Neu im Kino/Filmkritik: „Rheingold“, der Mythos, der Gangster, der Rapper – eine deutsche Geschichte

Provinziell klingt so provinziell. Trotzdem beschreibt das die Gangster-Karriere des Rappers Xatar ziemlich gut. Mit einer ordentlichen Portion Trotteligkeit, die auch gut in einen Heinz-Rühmann-Film gepasst hätte. Mit der Toughness, die US-Rapper mit tonnenschweren Goldketten, vulgär präsentierten Pistolen und dick aufgetragener authentischer Ghetto-Legitimität fotogen vor sich her tragen, hat das nichts zu tun. Das liegt nicht, wie Fatih Akin in seinem Xatar-Biopic „Rheingold“ zeigt, am mangelndem Wollen, sondern an der Welt, in der Xatar lebt. Waffen, das organisierte Verbrechen und Rassismus haben in Deutschland eine andere Rolle, ein anderes Gewicht und eine andere Bedeutung als in den USA. Das führt dazu, dass aus den USA ein stetiger Strom Gangsterfilme kommt, in denen Mafiosi sich blutig bekämpfen. In Deutschland wird im Zweifelsfall einfach geleugnet, dass es hier die Mafia und das Organisierte Verbrechen gibt, Ausnahmen, wie Dominik Grafs TV-Miniserie „Im Angesicht des Verbrechens“, bestätigen die Regel.

Fatih Akin erzählt in „Rheingold“ flott das Leben von Giwar ‚Xatar‘ Hajabi als knallige Coming-of-Age-Geschichte und humoristische Räuberpistole nach. Sein Film beginnt schon vor Giwars Geburt. Im Iran ist Giwars Vater Eghbal Hajabi Musikprofessor und Komponist. Seine aus einer angesehenen Familie stammende Frau Rasal ist ebenfalls Musikerin. Nachdem Mullahs in Teheran eines seiner Konzerte stürmen, flüchten sie in den Norden des Landes und schließen sich kurdischen Freiheitskämpfern an. Während des Iran-Irak-Krieges wird Rasal zur Kriegsheldin.

Giwar kommt am 24. (!) Dezember 1981, in einer Höhle zur Welt. Mit Hilfe des Roten Kreuzes kommen die Hajabis nach Paris und später nach Bonn. Dort hört Giwar, zusammen mit seinem Vater, im Opernhaus Richard Wagners „Rheingold“. Eghbal arbeitet wieder als Musiker, verliebt sich in eine andere Frau und verlässt seine Familie. Rasal muss als Putzfrau arbeiten. Giwar geht auf das Gymnasium, erhält Klavierunterricht (dafür ist immer Geld da) und versucht als Flüchtlingskind seinen Platz in der Gesellschaft zu finden. Er wird von Gleichaltrigen herumgestoßen. In einem Boxstudio trainiert er mit dem Ziel, seine Peiniger zu verprügeln. Er probiert alles aus, um Geld, viel Geld zu verdienen. Gesetze sind ihm egal. Skrupel hat er keine. Er verkauft illegal kopierte Sexvideos (wir reden von den Neunzigern) und Drogen. Seine Ambitionen sind größer als sein Können. Entsprechend dilletantisch ist der von ihm 2009 durchgeführte Goldraub, der ihm eine mehrjährige Haftstrafe verschafft.

Im Gefängnis beginnt er ernsthaft seine Karriere als Rapper.

Das ist ein Leben, das genug Stoff für einen Film hergibt und in dem viel über die deutsche Gesellschaft erzählt werden kann.

Fatih Akin, der sich schon in seinem Spielilmdebüt „Kurz und schmerzlos“ (1998) mit dem Leben von migrantischstämmigen Kleinkriminellen in Hamburg-Altona beschäftigte, erzählt hier wieder aus dem Leben von Migranten in Deutschland. Locker, flockig, pointiert, nie besonders kritisch gegenüber dem Porträtierten erzählt er das Leben von Giwar Hajabi und seinen Eltern. Weil die Geschichte nicht in einer im Verbrechen versinkenden US-Großstadt mit maroden Sozialbauten, schlechten Schulen und zu vielen Schusswaffen, sondern im beschaulichen Bonn am Rhein spielt, wirkt Giwars Geschichte immer wie eine schnurriger Räuberpistole mit etwas Gangster-Ghetto-Feeling und hochkultureller deutscher Adelung.

Das Ergebnis kann auch gut als Image-Film für den Musiker dienen. Er wird als wahrer Hansdampf in allen Gassen gezeigt. Er ist der nette, sympathische Junge, der Geld verdienen will. Dabei war Giwar kein Unschuldslamm. Es waren seine Entscheidungen, die ihn zum Verbrecher werden ließen und für die er zu einer achtjährigen Haftstrafe verurteilt wurde.

Rheingold (Deutschland 2022)

Regie: Fatih Akin

Drehbuch: Fatih Akin

LV: Xatar: Alles oder Nix, 2015

mit Emilio Sakraya, Mona Pirzad, Kardo Razzazi, Ilyes Raoul, Ugur Yücel, Denis Moschitto, Sogol Faghani, Arman Kashani, Julia Goldberg, Majid Bakhtiari, Karim Düzgün Günes, Doğa Gürer

Länge: 138 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Filmportal über „Rheingold“

Moviepilot über „Rheingold“

Rotten Tomatoes über „Rheingold“

Wikipedia über „Rheingold“

Meine Besprechung von Fatih Akins „Müll im Garten Eden“ (Deutschland 2012)

Meine Besprechung von Fatih Akins „The Cut“ (Deutschland/Frankreich 2014)

Meine Besprechung von Fatih Akins „Tschick“ (Deutschland 2016)

Meine Besprechung von Fatih Akins „Aus dem Nichts“ (Deutschland 2017)

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