Neu im Kino/Buch- und Filmkritik: Über Michail Bulgakows „Der Meister und Margarita“ und Michael Lockshins Verfilmung

Mai 4, 2025

Im Buch besucht der Teufel in den dreißiger Jahren Moskau. In Michael Lockshins in Russland an der Kinokasse erfolgreichen Verfilmung ist das nicht so.

In Michail Bulgakows Roman „Der Meister und Margarita“, einem Kultbuch, das er von 1928 bis zu seinem Tod 1940 schrieb und dasin der Sowjetunion erstmals, in einer radikal gekürzten Fassung 1966 veröffentlicht und schnell in Lesezirkeln, mit den gekürzten Teilen, zu einem Erfolg wurde, besucht der Teufel Moskau und sorgt für eine ordentliche Portion Chaos. So tritt er als Woland, Professor für Schwarze Magie, in einer Varietéshow auf und beglückt die Anwesenden mit Zehn-Rubel-Geldscheinen, Begleitet wird er unter anderem von dem riesigen menschenähnlichem Kater Begemot. Der titelgebende Meister ist ein Schriftsteller, der einen Roman über Pontius Pilatus schreibt. Margarita ist seine Muse und eine Hexe, die nackt auf einem Besen durch die Nacht reitet und in der Wohnung Nr. 50, die viele verschiedene Mieter hat, einen Zeit und Raum sprengenden Ball mit ihr als Stargast besucht. Und ein Schrifsteller rutscht, wie Woland es vorhersagte, auf einer Lache aus Sonnenblumenöl aus und wird von einer Straßenbahn enthauptet.

Das alles gibt es auch in Michael Lockshins Verfilmung des Romans. Aber er erzählt diese Ereignisse nicht in der Chronologie des Romans, er variiert sie auch – so reitet Margarita auch im Film nackt durch die Nacht, aber sie ist unsichtbar, die Wohnung Nr. 50 ist weniger präsent und Wolands Magiershow konzentriert sich auf seinen sehr pompösen Auftritt – und er erfindet neue Szenen dazu.

Er erfindet eine Rahmenhandlung, in der der Meister in einer Irrenanstalt ein Buch schreibt, das wir dann sehen und wir sehen, wie er ein anderes Buch schreibt und sich mit Margarita darüber unterhält, und wir sehen die vom Meister aufgeschriebene Pilatus-Geschichte. Durch diese Rahmung wird die Filmgeschichte eindeutig in der Fantasie des Autors verortet. Während in Bulgakows Roman der Teufel Moskau besucht, ist in Lockshins Film der Teufel eine nur im Kopf des Meisters existierende Figur, mit der er sich literarisch an Widersachern rächt.

Und er fügt immer wieder Bezüge zur Gegenwart ein. Sein Dreißiger-Jahre-Moskau ist ein retrofuturistisches Moskau, das immer auch ein Bild des heutigen Moskaus ist. Damals herrschte Stalin, heute Putin. Der Name des Dikators änderte sich, aber nicht die Methoden seiner Herrschaftsausübung.

Lockshins satirische Komödie „Der Meister und Margarita“ist zugleich sich Freiheiten nehmende Romanverfilmung und Making of zu dem Roman.

Die Geschichte inszenierte er als in einer Steampunk-Welt spielende Mischung aus Trash und Hochkultur. Es gibt literarische und filmische Anspielungen und Exzesse. Es gibt auch eine CGI-Fantasywelt, die wir so ähnlich aus anderen russischen Filmen kennen.

Dieser Stil und die guten Schauspieler (August Diehl als Teufel ist köstlich!) gefallen. Weniger gefällt, dass Lockshins Verfilmung schnell zu einer Reihe unzusammenhängender, gut aussehender, mal mehr, mal weniger gelungener, für sich stehender, oft in verschiedenen imaginierten Welten spielenden Episoden wird. Und mit knapp drei Stunden ist seine episodische, oft vor sich hin mäandernde Schwarze Komödie zu lang geraden.

Der Roman hat mit dem gleichen Problem zu kämpfen. Nach einer ziemlich gelungenen ersten Hälfte folgt eine unglaublich zähe zweite Hälfte. Im ersten Teil geht es um die Taten des Teufels und die Auswirkungen seiner Taten. Im zweiten Teil, der knapp die Hälfte des Buchs umfasst, geht es um Margarita, die als Hexe durch die Nacht reitet und eine Party besucht.

Die in dem Roman vorhandene Systemkritik, die den Erfolg des Romans in der Sowjetunion begründete, ist aus westlicher und heutiger Perspektive ohne Hintergrundwissen kaum nachvollziehbar. Im Film ist diese Kritik an totalitären Systemen deutlicher.

In Russland war der zu den teuersten russischen Filmen zählende Film ein Kassenerfolg. Sechs Millionen zahlende Besucher sahen sich im Kino das systemkritische Werk an. Aktuell ist Lockshins Verfilmung der finanziell erfolgreichste R-Ratet-Film der russischen Kinogeschichte und einer der zehn erfolgreichsten Kinofilme Russland.

Der Meister und Margarita (Master i Margarita, Russland/Kroatien 2024)

Regie: Michael Lockshin

Drehbuch: Michael Lockshin, Roman Kantor

LV: Michail Bulgakow: Master i Margarita, 1966 (Der Meister und Margarita)

Mit August Diehl, Julia Snigir, Jewgeni Zyganow, Polina Aug, Claes Bang, Juri Kolokolnikow, Alexei Rosin, Dmitri Lysenkow, Alexei Guskow, Jewgeni Knjasew, Danil Steklow, Alexander Jazenkow

Länge: 156 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Die Vorlage

Michail Bulgakow: Der Meister und Margarita

(übersetzt von Alexandra Berlina)

Anaconda, 2020/2024

576 Seiten

7,95 Euro

Diese Übersetzung ist auch in einer illustrierten Schmuckausgabe, die 18 Euro kostet, erhältlich. Wer also ein Geschenk sucht.

Originalausgabe

Master i Margarita

Erste Veröffentlichung ab November 1966 als Fortsetzungsroman in einer um ein Achtel gekürzten Fassung in der Literaturzeitschrift Moskwa

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Der Meister und Margarita“

Rotten Tomatoes über „Der Meister und Margarita“

Wikipedia über „Der Meister und Margarita“ (Film: deutsch, englisch; Roman: deutsch, englisch)