Neu im Kino/Filmkritik: „Rheingold“, der Mythos, der Gangster, der Rapper – eine deutsche Geschichte

Oktober 31, 2022

Provinziell klingt so provinziell. Trotzdem beschreibt das die Gangster-Karriere des Rappers Xatar ziemlich gut. Mit einer ordentlichen Portion Trotteligkeit, die auch gut in einen Heinz-Rühmann-Film gepasst hätte. Mit der Toughness, die US-Rapper mit tonnenschweren Goldketten, vulgär präsentierten Pistolen und dick aufgetragener authentischer Ghetto-Legitimität fotogen vor sich her tragen, hat das nichts zu tun. Das liegt nicht, wie Fatih Akin in seinem Xatar-Biopic „Rheingold“ zeigt, am mangelndem Wollen, sondern an der Welt, in der Xatar lebt. Waffen, das organisierte Verbrechen und Rassismus haben in Deutschland eine andere Rolle, ein anderes Gewicht und eine andere Bedeutung als in den USA. Das führt dazu, dass aus den USA ein stetiger Strom Gangsterfilme kommt, in denen Mafiosi sich blutig bekämpfen. In Deutschland wird im Zweifelsfall einfach geleugnet, dass es hier die Mafia und das Organisierte Verbrechen gibt, Ausnahmen, wie Dominik Grafs TV-Miniserie „Im Angesicht des Verbrechens“, bestätigen die Regel.

Fatih Akin erzählt in „Rheingold“ flott das Leben von Giwar ‚Xatar‘ Hajabi als knallige Coming-of-Age-Geschichte und humoristische Räuberpistole nach. Sein Film beginnt schon vor Giwars Geburt. Im Iran ist Giwars Vater Eghbal Hajabi Musikprofessor und Komponist. Seine aus einer angesehenen Familie stammende Frau Rasal ist ebenfalls Musikerin. Nachdem Mullahs in Teheran eines seiner Konzerte stürmen, flüchten sie in den Norden des Landes und schließen sich kurdischen Freiheitskämpfern an. Während des Iran-Irak-Krieges wird Rasal zur Kriegsheldin.

Giwar kommt am 24. (!) Dezember 1981, in einer Höhle zur Welt. Mit Hilfe des Roten Kreuzes kommen die Hajabis nach Paris und später nach Bonn. Dort hört Giwar, zusammen mit seinem Vater, im Opernhaus Richard Wagners „Rheingold“. Eghbal arbeitet wieder als Musiker, verliebt sich in eine andere Frau und verlässt seine Familie. Rasal muss als Putzfrau arbeiten. Giwar geht auf das Gymnasium, erhält Klavierunterricht (dafür ist immer Geld da) und versucht als Flüchtlingskind seinen Platz in der Gesellschaft zu finden. Er wird von Gleichaltrigen herumgestoßen. In einem Boxstudio trainiert er mit dem Ziel, seine Peiniger zu verprügeln. Er probiert alles aus, um Geld, viel Geld zu verdienen. Gesetze sind ihm egal. Skrupel hat er keine. Er verkauft illegal kopierte Sexvideos (wir reden von den Neunzigern) und Drogen. Seine Ambitionen sind größer als sein Können. Entsprechend dilletantisch ist der von ihm 2009 durchgeführte Goldraub, der ihm eine mehrjährige Haftstrafe verschafft.

Im Gefängnis beginnt er ernsthaft seine Karriere als Rapper.

Das ist ein Leben, das genug Stoff für einen Film hergibt und in dem viel über die deutsche Gesellschaft erzählt werden kann.

Fatih Akin, der sich schon in seinem Spielilmdebüt „Kurz und schmerzlos“ (1998) mit dem Leben von migrantischstämmigen Kleinkriminellen in Hamburg-Altona beschäftigte, erzählt hier wieder aus dem Leben von Migranten in Deutschland. Locker, flockig, pointiert, nie besonders kritisch gegenüber dem Porträtierten erzählt er das Leben von Giwar Hajabi und seinen Eltern. Weil die Geschichte nicht in einer im Verbrechen versinkenden US-Großstadt mit maroden Sozialbauten, schlechten Schulen und zu vielen Schusswaffen, sondern im beschaulichen Bonn am Rhein spielt, wirkt Giwars Geschichte immer wie eine schnurriger Räuberpistole mit etwas Gangster-Ghetto-Feeling und hochkultureller deutscher Adelung.

Das Ergebnis kann auch gut als Image-Film für den Musiker dienen. Er wird als wahrer Hansdampf in allen Gassen gezeigt. Er ist der nette, sympathische Junge, der Geld verdienen will. Dabei war Giwar kein Unschuldslamm. Es waren seine Entscheidungen, die ihn zum Verbrecher werden ließen und für die er zu einer achtjährigen Haftstrafe verurteilt wurde.

Rheingold (Deutschland 2022)

Regie: Fatih Akin

Drehbuch: Fatih Akin

LV: Xatar: Alles oder Nix, 2015

mit Emilio Sakraya, Mona Pirzad, Kardo Razzazi, Ilyes Raoul, Ugur Yücel, Denis Moschitto, Sogol Faghani, Arman Kashani, Julia Goldberg, Majid Bakhtiari, Karim Düzgün Günes, Doğa Gürer

Länge: 138 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Filmportal über „Rheingold“

Moviepilot über „Rheingold“

Rotten Tomatoes über „Rheingold“

Wikipedia über „Rheingold“

Meine Besprechung von Fatih Akins „Müll im Garten Eden“ (Deutschland 2012)

Meine Besprechung von Fatih Akins „The Cut“ (Deutschland/Frankreich 2014)

Meine Besprechung von Fatih Akins „Tschick“ (Deutschland 2016)

Meine Besprechung von Fatih Akins „Aus dem Nichts“ (Deutschland 2017)


Neu im Kino/Filmkritik: Ziemlich „Kalte Füße“

Januar 11, 2019

Weil Denis (Emilio Sakraya) bei Adam (Aleksandar Jovanovic) seine Schulden nicht bezahlen kann, macht dieser ihm eines dieser Angebote, das er nicht ablehnen kann. Denis soll die einsam gelegene Villa von Raimund Groenert (Heiner Lauterbach) ausräumen. Der Hausherr ist nicht da und auch sonst sei niemand in der Villa. Denis muss also nur einbrechen, die Wertsachen einsammeln und verschwinden.

Was kann da schon schiefgehen?

Außer dass der nach einem Schlaganfall fast vollständig gelähmte Hausherr einen Tag früher aus dem Krankenhaus entlassen wird und schon grummelnd auf dem Boden liegt und dass Groenerts Enkelin Charlotte (Sonja Gerhardt) von ihrer überaus beschäftigten Mutter verpflichtet wurde, die Nacht auf ihren Großvater, den sie seit Ewigkeiten nicht gesehen hat, aufzupassen. Am nächsten Tag soll dann ein Krankenpfleger kommen. Oh, sie ist auch eine angehende Polizistin.

Damit ist in Groenerts Villa das Personal für eine ordentliche Portion Chaos und Verwechslung versammelt.

Denn selbstverständlich hält Charlotte Denis für den Pfleger von Groenert. Und weil Denis seine Anwesenheit in dem Haus nicht anders erklären kann, bestätigt er ihre Vermutung. Notgedrungen muss er den miesepetrigen Hausherrn pflegen, ohne wirklich eine Ahnung von der Krankenpflege zu haben. Entsprechend unorthodox und auch respektlos ist sein Umgang mit Groenert, der sich nach dem Schlaganfall nur noch mit Lauten, Augen- und wenigen Armbewegungen äußern kann.

Diese Prämisse von Wolfgang Groos‘ Komödie „Kalte Füße“ erinnert unübersehbar an den französischen Komödienerfolg „Ziemlich beste Freunde“. Neil Burgers US-Remake „Mein Bester & Ich“ (The Upside) mit Kevin Hart, Bryan Cranston und Nicole Kidman startet am 21. Februar in unseren Kinos.

Aber „Kalte Füße“ erzählt eine andere Geschichte. In der Nacht schneit es so sehr, dass Denis, Groenert und Charlotte die nächsten Tage gemeinsam im Haus bleiben müssen. Schnell verliebt Denis sich in Charlotte, die nicht erfahren sollte, warum er hier ist. Außerdem hat sie einen Freund. Und der fast vollständig gelähmte Groenert denkt nicht daran, Denis laufen zu lassen. Trotz seiner Lähmung kann er sich wehren. Und er tut das mit diebischer Freude gegenüber allen Menschen, die ihn bestehlen wollen. Oder die er nicht mag.

Weil Denis gegenüber Adam immer neue Ausreden erfindet, um den Diebstahl nicht durchzuführen, wird Adam ungeduldig. Mit seinem Bodyguard taucht er in Groenerts Villa auf. Er will das Geld aus dem Safe haben. Notfalls mit Gewalt.

So ist „Kalte Füße“ dann doch kein Remake von „Ziemlich beste Freunde“, sondern eine Gaunerkomödie zwischen Klamauk und Slapstick. Mal mehr, mal weniger gelungen. Es ist eine Verwechslungskomödie mit simpel gestrickten Figuren und vorhersehbaren Verwechslungen und Wendungen, die fast ausschließlich in dem in keinster Weise behindertengerechten Anwesen von Groenert spielt.

Kalte Füße (Deutschland 2018)

Regie: Wolfgang Groos

Drehbuch: Christof Ritter

mit Heiner Lauterbach, Emilio Sakraya, Sonja Gerhardt, Aleksandar Jovanovic, Michael Ostrowski, Gerti Drassl, Alexander Czerwinski, Ischtar Isik, Jasmin Gerat

Länge: 93 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Kalte Füße“

Moviepilot über „Kalte Füße“

Wikipedia über „Kalte Füße“


Neu im Kino/Filmkritik: Deutsche Genreversuche: Der Horrorfilm „Heilstätten“

Februar 23, 2018

Horrorfilme können billig hergestellt werden. Sie leben von Schocks und, nun, Geschmacklosigkeiten und Grenzüberschreitungen. Sie sprechen unsere Ängste an und sie können, wie zuletzt „Get out“, Themen ansprechen, die in höher budgetierten Filmen, die entsprechend mehr Geld einspielen müssen, nicht oder nicht so offen angesprochen werden. Sie richten sich vor allem an ein jugendliches Publikum und schon einige beachtliche Karrieren starteten mit Horrorfilmen. Ich sage nur George A. Romero, John Carpenter, Wes Craven, Tobe Hooper und Eli Roth. Filme wie „The Texas Chainsaw Massacre“, „Halloween“, „Hostel“, „Saw“ und „The Blair Witch Project“ (USA 1999) waren gigantische Erfolge, die ihr Geld mehr als einmal einspielten und unzählige Male kopiert wurden. Vor allem die Idee von „The Blair Witch Project“ war grandios. Im Internet wurde die Legende von einer Hexe und damit verbundener unheimlicher Ereignisse in den Wäldern von Maryland gestrickt. Der Film bestand dann, so wurde vor dem Filmstart kolportiert, aus den wieder aufgetauchten Aufnahmen, die eine handvoll spurlos verschwundener Filmstudenten auf ihrer Suche nach der Hexe gemacht haben. In den gefundenen Aufnahmen streifen sie ohne ein Drehbuch durch den Wald (was die oft erbärmlichen Dialoge erklärt). Sie sind keine Schauspieler (was das, ähem, naturalistische Spiel erklärt). Und sie sind keine ausgebildeten Kameramänner (was die oft erbärmliche Bildqualität erklärt).

Der unglaublich erfolgreiche Horrorfilm begründete das „Found Footage“-Subgenre, das behauptet, der Film sei aus gefunden Aufnahmen hergestellt worden. Und diese gefundenen Aufnahmen sind halt technisch nicht so perfekt, wie in einem richtigen Film. Alles das, was ein Kameramann vermeidet wie der Teufel das Weihwasser, ist hier ein Qulitätsmerkmal. Möglich wurde das durch die Entwicklung von immer kleineren, leistungsfähigen Videokameras. So drehte Steven Soderbergh seinen neuen Film, den Horrorthriller „Unsane“ (Kinostart 29. März 2018), komplett mit dem iPhone.

Für Filmproduzenten hatte das Subgenre noch drei erfreuliche Nebenwirkungen: es musst nicht mehr nach richtigen Schauspielern gesucht werden (die Protagonisten sollten ja gerade nicht spielen, sondern sich wie der Junge von nebenan benehmen), ein Drehbuch mit ausgefeilten Dialogen ist unnötig (die Schauspieler sollen sich ja wie die Schulkameradinnen verhalten und reden) und die Produktionskosten waren astronomisch niedrig. Man braucht nur ein Gebäude und einige Schauspieler. Sogar für Spezialeffekte braucht man eigenlich kein Geld, weil im Notfall ja immer die Kamera einen Schwenk in die langweilige Ecke machen kann. Blumhouse Productions, um nur die bekannteste Firma zu nennen, produziert seit Jahren mit enem Microbudget finanzierte Found-Footage-Horrorfilme, die durchgehend finanziell einträglich sind. Bis auf wenige Ausnahmen sind es allerdings auch ziemliche Langweiler.

Heilstätten“ fällt in dieses Found-Footage-Subgenre. Dieses Mal spielt die Geschichte allerdings nicht in den USA, sondern in Deutschland und es handelt sich um eine deutsche Produktion mit deutschen Schauspielern. Gedreht wurde der Film in einer Ruine mit Schauspielern, von denen einer auch ein YouTube-Star ist. Die anderen benehmen sich so als ob.

Die Story ist Asbach-Uralt-Horrorfilm: eine Gruppe Jugendlicher will eine Nacht in einem Gebäude verbringen, in dem es spucken soll. Die Nazis haben in der Heilstätte Menschenexperimente gemacht. Jetzt haben die untereinder verfeindeten YouTuber sich entschlossen, eine 24-Stunden-Challenge zu machen, in der es darum geht, eine Nacht in der Ruine zu verbringen. Zuerst halten die Jugendlichen die Mutprobe für einen großen Spaß. Denn Geister gibt es nicht.

Sie verteilen Kameras in dem Gebäude, die alles aufnehmen sollen, was in der Nacht geschieht. Und, wie es sich für einen YouTuber gehört, laufen sie immer mit einer eingeschalteten Kamera herum.

Dann geschehen unheimliche Dinge, es gibt Tote und anstatt herumzublödeln, wird geschrien und durch dunkle Gänge gerannt oder durch den Wald gestolpert.

Das ist, – wenig überraschend -, erbärmlich schlecht gespielt. Das aufgedrehte Gehabe der grenzdebilen YouTube-Stars nervt so sehr, dass ich über jedes Ableben erfreut war. Eine Nervensäge weniger in dieser überflüssigen Blumhouse-Kopie.

Dummerweise gibt es am Ende eine überraschende Wendung, die dem Film eine tiefere Bedeutung verleihen soll und die hier nicht verraten werden soll, weil es ein Mega-Spoiler wäre. Es ist allerdings auch eine vollkommen aus dem heiteren Himmel kommende überraschende Wendung, die teilweise im Widerspruch zu der vorherigen Geschichte steht und nicht vorbereitet wurde. Genausogut hätte auch ein Ufo auftauchen können.

So wird das nichts mit dem deutschen Horrorfilm.

Immerhin ist „Heilstätten“ nicht übermäßig lang und die Kulisse gefällt. Gedreht wurde der Film allerdings nicht in der Heilstätte Beelitz (eine oft genutzte Filmkulisse, u. a. „Men & Chicken“ und „A Cure for Wellness“), dem Handlungsort des Films, sondern in der ebenfalls verfallenen, unbekannteren Heilstätte Grabowsee gedreht.

Ach, und das Plakat ist auch gelungen.

Heilstätten (Deutschland 2018)

Regie: Michael David Pate

Drehbuch: Michael David Pate (nach einer Drehbuchvorlage von Ecki Ziedrich)

mit Sonja Gerhardt, Tim Oliver Schultz, Nilam Farooq, Lisa Maria Koroll, Emilio Sakraya, Timmi Trinks, Farina Flebbe, Maxine Kazis, David Schulz

Länge: 89 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Heilstätten“

Moviepilot über „Heilstätten“