Verhoevens erster Schritt in Richtung Hollywood ist ein Mittelalterspektakel voller Gewalt, Niedertracht, Triebe, Fleisch und Blut. Nicht umsonst ist der Film von der FSK ab 18 Jahren freigegeben.
Australien, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs: der Kriegsveteran Tom Sherbourne (Michael Fassbender) nimmt eine Stelle als Leuchtturmwärter auf Janus Rock an. Er genießt die Einsamkeit, verliebt sich in Isabel Graysmark (Alicia Vikander) und heiratet sie. Sie zieht zu ihm auf die Insel, hat mehrere Fehlgeburten, eine, sehr symbolisch, in einer sturmumtosten Nacht, und – inzwischen läuft der Film schon eine Stunde – eines Tages wird ein Boot mit einem Toten und einem Baby an die Insel gespült. Tom will das Ereignis melden. Isabel überzeugt ihn, das Baby als ihr Kind auszugeben.
Jahre später, ihre Tochter ist inzwischen ein lebenslustiges Kind, entdeckt Tom, dass Hannah Roeennfeldt, die Mutter des Kindes (Rachel Weisz), auf dem Festland lebt und immer noch um ihr Kind trauert.
Bis es soweit ist, läuft „The Light between Oceans“ schon über neunzig Minuten und all das wird auch im offiziellen Kurzinhalt verraten. Im Trailer wird noch mehr verraten. Das wäre kein Problem. Ein langes Vorspiel kann die Vorbereitung für ein großes Finale sein. Dafür müssen die Ereignisse, die dorthin führen, nur interessant genug sein. Auch bei Derek Cianfrances Bestsellerverfilmung sind die emotionalen Konflikte und Trauma, mit denen Tom und Isabel und später Hannah sich auseinandersetzen müssen, groß genug, um locker ein halbes Dutzend Filme zu füllen.
Allerdings können wir sie in diesem Film nur intellektuell erfassen, während Michael Fassbender unbewegt aufs Meer blickt und die Treppe zum Leuchtturm hinauf- und hinabschreitet. Mal schneller, mal langsamer, mal mit aufgehender, mal mit untergehender Sonne. Das sieht zwar schön aus, wie alles in dem Film schön aussieht mit schönen Menschen in einer schönen Landschaft, aber es berührt emotional nicht. Es interessiert nicht. Das Drama, die Gefühle, die Sehnsüchte, die Ängste und Gewissenskonflikte entfalten sich sich nur im Kopf des Zuschauers, der sich dann auch noch sagen muss, ob er jetzt betroffen sein soll. Oder nicht.
Und wir erfahren über die Charaktere auch nicht mehr als nötig. So wissen wir über Tom nur, dass er Kriegsveteran ist. Über seine Kriegserlebnisse schweigt er sich aus. Auch ob sie ihn irgendwie berührten. Über sein früheres Leben erfahren wir auch nichts. Er könnte also schon immer ein introvertierter, verantwortungsbewusster, etwas steifer Einzelgänger gewesen sein. Auch über Isabel und Hannah erfahren wir nicht viel mehr. Das ist, weil wirklich nicht alles psychologisiert werden muss und nicht alles mit irgendwelchen Kindheitserlebnissen erklärt werden muss, nicht schlecht. So erfahren wir alles, was wir über Tom, Isabel und Hannah wissen müssen, aus ihren Taten.
Dummerweise tun sie während der gesamten Geschichte erschreckend wenig und zwischen den wichtigen Ereignissen – Heirat, Aufnahme des Findelkindes, zufällige Entdeckung der echten Mutter, die Entscheidung, ob die Mutter über den Aufenthaltsort ihres Kindes informiert werden soll und die Folgen dieser Entscheidung –, die ungefähr im Halbstundentakt passieren, passiert auch nichts, was wir nicht schon nach zwei Minuten wissen. Derek Cianfrance dehnt das dann auf halbe Stunden. Sein neuer Film, nach „Blue Valentine“ und „The Place beyond the Pines“, ist das filmische Äquivalent zum elend langen, schweigsamen Warten auf den nächsten Gang in einem Nobelrestaurant.
„The Light between Oceans“ ist langweiliger, todernster, tieftrauriger, von seiner eigenen Bedeutsamkeit eingenommener Kitsch mit einem entsprechend kitschigem Ende, das auch Nicholas Sparks so hinbekommen hätte. Wobei die Sparks-Verfilmungen nie behaupten, wirklich gute und wichtige Filme zu sein, und so einen gewissen Unterhaltungswert haben, den ich hier nie entdeckte.
The Light between Oceans (The Light between Oceans, USA 2016)
Regie: Derek Cianfrance
Drehbuch: Derek Cianfrance
LV: M. L. Stedman: The Light between Oceans, 2012 (Das Licht zwischen den Meeren)
mit Michael Fassbender, Alicia Vikander, Rachel Weisz, Bryan Brown, Jack Thompson, Leon Ford
Bevor Paul Verhoeven nach Hollywood ging und mit „Total Recall“, „Robocop“ und „Basic Instinct“ zum weltweit bekannten Skandalregisseur wurde, der immer wieder Probleme mit der Zensur hatte und der in seinen Filmen ein veritabler Gesellschaftskritiker ist, war er in seiner Heimat Holland und Europa mit heute fast vergessenen Hits wie „Türkische Früchte“, „Der Soldat von Oranien“ und „Spetters – knallhart und romantisch“ schon bekannt.
Das jetzt mit interessantem Bonusmaterial auf DVD veröffentlichte, nicht mehr auf dem Index stehende Mittelalter-Drama „Flesh + Blood“ ist der Film, der in Verhoevens Karriere das Scharnier zwischen Europa und Hollywood bildet. Damals mit Hollywood-Geld und einem internationalen Cast in Spanien gedreht, war es ein von der Kritik zerrissener Flop, der in den USA nur einen Minimalstart hatte. Die katholische Filmkritik meint im „Lexikon des internationalen Films“ lapidar: „Wir raten ab.“
In dem Film erzählt Verhoeven die Geschichte des Söldners Martin (Rutger Hauer), der von seinem Feldherrn Hawkwood (Jack Thompson) nach der Einnahme einer Stadt verraten wird. Ohne Beute müssen sie abziehen. Kurz darauf kann Martin sich allerdings, mit seiner Bande, an ihrem Auftraggeber, Lord Arnolfini und seinem wissenschaftliche interessiertem Sohn Steven (Tom Burlinson), rächen. Er entführt die Steven versprochene Braut, Prinzessin Agnes (Jennifer Jason Leigh), die kurz darauf beginnt Martin zu becircen. Aus durchaus eigennützigen Motiven.
Sowieso sind in „Flesh + Blood“ die meisten Charaktere vom nackten Überlebensinstinkt und der Gier nach Sex und Reichtum angetrieben. Dafür betrügen und manipulieren sie hemmungslos. So nutzt Martin eine Heiligenfigur und den Glauben seiner Männer an diese Figur aus, um seinen Machtanspruch zu zementieren und Agnes für sich zu behalten. Und Agnes gibt sich Martin willig hin, um nicht von seiner gesamten Bande vergewaltigt zu werden.
In dieser Welt ist Hawkwood dann schon fast eine moralische Instanz. Nachdem er im Gefecht eine junge Nonne irrtümlich schwer verletzt, zieht er sich vom Söldnerhandwerk zurück und wird ein Bauer, bis er von Lord Arnolfini und seinem Sohn, der nach dem Tod seines Vaters ohne zu Zögern dessen Rolle übernimmt, erpresst wird, einen Feldzug gegen Martin zu starten.
Im informativen Audiokommentar, den Paul Verhoeven bereits vor über zehn Jahren aufnahm und der jetzt erstmals auf einer deutschsprachigen Ausgabe des Films erscheint, erzählt er, dass ursprünglich der Konflikt zwischen Martin und Hawkwood, zwei Freunde, die zu Gegnern werden, im Mittelpunkt des Films stehen sollte. Das hätte dann wohlige Erinnerungen an Sam Peckinpah Werks, vor allem natürlich „The Wild Bunch“, heraufbeschwört. Aber die Produzenten wollten, dass die Liebesgeschichte zwischen Steven und Agnes im Mittelpunkt steht. Das tut sie jetzt auch, wobei hier Liebe keinem romantischen Ideal, sondern reinen Zweckbündnissen und Eheversprechen gehorcht. So ist durchaus unklar, ob Steven Agnes unbedingt haben will, weil er in sie verliebt ist (eher unwahrscheinlich; immerhin kennt er sie überhaupt nicht) oder weil Martin ihm etwas gestohlen hat und ein lesekundiger Lord lässt sich nun einmal nichts von einem dahergelaufenem, ungebildeten Söldner stehlen.
Dieser illusionslose Blick auf seine Charaktere verleiht der Geschichte eine düstere Wucht, die von den Bildern unterstrichen wird.
Heute hat der Film, der bis zum März 2013 auf dem Index stand und daher einem Werbeverbot unterlag, nichts von seiner Wirkung verloren hat. Eigentlich hat er, im Gegensatz zu ungefähr zeitgleich entstandenen Filmen wie „Conan, der Barbar“, sogar gewonnen. Denn Verhoevens kompromisslose Version von dem Mittelalter ist düster, pessimistisch, vulgär und, wie der Titel sagt, voller Fleisch und Blut. Er dürfte damit dem wahren Mittelalter als düstere Zeit ziemlich nahe gekommen sein.
„Flesh + Blood“ ist ein gnadenlos unterschätzter Paul-Verhoeven-Film, der jetzt in verschiedenen, gut ausgetatteten Ausgaben (wieder)entdeckt werden kann. Wir raten zu.
Flesh + Blood (Flesh + Blood, USA 1985)
Regie: Paul Verhoeven
Drehbuch: Gerard Soeteman, Paul Verhoeven
mit Rutger Hauer, Jennifer Jason Leigh, Tom Burlinson, Jack Thompson, Susan Tyreel, Fernando Hillbeck, Ronald Lacey