Neu im Kino/Filmkritik: „Putin“, gesehen durch die Augen von Patryk Vega

Januar 10, 2025

Dass Patryk Vegas „Putin“ kein gewöhnliches Biopic über den russischen Präsidenten wird, wird auch den Menschen, die Vegas vorherige Filme nicht kennen, bereits in den ersten Minuten klar. 2026, also in der nahen Zukunft, informiert ein General den im Krankenhaus liegenden Wladimir Putin über den aktuellen Zustand der Welt. Währenddessen wechselt eine Krankenschwester Putins Windel, verabreicht ihm eine Spritze und gemeinsam heben sie ihn vom Boden ins Bett. Machtloser und in einem entwürdigenderem Zustand sah man selten einen politischen Führer, einen Diktator, dessen Image auf einem Bild hyperpotenter, strotzender Männlichkeit beruht.

Danach springt Vega zurück in Putins Kindheit und es geht in den folgenden knapp zwei Stunden halbwegs chronologisch durch Putins Leben. Dabei interssiert Vega sich nicht für eine realisisch-naturalistisch, sklavisch an den Fakten entlang erzählten Geschichte. Wer das will, ist mit dem Wikipedia-Artikel oder einer TV-Reportage besser bedient.

Vega geht es um die Demontage von Putin, der sich als starken Führer sieht und inszeniert. Vega zeigt ihn – und dieses Porträt wirkt in Osteuropa sicher provozierender als hier im Westen – als einen kleinen Wicht, der von allen geschlagen und herumgestoßen wird. Er leidet an Minderwertigkeitskomplexen und ist impotent. Während die anderen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Orgien feiern, steht er daneben. Alle außer ihm haben Sex. Und er wird immer von zwei nur für ihn sichtbaren Dämonen aus seiner Kindheit begleitet. Es sind ein Halbstarker, der ihn damals, als er als Kind in Moskau ankam, verprügelte, und eine hypersexualisierte, Uniform tragende Dämonin. Sie flüstern ihm ein, was er tun soll.

Inszeniert hat Vega seinen neuen Film als eine mit Farbfiltern zugeschüttete Dystopie und nur halb überzeugende CGI-Leistungsschau. Für ein C-Picture sind die Spezialeffekte okay, für einen Hollywood-Blockbuster erbärmlich schlecht. Vegas computerbearbeitete Bilder sind meilenweit von der Qualität der in „Better Man – Die Robbie Williams Story“, den „Planet der Affen“-Filmen, Disneys aktuellen fotorealistischen Neuverfilmungen von Disney-Klassikern und auch den beiden „Avatar“-Spielfilmen gezeigten Bildern entfernt. Interessant ist seine Idee, Putin nicht von einem ihm ähnlich sehendem Schauspieler spielen zu lassen, sondern Putins Gesicht mit der Hilfe von KI-Programmen auf das Gesicht eines Schauspielers zu kopieren. In einigen Momenten sieht das beängstigend echt aus. Aber meistens sieht es in jeder Beziehung unnatürlich und amateurhaft aus. Vor allem wenn Putin spricht. Deshalb redet er wenig und ist selten im Bild.

Die teils Putins Biographie folgende, teils frei erfundene Story bekommt Vega dabei nie vollständig in den Griff. Von dem Film existieren inzwischen mehrere unterschiedlich lange Fassungen. Ich konnte eine zweieinhalbstündige und die jetzige, etwa eine halbe Stunde kürzere und deutlich gelungenere Kinofassung sehen. Gelungener ist allerdings noch lange nicht gut. Beide Fassungen sind schlecht. Beide Male zerfasert die Geschichte. Beide Male gibt es keine weitergehende Analyse von Putins Leben. Es gibt nur das Bild eines kleinen Mannes, der gerne ein großer Führer wäre, es aber nicht ist. Das ist für einen Spielfilm, der zwischen missglückter Satire, Küchenpsychologie, verklemmten Orgien, Gewaltausbrüchen und Bildern von Kriegsgebieten ziellos schwankt, zu wenig.

Die knapp zweistündige Kinofassung erzählt vor allem am Anfang zügig und satirisch zugespitzt Putins Geschichte. Später wird es sprunghafter und kryptischer. Gegen Ende, wenn er der Präsident von Russland ist, ist die Satire nur noch eine wild fantasierte, episodische, höchstens für Putin-Kenner verstehbare Abfolge von Maßnahmen gegen Terroranschläge, von ihm in Auftrag gegebenen Anschlägen, Ermordungen von Feinden, über die wir gerade ihren Namen erfahren, und Kriegen an austauschbaren Orten mit vollkommen rätselhaften Kriegszielen. Durchgängig springt Vega wild in der Chronologie hin und her.

Die in Tschernobyl unter aussätzigen Verbrechern spielenden Szenen haben zwar nichts mit Putins Biographie zu tun, aber sie sind immerhin visuell überzeugend.

Bei Vega ist der Diktator nicht nackt, sondern er hat gerade sein Geschäft in seine Windel gemacht. Das ist nicht subtil, sondern rmaximal demütigend für den Porträtierten und Vega nimmt sich viel Zeit, diese Botschaft so laut herauszubrüllen, dass auch wirklich jeder im Kinosaal die Botschaft versteht.

Für uns ist die misslungene Satire „Putin“ ein verzichtbarer, sich im Uwe-Boll-Terrotorium bewegendes Werk, dessen Provokationspotential bei uns gegen Null tendiert.

Putin (Putin, Polen 2024)

Regie: Patryk Vega

Drehbuch: Patryk Vega

mit Slawomir Sobala,Tomasz Dedek, Justyna Karlowska, Thomas Kretschman, Maksymilian Zielinski

Länge: 109 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Putin“

Rotten Tomatoes über „Putin“

Wikipedia über „Putin“

Meine Besprechung von Patryk Vegas „Bad Boy“ (Bad Boy, Polen 2020)

Meine Besprechung von Patryk Vegas „Small World (Small World, Polen 2021)

Meine Besprechung von Patryk Vegas „Pitbull – Exodus“ (Pitbull, Polen 2021) 

Meine Besprechung von Patryk Vegas „Love, Sex and Pandemic“ (Milosc, seks & pandemia, Polen 2022)

Meine Besprechung von Patryk Vegas „Niewidzialna Wojna – The invisible war“ (Niewidzialna Wojna, Polen 2022)


Neu im Kino/Filmkritik: Über Patryk Vegas „Niewidzialna Wojna – The invisible war“

Oktober 9, 2022

Nennen wir Patryk Vegas neuen Film „Niewidzialna Wojna – The invisible war“ Autofiktion. Denn im Mittelpunkt steht ein Regisseur, der seine Filme auch schreibt und produziert, und der gerade nach Katar geflogen ist. Dort erhofft er sich von den Scheichs das nötige Geld für seinen nächsten Film. Als er gefragt wird, warum er zu ihnen gekommen ist, erinnert er sich an sein Leben.

In den nun folgenden über zwei Stunden geht es, mehr oder weniger fiktiv, einmal durch Patryk Vegas Leben von seiner frühen Kinobegeisterung (für Holllywood-Blockbuster), über seine ersten Versuche, Geld zu verdienen (meist mit desaströsem Ergebnis), seiner Arbeit als True-Crime-TV-Reporter (skrupelloser als Jake Gyllenhaal in „Nightcrawler“) und seinen Exploitation-Spielfilmen. In seinen Erinnerungen ist dieser Patryk Vega ein gewissenloses, empathieunfähiges Arschloch. Vega inszeniert dies über weite Strecken als eine bitterböse Satire auf die Medienwelt, die polnische Gesellschaft und den Kapitalismus. Das ist durchgehend auf die zynische Pointe zugespitzt. Die Schauspieler, vor allem die verschiedenen Inkarnationen von Patryk Vega, spielen so schlecht, dass die satirische Absicht überdeutlich ist.

In der zweiten Hälfte verliert „Niewidzialna Wojna“ merklich an Tempo. Dann erinnert Vega sich an seine Filme, von denen wir nichts sehen und über die wir fast nichts erfahren. Wer Vegas Filmographie kennt, ist hier eindeutig im Vorteil. Dazwischen ist er auf Filmpremieren und Empfängen und er plant sein nächstes Filmprojekt. Er will endlich seinen großen international erfolgreichen Hollywood-Blockbuster drehen und so als Regisseur anerkannt werden. Gleichzeitig will er erlöst werden. Denn als braver polnischer Katholik drückt ihn zunehmend das schlechte Gewissen über seine an der Kinokasse erfolgreichen amoralischen Filme, seine Taten und seine Beziehungen ins kriminelle Milieu.

Am Ende des Biopics fragen wir uns, wie autobiograpisch das Werk ist, und welche Stellung „Niewidzialna Wojna“ in seinem Werk haben soll. Also ob es eine überhöhte, keine Grenzen und Tabus kennende Mediensatire mit der Dampframme ist und Vegas nächster Film als weiterer Exploitation-Thriller an seine vorherigen Filme anknüpft, oder ob der am 2. Januar 1977 in Warschau geborene Vega wirklich eine religiöse Bekehrung erfahren hat und seine nächsten Filme gähnend langweilige Faith-based-Movies sind.

Aus Zuschauersicht hoffe ich auf den nächsten Exploitationfilm.

Niewidzialna Wojna – The invisible war (Niewidzialna Wojna, Polen 2022)

Regie: Patryk Vega

Drehbuch: Patryk Vega

mit Rafal Zawierucha, Justyna Karlowska, Anna Mucha, Pawel Olearczyk

Länge: 138 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Niewidzialna Wojna – The invisible war“

Meine Besprechung von Patryk Vegas „Bad Boy“ (Bad Boy, Polen 2020)

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