Die Gesetzlosen – Bürgerwehren gegen Drogenbosse(Cartel Land, USA/Mexiko 2015)
Regie: Matthew Heineman
Drehbuch: Matthew Heineman
Etwas versteckt und mit einem dümmlichen TV-Titel läuft Matthew Heinemanns beeindruckende Doku über einen Mexikaner und einen Amerikaner, die in ihrem Land gegen die Drogenkartelle kämpfen, im TV.
„Cartel Land“ war, unter anderem, für den Oscar als bester Dokumentarfilm nominiert.
„I have to go. I must see what is going on.“ (Marie Colvin)
Am 22. Februar 2012 starb die Journalistin Marie Colvin in Homs.
In dem Moment war die am 12. Januar 1956 in Oyster Bay, New York, geborene Kriegsreporterin bereits eine Legende. Sie berichtete in den Jahrzehnten vor ihrem Tod von ungefähr jedem Kriegsschauplatz. Oft von Orten, an die sich in dem Moment kein anderer Journalist mehr wagte. Wie Homs in Syrien. Als sie für die in London erscheinende „Sunday Times“ aus Homs berichtete, wurde die Stadt systematisch von al-Assads Armee bombardiert. Auf Zivilisten oder Journalisten wurde keine Rücksicht genommen.
Davor war sie, wie wir am Beginn von „A private War“, erfahren 2001 in Sri Lanka. Dort wurde sie von einer Granate schwer verletzt. Seitdem trug sie über ihrem linken Auge eine schwarze Augenklappe. Daran konnte man sie überall auf den ersten Blick erkennen. Außerdem trug sie in Kriegsgebieten immer einen La Perla Büstenhalter.
In seinem Spielfilmdebüt „A private war“ porträtiert Matthew Heineman die Journalistin in den elf Jahren vor ihrem Tod. Von seinen Dokumentarfilmen ist vor allem „Cartel Land“ über den Drogenschmuggel an der mexikanisch-amerikanischen Grenze bekannt. Quasi dokumentarisch porträtiert er jetzt auch Marie Colvin. Das beginnt mit den vielen langen Einstellungen und endet mit dem Ansatz, viel zu zeigen und wenig zu erklären. So war Colvin Alkoholikerin, litt an einer postraumatischen Belastungsstörung (PTSD) und sie war ein wahrer Sturkopf, der sich nur wohl fühlte, wenn Kugeln um sie herumschwirrten. Sie war ein echter ‚Charakter‘ (Type klingt da zu nett-verschroben).
Über Colvins Leben vor dem Filmbeginn erfahren wir nichts. Heineman und sein Drehbuchautor Arash Amel bemühen sich auch nicht, zu erklären, warum Colvin zu dieser Person wurde, die wir in „A private War“ durch die halbe Welt begleiten. Sie beobachten nur, wie Rosamund Pike sie spielt und wie Marie Colvin auf verschiedene Situationen in London, Sri Lanka, Irak, Afghanistan, Libyen und Syrien reagiert.
Das ist die Stärke von „A private war“, der ihr über elf Jahre beruflich und privat folgt und so auch eine Chronik der Konfliktherde der vergangenen Jahrzehnte wird.
Ascot Elite veröffentlichte Matthew Heinemans eindrucksvollen Spielfilm auf DVD und Blu-ray zusammen mit der spielfilmlangen Dokumentation „Under the Wire“ (2018) von Christopher Martin. Die Doku konzentriert sich auf die Ereignisse in Homs und Colvins langjähriger Fotograf Paul Conroy, der sie auch nach Homs begleitete, kommt ausführlich zu Wort. Die sehenswerte Dokumentation ist eine sehr gelungene Ergänzung zu dem Spielfilm über Marie Colvin.
A private War (A private War, USA/Großbritannien 2018)
Die Gesetzlosen – Bürgerwehren gegen Drogenbosse(Cartel Land, USA/Mexiko 2015)
Regie: Matthew Heineman
Drehbuch: Matthew Heineman
Etwas versteckt und mit einem dümmlichen TV-Titel läuft Matthew Heinemanns beeindruckende Doku über einen Mexikaner und einen Amerikaner, die in ihrem Land gegen die Drogenkartelle kämpfen, im TV.
„Cartel Land“ war, unter anderem, für den Oscar als bester Dokumentarfilm nominiert.
„Cartel Land“, die äußerst sehenswerte Dokumentation von Matthew Heineman, die derzeit in einigen Kinos läuft (hier in Berlin in einem Saal) und ab 30. Oktober als DVD/Blu-ray erscheint, reiht sich nahtlos in die Reihe äußerst sehens- und lesenswerter aktueller Werke über den mexikanisch-amerikanischen Drogenkrieg ein. Ich sage nur: „Sicario“, „Das Kartell“ und „Tage der Toten“. Über Pablo Escobar gibt es die aktuelle Netflix-Serie „Narcos“ (noch nicht gesehen) und das Irgendwie-Pablo-Escobar-Biopic „Escobar – Paradise Lost“.
Und das sind nur die bekanntesten Werke.
Heineman nähert sich dem Thema, indem er sich auf zwei Männer konzentriert, die das Gesetz in die eigenen Hände nehmen und dabei eine Gefolgschaft um sich scharen. Der eine ist Tim ‚The Nailer‘ Foley (und die Inspiration für diesen Teil des Films ist die lesenswerte „Rolling Stone“-Reportage „Amerikas böse Grenze“ von Damon Tabor [Rolling Stone, Februar 2013]), ein Ex-Soldat, Ex-Junkie und Redneck, der auf der US-Seite der Grenze Drogenschmuggler und Flüchtlinge sucht. Er schnappt die kleinsten der kleinen Fische, die illegal die Grenze überqueren. Der andere ist Jose Manuel ‚El Doctor‘ Mireles, der in der mexikanischen Provinz Michoacan im Herbst 2013 zum Führer der Autodefensas wurde. Diese Bürgerwehr wandte sich gegen den Terror der Tempelritter, wie sich das dortige Drogenkartell mit pseudoreligiösem Anstrich nennt.
Anfangs sind die Sympathien klar verteilt. Hier der Konservative, der alles Fremde abwehren will, dabei noch nicht einmal an den Symptomen herumdoktort und nicht begreift, dass das US-Drogenproblem hausgemacht ist. Da der edle, fast wie ein Hollywood-Star aussehende Doktor, der gegen die Drogenmafia kämpft, die die Bevölkerung beherrscht, während die Staatsmacht abwesend ist. Der vertrauenswürdige Kinderarzt steht besonnen für Recht und Gesetz und eigentlich ist er nur der zufällig ausgewählte Kopf einer private Initiative, die letztendlich dem Staat zuarbeitet.
Aber weil Heineman Foley und Mireles, nachdem sie ihm vertrauten, über ein Jahr mit der Kamera beobachtete und immer wieder zwischen den beiden Männern, die sich nie begegnen, hin und her springt, wandelt sich das Bild zunehmend, bis Foley gar nicht mehr so unsympathisch und Mireles zunehmend unsympathischer wird. Dass in der gleichen Zeit die von ihm angeführte Bewegung, die, nachdem er schwer verletzt einen Flugzeugabsturz überlebt, von dem Interimsführer Estanislao Beltran Torres (aka „Papa Smurf“/“Vater Schlumpf“) geführt wird, zunehmend zu einer Nachfolgeorganisation der Tempelritter wird und sie vom Staat als Kriminelle verfolgt werden und sich jedes Mitglied der Autodefensas fragen muss, ob sie das Angebot der Regierung annehmen und sich in reguläre Polizeieinheiten eingliedern, verleiht „Cartel Land“ hier eine ungeplant neue Dimension. Denn Heineman kann jetzt auch zeigen, wie Revolutionäre mit durchaus ehrenwerten Zielen, wenn sie mehr Macht bekommen, scheitern. Sie werden zu dem, was sie vorher bekämpften. Das wirft ihnen auch die Bevölkerung, die sie zunächst als Befreier begrüßte, vor.
Mireles ist am Ende nur noch ein alter Casanova, der, obwohl verheiratet und Großvater, seine Finger nicht von jungen Frauen lassen kann und der überhaupt nicht daran denkt, seine Waffen abzugeben. Die von ihm und den Autodefensas zunächst als vollkommen machtlos angesehene Staatsmacht hat ihn inzwischen verhaftet und zu einer Haftstrafe verurteilt.
Foley jagt dagegen immer noch Flüchtlinge. Seine Gefolgschaft, die am Lagerfeuer reaktionäre Ansichten äußerst, ist überschaubar und Foley erscheint fast schon als tragischer Verlierer in einem aussichtslosen Kampf, der nicht an der Grenze gewonnen wird. „Je mehr Zeit ich in Arizona und Mexiko verbrachte, desto komplexer wurde die Story: Die Leute kämpfen als die Guten gegen das Böse und steigen zugleich in die Hölle hinab, wenn sie das Gesetz in die eigenen Hände nehmen. ‚Cartel Land‘ verhandelt grundsätzliche Fragen von Ordnung und Chaos. Es gibt diesen großen Wunsch nach Recht und Gesetz, aber auch diese extreme Brutalität und das Fehlen von jeglicher Rechtsstaatlichkeit. Die Trennung zwischen Gut und Böse löst sich immer mehr auf. Mich faszinierte diese moralische Ambiguität. Sie ergab sich ganz organisch aus der Geschichte und den handelnden Chrakteren. Für mich wurde daraus am Ende eine zeitlose Erzählung über den Konflikt zwischen Idealismus und Gewalt, der sich auf beängstigende Weise durch die Vergangenheit und unsere heutige Gegenwart zieht.“ (Matthew Heineman zu seinem Film)