Vor einer US-Tournee wollen eine 21-köpfige Gruppe junger Tänzer:innen und ihre Choreographin in einer leerstehenden Schulturnhalle noch einmal richtig feiern. Dummerweise wurde der Sangria mit Acid abgeschmeckt.
TV-Premiere. Optisch beeindruckender, hemmungsloser, vom 70er-Jahre-Giallo beeinflusster Trip, der nicht jedem gefallen wird.
Jede Geschichte habe einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Aber nicht unbedingt in dieser Reihenfolge, sagte Jean-Luc Godard, der große Philosoph des Kinos, einmal.
Gaspar Noé, der große Provokateur des Kinos, nahm für seinen neuen Film „Climax“ Godards Satz wörtlich. Der Film beginnt mit dem Ende und auch der Vorspann ist nicht an der gewohnten Stelle. Aber das sind kleine formale Spielerei in einem Film, der letztendlich strikt chronologisch seine Geschichte erzählt.
1996 feiern 21 junge Tänzer und Tänzerinnen in Frankreich in einer Turnhalle einer schon einige Tage leerstehenden Schule das Ende der aufreibenden Proben. Am nächsten Tag soll die große Tour durch Frankreich und die USA beginnen. Diese Nacht wird gefeiert, getanzt und getrunken. Auch der von der Choreographin für ihre Tänzer und Tänzerinnen gemischte Sangria. Zu spät bemerken sie, dass in der Sangria nicht nur Alkohol, sondern auch etwas anderes ist, das sie vollkommen enthemmt.
Währenddessen legt DJ Daddy trendige Tanzmusik auf und als waschechter Master of Ceremony liefert er der zunächst feiernden und tanzenden, später halluzinierenden und verhexten Masse den passenden Soundtrack für die Hexenmesse, die dem Prinzip der Enthemmung gehorcht.
In seinem neuesten Film „Climax“ verzichtet Gaspar Noé auf ein Drehbuch. Bei den Dialogen dürften die Schauspieler improvisieren. Sie sind sowieso unwichtiger als die langen Tänze, die Enthemmungen, die Stadien der Trance und, nun, all die Dinge, die man auch noch so auf einer Party tut und über die man nachher nicht mit seinen Eltern oder seiner Freundin (wenn sie nicht dabei war) reden will.
Optisch ist das ein einziger Trip, der deutlich vom Horrorfilm der siebziger Jahre, vor allem dem Giallo und stilprägenden Regisseuren wie Dario Argento, inspiriert ist. Nur dass bei Noé die Kamera sich noch enthemmter durch die Räume bewegen kann. Die Leere der chronologisch gedrehten Geschichte kann sie kaum verdecken. Auch weil die Tänzer schnell austauschbare Opfer für die Anbetung eines abwesenden, nicht näher bezeichneten Satans sind. Wer will kann „Climax“ dann als Allegorie auf die Gesellschaft sehen, die angesichts einer nahenden Katastrophe einfach weiterfeiert.
Am Ende ist „Climax“ ein neunzigminütiger, formal beeindruckender, kompromissloser Low-Budget-Videoclip voll HipHop-, Electro- und Techno-Musik der neunziger Jahre, Farben und tanzender junger Menschen. Ein Feelbad-Trip mit höchst rudimentärer Story und pseudo-provozierender Szenen. Ob einem das gefällt, hängt vor allem davon ab, ob einem die Musik gefällt.