Ältere Semester, also ungefähr jeder, der um die vierzig Jahre oder älter ist, wird sich noch an den Brandanschlag von Mölln erinnern. Am 23. November 1992 warfen zwei Rechtsextremisten in Mölln Molotowcocktails in zwei Häuser. Aus dem Haus in der Ratzeburger Straße 13 konnten sich alle Bewohner retten. In dem dreistöckigem Backsteinhaus in der Mühlenstraße 9 breitete sich das Feuer rasend schnell aus. Die zehnjährige Yeliz Arslan, die 14-jährige Ayşe Yilmaz und die 51-jährige Bahide Arslan starben.
Ältere Semester werden sich auch an die deutschlandweite Erschütterung, die Mahnwachen und Lichterketten erinnern.
Über dreißig Jahre später ist der Anschlag für die Betroffenen immer noch sehr präsent. Marina Priessner zeigt das eindrücklich in ihrem Dokumentarfilm „Die Möllner Briefe“.
Im Mittelpunkt des Films steht Ibrahim Arslan. Er überlebte als Siebenjähriger den Anschlag. Heute kümmert er sich um eine für die Betroffenen angemessene Form des Gedenkens. Er ist empört und erschüttert darüber, dass ihnen damals die titelgebenden Briefe nicht ausgehändigt wurden. Es sind um die tausend Briefe, die damals von Deutschen geschrieben wurden, die erschüttert von dem Anschlag waren, ihre Solidarität bekundeten und versicherten, dass Deutschland anders sei. Viele gingen an eine Teestube, wurden von dort an das Ordnungs- und Sozialamt weitergeleitet und später von der Stadt archiviert. Sie waren seitdem öffentlich zugänglich. Sie wurden auch in der Bildungsarbeit verwendet, aber es wurde nicht weiter kommuniziert, dass sie vorhanden seien. Die Familie Arslan, an die die Briefe gerichtet waren, wurden nicht über die Briefe informiert oder, was das einzig Richtige gewesen wäre, an sie weitergeleitet. Warum das nicht geschah ist unklar. Im Film wird die Erklärung forciert, dass es sich um instutionellen Rassismus handelt.
Aus eigener Erfahrung würde ich sagen, dass Blödigkeit und verwaltungsinterne Blindheit, festgelegt in Verfahren, ebenfalls, falls nicht sogar entscheidend, dazu beitrugen. D. h. die Verwaltung hätte in jedem Fall so reagiert.
Erst vor wenigen Jahren erfuhren die Arslans von den Briefen. Eine Studentin las im Rahmen einer Arbeit die Briefe und sprach Ibrahim Arslan auf sie an. Lange Verhandlungen und Gespräche mit der Stadt Mölln über den Umgang mit den Briefen, die in „Die Möllner Briefe“ gezeigt werden, folgten. Inzwischen sind die Briefe im 1990 unter einem anderen Namen gegründetem Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland (DOMiD) archiviert und zugänglich.
Außerdem begleitet Priessner Ibrahim Arslan zu Treffen mit drei der damaligen Briefeschreiberinnen, die von ihren damaligen Gefühlen erzählen. Priessner unterhält sich auch mit Ibrahim Arslans Geschwistern, seiner Mutter und weiteren Überlebenden des Anschlags und wie sie versuchen, die Horrornacht zu verarbeiten.
„Die Möllner Briefe“ sind ein parteiischer Dokumentarfilm, der die damaligen öffentlichen Reaktionen fast vollständig ignoriert. Das verleiht der sehenswerten und auch erschütternden Dokumentation eine eigentümliche und auch vollkommen überflüssige Schlagseite.

Die Möllner Briefe (Deutschland 2025)
Regie: Marina Priessner
Drehbuch: Marina Priessner
mit Ibrahim Arslan, Namık Arslan, Hava Arslan, Yeliz Burhan
Länge: 101 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
–
Hinweise
Filmportal über „Die Möllner Briefe“
Moviepilot über „Die Möllner Briefe“
Wikipedia über „Die Möllner Briefe“ und den Brandanschlag von Mölln
Veröffentlicht von AxelB