmter Erziehungshelfer.

Für den Film spricht, dass die Kinderdarsteller ernst genommen werden, die Dialoge natürlich wirken und auch die Beziehungen glaubwürdig gezeichnet sind. Vor allem die von Sascha, der einerseits hochbegabt ist, andererseits eine Leseschwäche hat und sich nicht länger konzentrieren kann, zu seinem Erziehungshelfer, der als vom Jugendamt bestimmter Vaterersatz versucht, Sascha auf die richtige Bahn zu bringen. Diese Geschichte steht eigentlich im Mittelpunkt von „Kopfüber“, aber die Macher wollten dann doch etwas anderes erzählen.

Deshalb müssen wir damit zurechtkommen, dass Saschas Mutter sich anscheinend nie mit ihren Kolleginnen im Kindergarten über ihren Sohn unterhalten hat, dass sie noch nie etwas von der Modekrankheit ADHS gehört hat, dass sie am Zeugnistag, nachdem Sascha wider Erwarten die Versetzung geschafft hat, lieber den Abend mit ihrem Freund verbringt als mit ihrem Sohn zu feiern, dass im Film ADHS im Schweinsgalopp diagnostiziert wird, dass Sascha dann allein mitten in der Nacht Tabletten zu genau festgelegten Uhrzeiten nehmen muss (was ihm, der vorher keine fünf Minuten bei einer Sache bleiben konnte, mühelos gelingt), dass die Medikamente so stark sind, dass er zum Zombie wird und dass am Ende eine vollkommen verquere Botschaft steht.

In diesen Momenten fragte ich mich, warum Regisseur und Drehbuchautor Bernd Sahling und seine Co-Autorin Anja Tuckermnn ihren Film mit so mit Unwahrscheinlichkeiten überfrachteten, anstatt sich einfach auf die Geschichte von Sascha zu seinem Erziehungshelfer zu konzentrieren. Vor allem weil für mich Sascha niemals ein Fall für eine medizinische Behandlung, sondern einfach nur ein lebenslustiger, etwas aufsässiger Junge war, dem ein Vorbild fehlte.

Kopfüber - Berlinale-Plakat

Kopfüber (Deutschland 2012)

Regie: Bernd Sahling

Drehbuch: Bernd Sahling, Anja Tuckermann

mit Marcel Hoffmann, Frieda-Anna Lehmann, Inka Friedrich, Claudius von Stolzmann, Benjamin Seidel, Jolina Simpson

Länge: 94 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Film-Zeit über „Kopfüber“

Moviepilot über „Kopfüber“