Neu im Kino/Filmkritik: „Kill the Jockey“ in Absurdistan-Argentinien

September 18, 2025

Remo Manfredini (Nahuel Pérez Biscayart) war ein gefeierter Jockey. Jetzt ist er ein bei der Mafia hoch verschuldeter, exzessiver Drogenkonsument mit wachsendem Schuldenberg. Mit einem Sieg würde er ein Comeback feiern und könnte seine Schulden abbezahlen.

Aber die Dinge sind nicht so einfach und Regisseur Luis Ortega („Der schwarze Engel“) hat in seinem neuesten Film „Kill the Jockey“ erkennbar kein Interesse am Erzählen einer herkömmlichen Geschichte. Schon in den ersten Minuten zeigt er, dass alles in Richtung absurder Surrealismus mit abgespacten Tanzszenen, durchgehend unbeeindruckt agierenden Schauspielern (auch wenn sie gerade vom Bett aufstehen und ein Stockwerk tiefer fallen) und einem ausgedehntem Einführungskurs in überraschende Drogenverstecke auf dem Weg zur Rennstrecke geht. Das ist voller Einfälle, witzig, grotesk, fantastisch und absolut kurzweilig irgendwo zwischen Surrealismus, Pedro Almodovar, Wes Anderson und witzigem Giorgios Lanthimos.

In der Mitte, wenige Filmminuten nachdem Remo bei einem Pferderennen die Rennstrecke verlässt und auf einem unglaublich wertvollem Pferd in die dunkle Stadt hineingaloppiert, verlässt Ortega seinen Minimalstplot endgültig. Er lässt Remo als Dolores durch Buenos Aires irren und ich hatte zunehmend den Eindruck, dass Ortega sein gesamtes kreatives Potential in der grandiosen ersten Hälfte verschossen hat. Das macht „Kill the Jockey“, nach einem überzeugenden Anfang, zu einem letztendlich enttäuschendem Film.

Schade.

Kill the Jockey (El Jockey, Argentinien/Mexiko/Spanien/Dänemark/USA 2024)

Regie: Luis Ortega

Drehbuch: Luis Ortega, Fabian Casas, Rodolfo Palacios

mit Nahuel Pérez Biscayart, Ursula Corberó, Daniel Gimenez Cacho, Daniel Fanego, Osmar Núñez, Roberto Carnaghi, Luis Ziembrowski, Jorge Prado, Adriana Aguirre, Roly Serrano, Mariana Di Girolamo

Länge: 97 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Kill the Jockey“

Metacritic über „Kill the Jockey“

Rotten Tomatoes über „Kill the Jockey“

Wikipedia über „Kill the Jockey“ (deutsch, englisch)


Neu im Kino/Filmkritik: Über Lisandro Alonsos „Eureka“

April 26, 2024

Zehn Jahre nach seinem letzten Spielfilm „Jauja“, ebenfalls mit Viggo Mortensen, läut jetzt Lisandro Alonsos neuer Film „Eureka“ bei uns an. Mit 147 Minuten ist er ziemlich lang geraten; was auch daran liegt, dass er drei Geschichten erzählt, die lose bis überhaupt nicht miteinander verbunden sind und die, wie erwartbar bei voneinander unabhängigen Kurzfilmen, von unterschiedlicher Qualität sind. Der erste Kurzfilm ist ein im neunzehnten Jahrhundert spielender Western. Ein Fremder kommt in einen von Gesetzlosen, halbseidenen Säufern und Huren bewohnten Ort. Was er in dem Ort zu finden hofft, ist unklar. Aber schnell ist klar, dass er ein begnadeter und schneller Schütze ist, der ohne zu zögern andere Menschen erschießt.

Diese Geschichte endet abrupt nach 23 Minuten in der Gegenwart in einem Fernseher, der in der Wohnung einer Polizistin in South Dakota im Pine Ridge Reservat im Hintergrund läuft. In den nächsten über siebzig Minuten beobachtet Alonso die Polizistin bei der Arbeit, die vor allem aus langen nächtlichen Fahrten auf einsamen Straßen besteht. Dabei trifft sie auf eine Französin, deren Auto liegen geblieben ist, und einen Einheimischen, der betrunken Auto fährt. Sie wird auch zu einem Fall von Häuslicher Gewalt gerufen. Alltag im Reservat eben.

Zur gleichen Zeit putzt ihre Nichte eine Turnhalle, trifft einen auf der Polizeistation inhaftierten Gleichaltrigen und sie bittet ihren Großvater um einen mythischen Trank, der ihr eine Flucht aus ihrem Leben im Reservat ermöglicht.

Nach diesem mit über siebzig Minuten umfangreichsten Erzählblock des Films springt der Film für die dritte und letzte Episode in das Jahr 1974 und in den brasilianischen Dschungel zu einem anscheinend weitab von der Zivilisation lebendem indigenen Volk. Deren naturverbundenes Leben wird von Goldsuchern bedroht. Einer der Indigenen begibt sich in das Lager der Goldsucher und sucht mit ihnen Gold. Später flüchtet er aus dem kapitalistisch-ausbeuterisch geführtem Lager in den Regenwald.

Alonso inszenierte seinen neuesten Film, bis auf den Western-Kurzfilm am Filmanfang, der lakonisch schwarzhumorig, schnell geschnitten und wie ein klassisches B-Picture erzählt ist, im Stil des dokumentarisch beobachtenden Slow Cinemas. Gerade im zweiten Teil, der sich stark am Independent Cinema orientiert, bleibt die Kamera fast immer auf dem Gesicht der Streifenpolizistin Alaina. Auch dieser Teil gefällt in den Teilen, in denen Alainas Arbeit und das Leben im Reservat dokumentiert wird. Er zeigt auch ausführlich die im Reservat stehenden hässlichen Billiggebäude und die menschenleere Landschaft, von der wir in der Nacht nur die Straße und einige Fertighäuser sehen. Erklärt wird wenig bis nichts. So kommt ihre Nichte, die in diesem Erzählblock die zweite Hauptrolle hat, im Lauf der normal wirkenden Nacht zu der Erkenntnis, dass sie nicht mehr im Reservat bleiben möchte, Sie bittet ihren Großvater um einem mythischen Trank, der ihr eine Reise durch Raum und Zeit ermöglicht; – was jetzt erst einmal nur nach einer pompösen Umschreibung für einen Drogentrip klingt. Immerhin ermöglicht dieser Trip Alonso den Übergang vom US-amerikanischen Indianerreservat nach Brasillien. Dieser dritte, in den siebziger Jahren spielende Kurzfilm langweilt dann nur noch. Viel zu vieles bleibt nebulös und das, was wir sehen, ist nicht interessant.

„Eureka“ ist nach einem fabelhaftem Start im Wilden Westen ein zunehmend uninteressanter und langweiliger werdender Slow-Cinema-Film.

Eureka (Eureka, Argentinien/Deutschland/Frankreich/Mexiko/Portugal 2023)

Regie: Lisandro Alonso

Drehbuch: Lisandro Alonso, Martín Caamaño, Fabian Casas

mit Viggo Mortensen, Chiara Mastroianni, Alaina Clifford, Sadie Lapointe, Villbjørk Malling Agger, Adanilo, Marcio Marante, Luisa Cruz, Rafi Pitts

Länge: 147 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Filmportal über „Eureka“

Moviepilot über „Eureka“

Metacritic über „Eureka“

Rotten Tomatoes über „Eureka“

Wikipedia über „Eureka“ (deutsch, englisch)