Neu im Kino/Filmkritik: Fabelhaft, „Mein fabelhaftes Verbrechen“

Juli 5, 2023

Madeleine Verdier und Pauline Mauléon leben zusammen in einer Ein-Zimmer-Absteige, die nur in Spielfilmen eine gewissen Wohnlichkeit verkörpert. Madeleine ist eine unbekannte Schauspielerin auf der Suche nach irgendeiner, auch noch so kleinen Rolle. Pauline ist eine Anwältin auf der Suche nach ihrem ersten Mandanten. Beide sind jung, wollen im Paris der dreißiger Jahre das Leben genießen und sie brauchen jeden Pfennig. Zum Beispiel um die seit Monaten überfällige Miete bei ihrem Vermieter zu zahlen. Denn so langsam können sie ihn mit ihrem Aussehen und Charme nicht mehr zu einer weiteren Stundung überreden.

Deshalb kommt ihnen der Tod des einflussreichen Theaterproduzenten zupass. Madeleine war für einen Vorsprechtermin in der Villa des Produzenten, der jedes Klischee des fetten, schleimigen und sexgierigen Kapitalisten verkörpert. Das Vorsprechen lief schnell aus dem Ruder – und jetzt hält die Polizei sie für die Mörderin des Theatermannes.

Nach polizeilichen Verhören und einem Gespräch mit ihrer Mitbewohnerin gesteht Madeleine die Tat. Sie hat ihn zwar nicht getötet, aber gemeinsam wollen sie den Mord als Booster für ihre Karriere als Schauspielerin und Anwältin benutzen. Sie machen die Gerichtsverhandlung zum Medienzirkus. Sie stellen die Tat als Notwehr gegen einen übergriffigen Mann da. Und nach dem Freispruch könnte es für sie nicht besser aussehen. Die eine steigt als Schauspielerin, die andere als Anwältin auf. Die gut betuchten, heiratswilligen Männer stehen Schlange.

Dummerweise taucht in dem Moment Odette Chaumette (Isabelle Huppert, gewohnt grandios) auf. Der Stummfilmstar beherrscht immer noch den großen Auftritt. Nur die Filmrollen dafür gibt es nicht mehr. Jetzt fordert sie von Madeleine und Pauline ihren Anteil. Denn sie ist die Mörderin. Und sie könnte die Tat gestehen.

Immer noch liegt François Ozons Arbeitstempo irgendwo zwischen Claude Chabrol und Rainer Werner Fassbinder. Ein Film pro Jahr ist normal. Dabei ist er witziger als Fassbinder und er betrachtet seine Figuren liebevoller als Chabrol. Und er verfilmt öfter Theaterstücke, die er so bearbeitet, dass sie am Ende nicht wie Theaterstücke wirken. Auch sein neuester Film basiert auf einem Theaterstück, das er frei interpretiert und zu einer gleichzeitig zeitgenössischen und traditionsbewussten Screwball-Comedy macht.

Nach mehreren ernsten Filmen, – auch sein vorheriger Film, die gelungene Rainer-Werner-Fassbinder-Hommage „Peter von Kant“, war letztendlich ziemlich ernst -, hat François Ozon jetzt wieder eine waschechte Komödie gedreht, die, so Ozon, als Abschluss einer Trilogie über den Status der Frau mithilfe von Humor und Glamour gesehen werden könne. Die beiden vorherigen Filme dieser sehr losen Trilogie waren „8 Frauen“ (ebenfalls mit Isabelle Huppert) und „Das Schmuckstück“.

Mein fabelhaftes Verbrechen“ ist eine in den Dreißigern spielende Screwball-Comedy, in der Tempo alles ist. Die Pointen folgen atemberaubend schnell aufeinander. Die Dialoge sind scharfzüngig und voller Anspielungen. Die Geschichte hat zahlreiche temberaubende und überraschende Wendungen. Sie sind wenig vorhersehbarer, aber letztendlich schlüssig. Schließlich verhalten sich alle Figuren in dem Stück, wenn sie von dem Mord profitieren wollen, überaus eigennützig. Vor allem die Männer sind nicht besonders intelligent, dafür aber eitel. Wobei Madame Chaumette als vollendete Diva mit ausladenden Kleidern und Gehabe auch ziemlich eitel ist.

Als Inspiration benutzte Ozon das 1934 entstandene, zweimal von Hollywood verfilmte Theaterstück „Mon Crime“ von Georges Berr und Louis Verneuil. Ozon modernisierte es so gelungen, dass „Mein fabelhaftes Verbrechen“ trotz Modernisierungen in jeder Sekunde wie ein zu Unrecht vergessenes altes Stück wirkt. Schließlich waren in den klassischen Screwball-Comedies die Frauen für die damalige Zeit sehr emanzipiert. In diesem Kosmos fallen zwei, später drei selbstbewusste Frauen, die sich von den Männern nichts vorschreiben lassen, nicht weiter auf.

Ein fabelhafter Spaß.

Mein fabelhaftes Verbrechen (Mon Crime, Frankreich 2023)

Regie: François Ozon

Drehbuch: François Ozon, (in Zusammenarbeit mit) Philippe Piazzo

LV: Georges Berr, Louis Verneuil: Mon Crime, 1934 (Theaterstück)

mit Nadia Tereszkiewicz, Rebecca Marder, Isabelle Huppert, Dany Boon, Fabrice Luchini, André Dussollier, Édouard Sulpice, Régis Laspalès, Olivier Broche

Länge: 103 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Mein fabelhaftes Verbrechen“

AlloCiné über „Mein fabelhaftes Verbrechen“

Rotten Tomatoes über „Mein fabelhaftes Verbrechen“

Wikipedia über „Mein fabelhaftes Verbrechen“ (deutsch, englisch, französisch)

Meine Besprechung von Francois Ozons “In ihrem Haus” (Dans la Maison, Frankreich 2012)

Meine Besprechung von Francois Ozons ”Jung & Schön” (Jeune & jolie, Frankreich 2013)

Meine Besprechung von Francois Ozons „Eine neue Freundin“ (Une nouvelle amie, Frankreich 2014)

Meine Besprechung von François Ozons „Frantz“ (Frantz, Deutschland/Frankreich 2016)

Meine Besprechung von François Ozons „Der andere Liebhaber“ (L’Amant Double, Frankreich/Belgien 2017)

Meine Besprechung von François Ozons „Gelobt sei Gott“ (Grâce à Dieu, Frankreich 2019)

Meine Besprechung von François Ozons „Alles ist gutgegangen“ (Tout s’est bien passé, Frankreich 2021)

Meine Besprechung von François Ozons „Peter von Kant“ (Peter von Kant, Frankreich 2022)