Cover der Woche

Dezember 17, 2024


Jürgen Heimbach besucht die Burg „Waldeck“

Juni 17, 2024

Vor sechzig Jahren, während in Frankfurt am Main der Auschwitzprozess für volle Gerichtssäle in der Stadt und Diskussionen in der ganzen deutschen Gesellschaft sorgten, fand im Hunsrück auf der Burg Waldeck ein Musikfestival statt, das der Beginn der langlebigen Karrieren von, unter anderem, Franz Josef Degenhardt, Reinhard Mey, Dieter Süverkrüp, Hannes Wader und Hanns Dieter Hüsch war.

In Jürgen Heimbachs neuestem Thriller „Waldeck“ ist das Festival der Ort, an dem am Ende des Romans die bis dahin parallel geführten Handlungsstränge zu einem furiosen Finale zusammengeführt werden und die wichtigen Figuren zum ersten Mal alle aufeinandertreffen.

Bis dahin springt Heimbach souverän zwischen den verschiedenen Plots, verknüpft geschickt die große Politik mit alltäglichen Sorgen. Er entwirft ein dichtes Porträt der damaligen Zeit und der beginnenden Umwälzungen. Die jungen Menschen wollen ein anderes Leben als ihre Eltern leben. Diese waren teilweise tief in die damals noch keine zwanzig Jahre zurückliegende Nazi-Diktatur verstrickt, leugneten standhaft ihre Mittäterschaft und versuchten, teilweise mit kriminellen Mitteln, diese zu verschleiern.

Der 35-jährige Journalist Ferdinand Broich ist einer, der etwas gegen diesen falschen Frieden tun will. Als ihm die Holocaust-Überlebende Ruth Lachmann sagt, sie habe in München einen Zahnarzt aus dem Konzentrationslager Lublin-Majdanek gesehen, der dort unter einem falschen Namen ein geachteter und vermögender Zahnarzt ist, macht Broich sich auf den Weg nach München. Er will mit seiner Informantin reden, sich überzeugen, ob der Zahnarzt Ulrich Fischer der KZ-Zahnarzt Gernot Tromnau ist und eine Reportage darüber schreiben.

Noch ehe er mit seinen Recherchen beginnen kann, erfährt er, dass die Frau, die ihm den Tipp gegeben hat, tot ist. Es soll sich um einen natürlichen Tod handeln. Immerhin war sie schon älter. Aber Broich ist misstrauisch.

Fischers Tochter Silvia soll Hajo Bremer heiraten. Der Jurist hat vermögende Eltern und legt in wenigen Tagen sein zweites Staatsexamen ab. Ihr Vater hält ihn für den perfekten Ehemann. Aber sie hat andere Pläne und sie hofft auf ihren bald anstehenden 21. Geburtstag und die damit verbundene Volljährigkeit. Als Silvia und Hajo in ihrem Elternhaus in einen Streit geraten, stößt sie ihn von sich weg. Er stolpert unglücklich und ist tot. Anstatt jetzt ihren Vater oder die Polizei anzurufen, flüchtet sie. Mit einer Aktentasche ihres Vaters, in der wichtige Dokumente über seine Vergangenheit sind. Sie will sich bei dem Waldeck-Festival mit Martin, der hoffentlich nicht nur ein Urlaubsflirt war, treffen und anschließend in Düsseldorf an der Kunstakademie studieren.

Auf ihrem Weg zum Musikfestival wird sie von Edgar Winter verfolgt. Er war bei der SS und, nach dem Krieg, Mitglied der Organisation Gehlen und, bis zu seiner Pensionierung, des BND. Für Fischer und eine kleine Gruppe von Nazi-Verbrechern, die nichts mehr von ihren damaligen Taten wissen wollen, ist er der skrupellose Problemlöser.

Im Hunsrück hadert die neunzehnjährige Wilhelmine ‚Mine‘ Karges mit ihrem Schicksal. Sie ist eine gute Turnerin und soll demnächst bei beim Kreisturnfest für ihr Dorf siegenn. Außerdem ist, auch ohne dass es explizit gesagt wird, ihre Heirat mit einem Jungen aus dem Dorf schon beschlossen. Dummerweise ist sie schwanger und nur sie kennt den Vater. Als sie von dem Festival erfährt, will auch sie das Festival besuchen. Dort hofft sie, den Vater ihres Kindes zu treffen.

Zwischen diesen Figuren springt Heimbach in knappen, die Geschichte konsequent vorantreibenden Szenen hin und her. Gleichzeitig taucht er tief in die damalige, uns heute sehr fern erscheinende Zeit ein. Er entwirft ein Panorama von einem Deutschland, das sich aus dem Muff der fünfziger Jahre befreit und auf ‚1968‘ vorbereitet.

Eine spannende Geschichtsstunde.

Jürgen Heimbach: Waldeck

Unionsverlag, 2024

352 Seiten

19 Euro

Bonushinweis

Ferdinand Broich trat bereits in einer kleinen, aber wichtigen Nebenrolle in dem 2020 mit dem Glauser als bester Kriminalroman ausgezeichnetem Krimi „Die Rote Hand“ auf. In dem Thriller wird 1959 in Frankfurt am Main ein Waffenhändler ermordet. Er lieferte Waffen an die algerische Befreiungsfront FNL, die damals gegen die Kolonialmacht Frankreich kämpfte.

Hauptperson des ebenfalls lesenswerten, ebenfalls nah an historischen Fakten entlang geschriebenen Noir-Thrillers ist der ehemalige Fremdenlegionär Arnold Streich. Er lebt inzwischen ein unauffälliges Leben als schlecht bezahlter, alleinstehender Wachmann. Als er von der „Roten Hand“ erpresst wird, der Waffenhändler in einer von ihm bewachten Garage ermordet wird und ein kleines Mädchen, das eine wichtige Zeugin ist, ebenfalls ermordet werden soll, ist das ruhige Leben für ihn vorbei.

Jürgen Heimbach: Die Rote Hand

Unionsverlag, 2020

288 Seiten

13,95 Euro

Erstausgabe

weissbooks.w, 2019

Hinweise

Homepage von Jürgen Heimbach

Unionsverlag über Jürgen Heimbach

Wikipedia über Jürgen Heimbach

Culturmag: Alf Mayer unterhält sich mit Jürgen Heimbach über „Waldeck“


Impressionen von der Leipziger Buchmesse 2024: Lauter nette Krimiautor*innen

März 24, 2024

Nächstes Jahr sollte ich auf der Leipziger Buchmesse endlich die vielen Cosplayer*innen aus dieser und allen anderen Welten fotografieren. Die scheinen das Posieren zu genießen. Deadpool – auch ihn habe ich auf der Messe gesehen – wohl auch.

Dieses Jahr habe ich Interviews mit Christine Lehmann (über „Alles nicht echt“), Stefán Máni (über „Abgrund“) und Anthony J. Quinn (über „Frau ohne Ausweg“) geführt. Ich muss sie die Tage noch etwas bearbeiten.

Bis dahin gibt es einige Schnappschüsse von gutgelaunten Krimiautor*innen mit ihren neuesten Kriminalromanen. In alphabetischer Reihenfolge:

Frauke Buchholz ist mit „Skalpjagd“ (Pendragon) am Ende einer Trilogie um den kanadischen Profiler Ted Garner, die vielleicht doch eine aus vier (oder mehr) Romanen bestehende ‚Trilogie‘ wird. Sie meinte, es gebe noch offene Fragen.

Jürgen Heimbach entführt uns in seinem neuen Krimi „Waldeck“ (Unionsverlag) in die sechziger Jahre zum ersten Burg-Waldeck-Festival. Während dort noch heute bekannte Musiker klampfen, sucht Journalist Ferdinand Broich einen untergetauchten SS-Arzt.

Chrstine Lehman lässt in ihrem 13. Lisa-Nerz-Krimi „Alles nicht echt“ (Ariadne) ihre Heldin in der Nachrichtenredaktion eines ÖRR-Senders ermitteln. Sie soll herausfinden, wer einige Daten aus dem Sender geklaut hat. Kurz darauf sucht sie einen Mörder.

Stefán Máni führt in Island seinen jungen Helden an den „Abgrund“ (Polar). Der Naivling glaubt, irgendetwas mit dem Verschwinden einer jungen Videothek-Mitarbeiterin zu tun zu haben. „Abgrund“ ist auch der erste Roman mit Kriminalpolizist Hörður Grímsson.

Anthony J. Quinn ist mit einer untergetauchten, aus Osteuropa kommenden „Frau ohne Ausweg“ (Polar) und seinem Ermittler Celcius Daly im irisch/nordirischen Grenzgebiet unterwegs. Daly sucht den Mörder ihres Zuhälters. Troubles garantiert

Das sind jetzt mindestens fünf leichengesättigte Lesetipps für den qualitätsbewussten Krimifan.