Neu im Kino/Filmkritik: „Die Ironie des Lebens“, die Leichtigkeit des Todes

September 5, 2024

Eines Abends, während der 67-jährige erfolgreiche Comedian Edgar gerade vor einem begeisterten Publikum sein erstaunlich unwitziges Programm abspult, entdeckt er im Saal seine Ex-Frau Eva. Sie haben gemeinsame, erwachsene Kinder, aber sie haben sich seit 25 Jahren nicht mehr gesehen. Eva hat jetzt seine Vorstellung auch nur besucht, um ihm anschließend zu sagen, dass sie Krebs im Endstadium hat, sich nicht behandeln lassen will und demnächst sterben wird.

Edgar, der sich seit der Scheidung nicht um seine Familie kümmerte und auch nicht mit Eva redete, will nicht akzeptieren, dass sie bald stirbt. Er beginnt sich in ihr Leben und ihre Entscheidung einzumischen.

Als erste fällt einem die Besetzung auf. Eva wird von Corinna Harfouch gespielt. Sie kann alles spielen. Ihr Name steht für anspruchsvolles Kino. Edgar wird von Uwe Ochsenknecht gespielt. Im Kino sah man ihn in den letzten Jahren vor allem in Kinderfilmen. Anspruchsvolles Kino assoziert man nicht unbedingt mit ihm. Das war früher anders. Beispielsweise als er und Harfouch 2001 in Hark Bohms TV-Mehrteiler „Vera Brühne“ (später „Der Fall Vera Brühne“) mitspielten und für ihre Leistungen den Deutschen Fernsehpreis erhielten.

Dann fällt auf, dass der Film von Markus Goller inszeniert und von Oliver Ziegenbalg geschrieben wurde. Nach „Friendship!“, „25 km/h“ und „One for the Road“ ist dies ihre vierte Zusammenarbeit. Die Filme können als gehaltvolle Mainstream-Filme, die ernste Themen überraschend anspruchs- und humorvoll bearbeiten, bezeichnet werden.

Und das gelingt ihnen auch in „Die Ironie des Lebens“. Es geht um die Frage, wie man sterben möchte, um eine Familie, die sich auseinandergelebt hat und um einen allein lebenden Entertainer im Herbst seines Lebens, der durch Evas Auftauchen sein Leben bilanziert. Die Bilanz fällt ernüchternd aus. All das und wie Edgar sich mit Evas Wunsch arrangiert und wieder Kontakt zu seinem Sohn und seiner Tochter aufnimmt, erzählt das Team Goller/Ziegenbalg kurzweilig, humorvoll und die ernsten Aspekte des Themas ansprechend.

Die Ironie des Lebens“ ist ein erwartungsgemäß harmonisch und positiv endender, zum Nachdenken anregender Mainstream-Film, der sein Publikum nicht für dumm verkauft.

Die Ironie des Lebens (Deutschland 2024)

Regie: Markus Goller

Drehbuch: Oliver Ziegenbalg

mit Uwe Ochsenknecht, Corinna Harfouch, Emilia Schüle, Robert Gwisdek, Henning Peker, Salka Weber, Reiki von Carlowitz, Liza Tzschirner, Sabine Ritter, Ingrid Domann

Länge: 109 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Die Ironie des Lebens“

Moviepilot über „Die Ironie des Lebens“

Meine Besprechung von Markus Gollers „25 km/h“ (Deutschland 2018)

Meine Besprechung von Markus Gollers „One for the Road“ (Deutschland 2023)


Neu im Kino/Filmkritik: Über das sehenswerte Trinkerdrama „One for the Road“

Oktober 26, 2023

Ich glaube zwar nicht, dass es notwendig ist, aber: Spoilerwarnung.

Passend zu Til Schweigers Eingeständnis, dass er in der Vergangenheit zu viel Alkohol getrunken habe und ihm das in den vergangenen Jahren auch immer wieder von einigen Freunden gesagt wurde LINK, läuft Markus Gollers neuer Film „One for the Road“ an. Sein Drama illustriert und kommentiert Schweigers Eingeständnis erstaunlich präzise; fast so, als habe Schweiger das ‚Interview zum Film‘ gegeben.

Im Mittelpunkt des Spielfilms steht Mark Jung (Frederick Lau), ein Alkoholiker, der bei einer Verkehrskontrolle stockbetrunken in seinem Auto erwischt und direkt zum MPU-Vorbereitungskurs geschickt wird.

Dort sitzt er und denkt, dass er kein Alkoholproblem hat. Im Gegensatz zu den anderen Kursteilnehmern. Schließlich ist er ein erfolgreicher Bauleiter. Aktuell ist er für die große Baustelle am Alexanderplatz zuständig. Trinken tut der Junggeselle nach der Arbeit. Mit seinen Kumpels in der Kneipe. Dabei sorgt er für gute Stimmung. Jeder Abend ist für ihn eine Party.

Die einzige Kursteilnehmerin, mit der er sich sofort versteht, ist Helena (Nora Tschirner). Die Grundschullehrerin kennt den Kurs und die damit verbundenen Abläufe und Gefühle. Sie ist schlagfertig. Sie fordert ihn heraus und lässt sich kein X für ein U vormachen. Entsprechend höhnisch reagiert sie auf sein Versprechen, er werde, bis er seinen Führerschein wieder hat, keinen Tropfen Alkohol trinken. Sie weiß, wie schwer das ist.

One for the Road“ ist nicht „Das verlorene Wochenende“ (The lost Weekend, USA 1945), „Unter dem Vulkan“ (Under the Volcano, USA 1984) oder „Leaving Las Vegas“ (USA 1995), drei der besten Trinkerdramen, die es gibt.

Aber der neue Film von Regisseur Markus Goller und Drehbuchautor Oliver Ziegenbalg, von denen auch das vergnügliche und an der Kinokasse erfolgreiche Road-Movie „25 km/h“ ist, ist ein (erstaunlich) gelungenes und sehr stimmiges Trinkerporträt. Im Rahmen eines Mainstream-Films behandeln sie das Thema Alkoholismus und bleiben durchgehend nah an der Realität. Sie verzichten auf den didaktisch erhobenen Zeigefinger. Bei ihnen gibt es keine einfachen Antworten, die dann ebenso einfach wie falsch sind. Es gibt kein verlogenes Alles-ist-gut-Kitsch-Happy-End und die Liebesgeschichte des Films fällt auch flach.

Mark und Helena sind nicht zusammen, weil sie sich lieben, sondern weil sie die einzigen beiden Menschen in der Therapiestunde sind, die nach der Stunde noch miteinander reden wollen. Und sich dabei in Marks Stammbar betrinken. Wenn Helena ein Mann gewesen wäre, hätte ihn das auch nicht gestört. Sie ist einfach für die nächsten Tage sein Teilzeit-Kumpel, der ihm auf dem Weg zur Erkenntnis, dass er Alkoholiker ist, zur Seite steht. Seine Freunde und Arbeitskollegen wissen das schon lange. Auch wir wissen es nach wenigen Minuten. Dafür muss Mark noch nicht einmal besoffen in sein Auto einsteigen.

Wenn „One for the Road“ dazu führt, dass einige über ihren Drogenkonsum nachdenken, hat er sein Ziel erreicht. Goller und Ziegenbalg erzählen nämlich in erster Linie einfach nur die Geschichte eines alleinstehenden Mannes, der für sein Leben immer noch nicht die Verantwortung übernommen hat und der mit mindestens einer Lebenlüge aufräumen muss. In ihrem Film zeigen sie, wie schwer dieser erste Schritt ist.

Zum Schluss noch ein vom Herzen kommender Lektüretipp: Die US-amerikanischen Krimi-Autoren Lawrence Block und James Lee Burke erfanden mit Matthew Scudder und Dave Robicheaux Ermittler, die über Jahre mit ihrem Alkoholismus kämpfen. Während Burkes Robicheaux-Romane zuletzt in einer immer ermüdenderen Wiederholungsschleife gefangen sind, erzählt Block in vielen in jeder Beziehung sehr, sehr lesenswerten Romanen Scudders sich langsam vollziehende Entwicklung von einem Alkoholiker, der zuerst einmal erkennen muss, dass er ein Alkoholiker ist (was nicht in einem Buch geschieht) und der in den folgenden Jahren unzählige Treffen der Anonymen Alkoholiker besucht. Es gibt Rückfälle, aber die Tage, Wochen, Monate, Jahre, in denen er keinen Alkohol trinkt, werden länger.

One for the Road (Deutschland 2023)

Regie: Markus Goller

Drehbuch: Oliver Ziegenbalg

mit Frederick Lau, Nora Tschirner, Burak Yiğit, Friederike Becht, Godehard Giese, Nina Kunzendorf, Henning Peker, Eva Weißenborn, Lena Schmidtke

Länge: 115 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

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Filmportal über „One for the Road“

Moviepilot über „One for the Road“

Meine Besprechung von Markus Gollers „25 km/h“ (Deutschland 2018)


TV-Tipp für den 29. Juni: 25 km/h

Juni 28, 2022

Mit dem 9-Euro-Ticket durch Deutschland rasen, oder tuckern mit

Sat.1, 20.15

25 km/h (Deutschland 2018)

Regie: Markus Goller

Drehbuch: Oliver Ziegenbalg

Nach fast dreißig Jahren, auf der Beerdigung ihres Vaters, sehen sich die Brüder Georg (Bjarne Mädel) und Christian (Lars Eidinger) wieder. Im Vollrausch beschließen sie, endlich ihren Jugendtraum in die Tat umzusetzen: eine Fahrt auf dem Moped vom Schwarzwald an die Ostsee. Born to be wild!!!

Schön verspieltes, erfrischend undeutsches Roadmovie, das auch viel über Deutschland und die Sorgen und Nöte der Mittvierziger verrät.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Lars Eidinger, Bjarne Mädel, Sandra Hüller, Franka Potente, Alexandra Maria Lara, Jella Haase, Jördis Triebel, Wotan Wilke Möhring

Wiederholung: Donnerstag, 30. Juni, 01.05 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

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Filmportal über „25 km/h“

Moviepilot über „25 km/h“

Wikipedia über „25 km/h“

Meine Besprechung von Markus Gollers „25 km/h“ (Deutschland 2018)


TV-Tipp für den 30. Juni: 25 km/h

Juni 29, 2021

Sat.1, 20.15

25 km/h (Deutschland 2018)

Regie: Markus Goller

Drehbuch: Oliver Ziegenbalg

Nach fast dreißig Jahren, auf der Beerdigung ihres Vaters, sehen sich die Brüder Georg (Bjarne Mädel) und Christian (Lars Eidinger) wieder. Im Vollrausch beschließen sie, endlich ihren Jugendtraum in die Tat umzusetzen: eine Fahrt auf dem Moped vom Schwarzwald an die Ostsee. Born to be wild!!!

TV-Premiere. Schön verspieltes, erfrischend undeutsches Roadmovie, das auch viel über Deutschland und die Sorgen und Nöte der Mittvierziger verrät.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Lars Eidinger, Bjarne Mädel, Sandra Hüller, Franka Potente, Alexandra Maria Lara, Jella Haase, Jördis Triebel, Wotan Wilke Möhring

Wiederholung: Donnerstag, 1. Juli, 01.30 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

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Filmportal über „25 km/h“

Moviepilot über „25 km/h“

Wikipedia über „25 km/h“

Meine Besprechung von Markus Gollers „25 km/h“ (Deutschland 2018)


Neu im Kino/Filmkritik: Einmal durch Deutschland mit „25 km/h“ – und angenehmer Begleitung

November 1, 2018

Als ihr Vater beerdigt wird, treffen Christian Schneider (Lars Eidinger) und sein älterer Bruder Georg (Bjarne Mädel) sich nach fast dreißig Jahren wieder. Am Grab, während der Trauerfeier, eskaliert die gar nicht herzliche Begrüßung innerhalb von Sekundenbruchteilen zu einer Schlägerei zwischen Georg, der in dem Schwarzwalddorf Löchingen blieb und ihren Vater pflegte, und Christian, der als geschäftiger Manager in Singapur eine Mietwohnung hat, die er fast nie betritt.

Nach einem längeren Versöhnungstischtennisspiel mit viel Alkohol entdeckt Christian am Abend unter der Tischtennisplatte ihren alten Plan, mit ihren Mopeds von Löchingen zum Timmendorfer Strand zu fahren und in die Ostsee zu urinieren. Während der Fahrt wollen sie einige selbst gestellte Aufgaben absolvieren, wie das Aufessen der gesamten Gerichte, die auf der Speisekarte eines griechischen Restaurants stehen, und, immerhin waren sie damals Teenager, Sex haben und viel Alkohol trinken.

Das war schon damals, als sie als fünfzehnjährige Buben diesen Plan und die Regeln aufschrieben, eine Schnapsidee. Heute, nach einigen angeheitert durch das Dorf gedrehte Runden mit ihren Mopeds (Äh, kurzer Einschub für die Städter: auf dem Land wirft man, weil Platz vorhanden ist, vieles nicht weg, sondern verstaut es im Keller, im Dachboden oder in der nahe gelegenen Scheune.) – – also, nachdem die beiden Brüder betrunken durch ihr Dorf geheizt sind, schlägt Christian seinem älteren Bruder vor, dass sie ihren alten Plan in die Tat umsetzen sollen. Jetzt. Gleich. Sofort.

Und so brausen sie los. Richtung Norden, ohne Helm, im Anzug, mit ihren Kreditkarten (Man ist ja keine Zwanzig mehr.) und ohne Plan. Sie lassen sich treiben und Markus Gollers wundervoll stimmiges Roadmovie „25 km/h“ nimmt dieses Lebensgefühl seiner Protagonisten kongenial auf.

Sie brechen für einige Tage aus ihrem Leben, in dem sie brav die gesellschaftlichen Konventionen befolgen, aus. Sie kommen sich bei der Fahrt wieder näher und sie bearbeiten auch ihre von ihnen nicht wahrgenommene Midlife-Crisis. Denn Georg und Christian stecken in ihrem Leben fest. Bei Christian ist es der Job. Bei Georg die frühere, inzwischen unglücklich verheiratete Schulhofliebe. Träume haben sie schon lange keine mehr. Falls sie jemals welche gehabt haben, die über die normalen Träume von bürgerlichen Schwarzwaldjungs hinausgehen.

Die einzelnen Begegnungen, die sie auf ihrer Fahrt haben, reihen sich locker aneinander. Christian und Georg düsen mit reduzierter Geschwindigkeit im „Easy Rider“-Modus durch Deutschland. Die Musik passt zu ihrem Alter. Die Dialoge klingen natürlich. Immer wieder betätigen die beiden Brüder sich sportlich. Zum Beispiel bei einem Fußballspiel in einem Park in Berlin mit einigen Jungs oder bei einem Tennisturnier auf einem Campingplatz gegen Hantel. Wotan Wilke Möhring hat seine kurze Rolle als großmäuliges Arschloch vom Campingplatz sichtlich genossen. Er konnte, wie die anderen bekannten Gaststars, – Sandra Hüller, Franka Potente, Alexandra Maria Lara, Jella Haase, Jördis Triebel -, in wenigen Drehtagen eine Figur porträtieren, ohne sich Gedanken über deren Vorgeschichte und deren weiteres Leben zu machen.

Und, weil die Dreharbeiten für das Roadmovie viel unter freiem Himmel stattfanden, kommt niemals der übliche Muff deutscher Filme auf.

So transportiert „25 km/h“ ein Gefühl großer Freiheit. In diesem Fall ist es die Freiheit einer kurzen Auszeit, in der man sich, wie in Urlaub, zurückfallen lässt in die glücklich-sorglose Zeit der Pubertät. Nur sind Georg und Christian keine Kinder mehr, die ihre Sommerferien genießen, oder Jugendliche, die ihr erstes großes Abenteuer (so mit Drogen und Sex) erleben wollen, sondern Erwachsene, die hier auch Deutschland entdecken, aber vor allem ihr bisheriges Leben bilanzieren. Im Rahmen eines satten Kinofilms, der in der Tradition von „Easy Rider“ und „Im Lauf der Zeit“ steht. Goller behandelt in seinem Film erfrischen undidaktisch und erfrischend undeutsch das Lebensgefühl der Mittvierziger, die ganz normale Männer sind. Entsprechend normal sind ihre Träume, ihre Gefühle und auch ihre Begegnungen; – naja, bis auf ein, zwei Ausnahmen.

25 km/h (Deutschland 2018)

Regie: Markus Goller

Drehbuch: Oliver Ziegenbalg

mit Lars Eidinger, Bjarne Mädel, Sandra Hüller, Franka Potente, Alexandra Maria Lara, Jella Haase, Jördis Triebel, Wotan Wilke Möhring

Länge: 116 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

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Wikipedia über „25 km/h“