Neu im Kino/Filmkritik: Die Ringer-Brüder Mark und Dave Schultz, der Milliardär John du Pont und sein Team „Foxcatcher“

Februar 6, 2015

Mit „Foxcatcher“ kommt der nächste, für mehrere Oscars nominierte Film in unsere Kinos. Fünf insgesamt. Bennett Miller, der als bester Regisseur nominiert ist, inszenierte vorher das grandiose Biopic „Capote“ (über Truman Capote und seine Recherche zu „In Cold Blood“) und das Baseball-Biopic „Die Kunst zu gewinnen – Moneyball“. Auch bei seinem neuen Film „Foxcatcher“ bleibt er in der Welt des Sports. Dieses Mal ist es Ringen und auch ein True-Crime-Drama, das reichlich frei die Vorgeschichte zu einen in den USA bekanntem und spektakulärem Mordfall erzählt. Denn „Foxcatcher“ erzählt – ich folge jetzt der Filmgeschichte – die Geschichte der Wrestling-Brüder Mark (Channing Tatum) und Dave Schultz (Mark Ruffalo, nominiert als bester Nebendarsteller), die 1984 bei den Olympischen Spielen in Los Angeles jeweils Gold erhielten, und ihrer Beziehung zu John du Pont (Steve Carell, nominiert als bester Hauptdarsteller). Er gehört zur Du-Pont-Dynastie, die ihr Vermögen mit Sprengstoff für das Militär machten und eine der reichsten Familien der USA ist. Von normalen Sorgen enthobener Geldadel eben. Seine Zeit investiert John du Pont in exzentrische Hobbys, die Pflege seines Images und er kämpft um die Achtung seiner Mutter (Vanessa Redgrave); was vergebliche Liebesmüh ist, weil John du Pont nicht den Reitstall seiner Mutter übernehmen will und sie für seine Hobbys nur Verachtung übrig hat. Seine neueste Idee, die er mit manischer Begeisterung verfolgt, ist ein eigenes Wrestling-Team, das von Mark Schultz geleitet wird. Sein Ziel ist Gold bei der nächsten Olympiade.
Als das Training stockt, holt er Dave Schultz, den Bruder von Mark, auf sein Anwesen, auf dem die Ringer frei von finanziellen Sorgen trainieren können. Mark, der sich endlich von seinem Bruder emanzipieren will, ist damit nicht einverstanden. Dennoch raufen die beiden Brüder sich zusammen und das Team „Foxcatcher“ (so der ihm von du Pont gegebene Name) fährt 1988 zu den Olympischen Spielen nach Seoul.
Diese Geschichte endet – Das ist jetzt kein Spoiler. -, indem John du Pont Dave Schultz erschießt und für diese Tat auch zu einer langjährigen Haftstrafe (dreizehn bis dreißig Jahre) verurteilt wird. John du Pont starb im Dezember 2010 im Gefängnis, aber das sehen wir nicht mehr.
Der Film endet vor der Verhandlung und das könnte, immerhin ist die Atmosphäre in „Foxcatcher“ immer schön unangenehm, die klinische Studie eines geistig kranken Milliardärs sein. Oder halt die Geschichte von seinem neuesten Projekt, das sich zu einem Misserfolg entwickelt. Oder, immerhin wird Mark Schultz am Anfang als Protagonist eingeführt, die Geschichte einer versuchten Verführung, indem ihm Geld und Ruhm angeboten werden. Oder über die Beziehung der beiden Schultz-Brüder zueinander. Alles das spricht Regisseur Bennett Miller an, ohne dass er sich jemals für eine Geschichte entscheidet. Was in diesem Fall dazu führt, dass man eher mäßig interessiert die schleppend inszenierte Handlung verfolgt.
So verschwindet die Anfangs breit eingeführte Geschichte der beiden Brüder irgendwann aus der Filmgeschichte. Die olympischen Kämpfe, auf die Foxcatcher-Mannschaft so lange hin trainierte, werden so knapp und lieblos gezeigt, dass es vollkommen unklar ist, ob und welche Medaillien sie gewonnen haben.
In diesen Momenten wird dann du Pont wichtiger, aber der Mord an Dave Schultz am Ende des Films kommt dann ohne Vorwarnung als Affekttat. Eine Affekttat, die im Film so aussieht, als sei du Pont, nachdem das von ihm geförderte Team die Olympiade nicht gewann, die Person tötet, die dafür verantwortlich ist. Nämlich den Trainer der Mannschaft. Und als I-Tüpfelchen will Dave Schultz den Tag nicht mit ihm, sondern mit seiner Familie verbringen.
In Wirklichkeit lagen zwischen der Olympiade und der Tat acht Jahre. Und John du Pont war, laut medizinischer Diagnose, ein paranoider Schizophrener.
Dieser durchgehend laxe Umgang mit den Tatsachen verärgert. Denn Miller und die Drehbuchautoren E. Max Fry und Dan Futterman (ebenfalls Oscar-nominiert) behaupten hier Kausalitäten, Beziehungen und Konflikte, die es so nicht gab. „Foxcatcher“ ist nur von wahren Ereignissen inspiriert und schafft dabei einen interessanten, aber auch idiotischen Spagat: einerseits wurde sich bei Details viel Mühe gegeben, andererseits ist der zentrale Konflikt – die Dreiecksbeziehung zwischen den Schultz-Brüdern und du Pont – erfunden und, obwohl eindeutige Erklärungen vermieden werden (was kein Problem sein muss. Etwas Ambivalenz schadet nie.), legt die Anordnung des Materials wiederum Erklärungen nahe, die so einfach falsch sind. Und das ist dann, wenn man die Hintergründe kennt, ein großes Problem. Vor allem weil die Tatsachen mehr als genug Stoff für mehrere Filme hergeben.
Da helfen die guten Schauspieler und die Kamera nicht weiter. So ist Steve Carell hinter der Maske kaum erkennbar und er spielt weitab von seinen Komödienrollen einen beziehungsgestörten Egomanen, der sich nach Liebe sehnt und die Empathie eines Eisklotzes versprüht. Er ist kein Mensch, mit dem man länger als nötig in einem Raum sein möchte. Auch seine Mutter, Vanessa Redgrave in einer prägnanten Nebenrolle, ist in ihrem Snobismus ebenso unangenehm. Sie ist, abgesehen von seiner Schizophrenie, in jeder Beziehung das Vorbild für ihren Sohn.
Oder der erste Ringkampf zwischen den Brüdern Mark und Dave, der ohne Worte alles über ihre Beziehung verrät und der erst gegen Ende, wenn er sich von einem Training zu einem Kampf entwickelt, öfter geschnitten wurde. Das ist großes Kino.
„Foxcatcher“ hat noch einige solcher eindrucksvollen Szenen, aber er kann sich nicht entscheiden, welche Geschichte er erzählt und, ohne Vorwissen, fühlt man sich wie in einem Alptraum. Leider keinem besonders interessanten.
Wenn man sich allerdings in die historischen Hintergründe vertieft, fragt man sich, warum Miller sich nicht an die Tatsachen hielt, sondern eine ziemlich erfundene Geschichte erzählt, die er als Wahrheit verkauft.

Foxcatcher - Plakat

Foxcatcher (Foxcatcher, USA 2014)
Regie: Bennett Miller
Drehbuch: E. Max Frye, Dan Futterman
mit Steve Carell, Channing Tatum, Mark Ruffalo, Vanessa Redgrave, Sienna Miller, Anthony Michael Hall, Gay Boyd, Dave ‚Doc‘ Bennett
Länge: 135 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Amerikanische Homepage zum Film
Deutsche Homepage zum Film
Film-Zeit über „Foxcatcher“
Moviepilot über „Foxcatcher“
Metacritic über „Foxcatcher“
Rotten Tomatoes über „Foxcatcher“
Wikipedia über „Foxcatcher“
History vs. Hollywood über die wahren Hintergründe von „Foxcatcher“
Die Zeit: Christian Spiller über die wahren Hintergründe (3. Februar 2015)

DP/30 unterhält sich mit Bennett Miller

und mit den Drehbuchautoren E. Max Frye und Dan Futterman

Die „Foxcatcher“-Pressekonferenz in Cannes

Ein Q&A beim NYFF

Ein Gespräch mit Bennett Miller, ebenfalls beim NYFF

Und hier ist das Original-Image-Video, dessen Dreh in „Foxcatcher“ gezeigt wird