Kirschblüten und rote Bohnen (An, Japan/Frankreich/Deutschland 2015)
Regie: Naomi Kawase
Drehbuch: Naomi Kawase
LV: Durian Sukegawa: An, 2013 (Kirschblüten und rote Bohnen)
Sentaro, Pächter eines Imbisses, der Dorayaki (Pfannkuchen mit Bohnenpaste) verkauft, stellt die weit über siebzigjährige, schrullig-versponnene Tokue ein. Schnell begeistert ihre Bohnenpaste Sentaro und alle seine Kunden. Aber warum sind Tokues Hände so verkrüppelt?
Gewohnt feinfühlig von Naomi Kawase erzählter Aufruf zu Humanität, Mitmenschlichkeit und Toleranz.
Misako Ozaki liebt Filme und verdient ihr Geld als Schreiberin von Hörfilmfassungen. Ihre Texte werden vorher mit ausgewählten Sehbehinderten besprochen. Was ist verständlich? Was nicht? Sind die Beschreibungen zu genau? Oder zu ungenau, um bei den Hörenden die Bilder heraufzubeschwören, die auf der Leinwand zu sehen sind? Und wie sehr ist die Hörfilmfassung schon eine Interpretation Misakos?
Bei den Besprechungen ihrer Texte übt Masaya Nakamori deutliche Kritik. Im Gegensatz zu den anderen Teilnehmenden ist er nicht von Geburt an sehbehindert. Er ist ein erfolgreicher Fotograf, der jetzt langsam erblindet. In seiner Wohnung versucht er immer noch, alles alleine zu machen und, selbstverständlich, hadert er mit seinem Schicksal. Immerhin verliert er jetzt gerade die Fähigkeit, die bisher sein Leben, seine Identität, definierte.
In ihrem neuen Film „Radiance“ erzählt Naomi Kawase (zuletzt „Still the Water“ und „Kirchblüten und rote Bohnen“), wie diese beiden Menschen sich während der Arbeit an einer Hörfilmfassung annähern. Viel mehr passiert nicht. Denn Kawase geht es hier nicht um das Erzählen einer vertrackten Geschichte voller Wendungen und Überraschungen, sondern – und das dürfte niemand erstaunen, der ihre früheren Filme kennt – um die Poesie des Moments. Entsprechend ausdauernd beobachtet sie ihre Figuren und der Film ähnelt mehr einem Gedicht oder einer Kurzgeschichte, die immer auf mehr verweist, aber auch viele Fragen offenlässt. Schließlich erzählt sie nur einen kurzen Ausschnitt aus dem Leben von Misako und Nakamori. Es ist ein Moment, eine Situation, eine Begegnung, die für ihr weiteres Leben bedeutsam sein kann.
„Radiance“ ist ein zarter, poetischer, impressionistischer Film, der Interpretation mehr anbietet als vorgibt. In Cannes erhielt er dafür den Preis der Ökumenischen Jury.
Und wenn wir nur eine Sache aus dem Film mitnehmen: jetzt wissen wir, wie Hörfilmfassungen entstehen – und ich sollte mir mal so eine Fassung anhören.
Radiance (Hikari, Japan 2017)
Regie: Naomi Kawase
Drehbuch: Naomi Kawase
mit Ayame Misaki, Masatoshi Nagase, Tatsuya Fuji, Kazuko Shirakawa
Wenn man Naomi Kawases neuen Film „Still the Water“ als auch nur halbwegs stringent erzähltes Werk begreifen will, schwankt man zwischen Verzweiflung über die vielen ins Nichts führenden Andeutungen und Langeweile über die vielen rein beobachtenden Bilder, die nur eine illustrative und in ihren besten Momenten auch poetische Funktion haben.
Wenn man den Film allerdings als Meditation, als Angebot zum Träumen und Gedanken schweifen lassen begreift, dann hat der Film durchaus Qualitäten. Denn dann stört man sich auch nicht daran, dass die einzelnen Erzählstränge sich eher im Weg stehen, dass die zentrale Geschichte von den Nebengeschichten begraben wird, dass fast alles nur angedeutet wird (und ich als Westler die Andeutungen kaum verstehe, weshalb für mich ein Baum ein Baum und kein Symbol für irgendetwas anderes ist) und, was für mich das größte Problem ist, dass der Film mit der falschen Szene beginnt, die bei mir Erwartungen weckte, die nie eingelöst werden.
Das Mädchen Kyoko und der Junge Kaito leben auf der subtropischen japanischen Insel Amami-Oshima. Auf ihrem Weg zur Schule sehen sie, mit vielen anderen Schaulustigen, wie eine tätowierte Männerleiche aus dem Wasser geborgen wird. Offensichtlich wurde er ermordet. Und während nach den gängigen Erzählkonventionen dieser Mord den gesamten Film und damit auch die Handlungen der Charaktere beeinflussen würde, ist er Naomi Kawase ziemlich egal. Ihr geht es, und das ist der Hauptplot, um Kyoko und Kaito und ihre beginnende Liebe. Es geht ihr auch um deren Eltern. Kyokos Mutter ist eine im Sterben liegende Schamanin. Sie hat das Krankenhaus verlassen und wird von ihrem Mann liebevoll gepflegt. Sowieso verkörpet Kyokos Familie, mit ihrem kleinen Strandrestaurant, perfekt die Hippie-Idylle einer funktionierenden, mit sich und der Natur im Einklang lebenden Familie.
Kaito lebt seit Kurzem bei seiner Mutter. Sein Vater, den er auch einmal besucht, lebt in Tokio bei einem Mann. Ob zur Untermiete oder weil sie miteinander befreundet sind (was natürlich die Scheidung erklären würde), wird nicht klar. Aber er ist begeistert von dem freien Leben in der Großstadt. Kaito ist ein eher schüchterner Junge, der auch das seelische Gepäck eines Scheidungskindes mit sich herumträgt. Irgendwann vermutet Kaito sogar, dass seine Mutter den Toten kannte. Ihn vielleicht sogar ermordete, weil er vielleicht ihr Liebhaber war. Dieser Schwebezustand, diese teils rätselhaften, teils ins Nichts führenden Andeutungen durchziehen den ganzen Film, die ihn, wenn man Erklärungen möchte, zu einer frustrierenden und auch langweiligen Angelegenheit machen. Jedenfalls wenn man einen normalen narrativen Film und nicht eine Abfolge weitgehend interpretationsoffener Bilder sehen möchte.
„Still the Water“ ist eher ein Gedicht, das einen Aufgrund seiner Stimmungen verzaubern kann – was ihm in einigen, wenigen Momenten auch bei mir gelang – oder auch nicht.