Ein Film – – – muss nicht teuer sein, um gut zu sein. Der Regisseur muss nur eine Idee, ein daraus entstandenes Drehbuch, einige Schauspieler, einige Tage Zeit und ein iPhone haben. Drehgenehmigungen hatte er, jedenfalls sehen die Außenaufnahmen so aus, nicht. Falls doch, wurde nichts abgesperrt. Warum auch? Schließlich sind heute in Städten Smartphones so allgegenwärtig, dass sich niemand mehr nach einem Menschen umdreht, der etwas aufnimmt.
So drehte Radu Jude, direkt im Anschluss an seine dreistündige sehr freie „Dracula“-Adaption (deutscher Starttermin: unklar), innerhalb von knapp elf Tagen, ohne zusätzliche Beleuchtung oder Grip-Ausstattung „Kontinental ’25“.
In Cluj, der Hauptstadt Transsylvaniens, bringt sich ein Obdachloser um in seinem sparsam eingerichteten Unterschlupf im Keller eines Hauses, das einem Luxushotel weichen soll. Er stranguliert sich an der Heizung, während die Gerichtsvollzieherin Orsolya (Eszter Tompa) bei ihm eine Zwangsräumung vollstrecken will.
Danach fühlt Orsolya sich schuldig und spricht mit verschiedenen Menschen, die ihr mehr oder weniger nahe stehen, darüber.
Inszeniert hat Jude seinen neuen Film in langen, etwas ziellosen Szenen. Anstatt eine voranschreitende Geschichte zu erzählen, erzählt Orsolya immer wieder, fast wortgleich die Geschichte von dem Suizid des Obdachlosen und ihren Schuldgefühlen. Das langweilt schnell. Es fehlen auch die ätzenden satirischen Zuspitzungen seiner vorherigen Filme. In „Kontinental ’25“ entwickelt sich alles deutlich bedächtiger, ernster und humorfreier.
Auffallend ist, nachdem er früher immer einen offensiv ausgelebten Kult des Dilletantismus, der fröhlichen Improvisation und der Vielfalt der verwendeten Mittel predigte, wie formal geschlossen, überlegt in seiner Struktur und sich, auf verschiedenen Ebenen, offen auf andere Filme beziehend „Kontinental ’25“ ist. Die Struktur hat er von Alfred Hitchcocks „Psycho“ übernommen. In „Psycho“ beginnt Hitchcock mit der Geschichte des zukünftigen Opfers Marion Crane. Nach einem Drittel des Films wird sie von Norman Bates in einer Dusche ermordet. Anschließend steht Bates im Zentrum des Films. Weil auch er ein Opfer ist, kann man als Zuschauer seine Sympathie von Crane auf Bates übertragen. Gleiches gilt für „Kontinental ’25“. Der Obdachlose, der am Filmanfang im Mittelpunkt des Films steht, ist ein Opfer der Gesellschaft. Orsolya ebenso. Und wie Norman Bates muss sie mit ihren Schuldgefühlen umgehen.
Gleichzeitig ist Judes Film eine Hommage an und Karikatur von Roberto Rossellinis Drama „Europa 51“. Rossellini erzählt eine größtenteils andere Geschichte. Bei Rossellini beginnt die vermögende Irene Gerard (Ingrid Bergmann) nach dem Suizid ihres Sohnes, von Schuldgefühlen geplagt und nach Erlösung suchend, eine Reise durch die Arbeiterklasse von Rom. Irene lernt die Welt kennen, in der Orsolya lebt.
Auf der Berlinale erhielt „Kontinental ’25“ den Silbernen Bären für das beste Drehbuch.

Kontinental ’25 (Kontinental ’25, Rumänien 2025)
Regie: Radu Jude
Drehbuch: Radu Jude
mit Eszter Tompa, Gabriel Spahiu, Adonis Tanța, Oana Mardare, Șerban Pavlu
Länge: 109 Minuten
FSK: ab 16 Jahre
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Hinweise
Moviepilot über „Kontinental ’25“
Metacritic über „Kontinental ’25“
Rotten Tomatoes über „Kontinental ’25“
Wikipedia über „Kontinental ’25“ (deutsch, englisch)
Veröffentlicht von AxelB 