Neu im Kino/Filmkritik: „The Forest“ begrüßt Selbstmörderinnen, potentielle und reale

Februar 5, 2016

https://www.youtube.com/watch?v=TXFjVbSKagI

Es ist eine Binsenweisheit, dass Horrorfilme gut als Zeitdiagnose funktionieren, weil in ihnen unterschwellige Stimmungen, physische und psychische Befindlichkeiten angesprochen werden können, ohne es offen verhandeln zu müssen. So war die Welle von Torture-Porn-Filmen, wie „Hostel“ und „Saw“, auch erklärbar als Auswirkung von 9/11. Der „war on terror“ bestimmte die globale Politik. Über Folter als legitime Verhörmethode wurde diskutiert.
Inzwischen ist die Bedrohung diffuser geworden. Terroristische Anschläge werden von Einheimischen verübt. Die Sicherheitsbehörden sprechen seit Jahren von einer hohen abstrakten Gefährdungslage. Veranstaltungen werden abgesagt. Ob die Absage gerechtfertigt war, bleibt unklar. Menschen als Terrorverdächtige öffentlichkeitswirksam verhaftet und etwas später wieder freigelassen. Die Beobachtung des Einzelnen nimmt ständig zu. Auch wenn er nicht aktuell beobachtet wird, kann er potentiell jederzeit überwacht werden. Videokameras sind ein fester Bestandteil des öffentlichen Raums. Geheimdienste, Polizei und Firmen können jederzeit, auch ohne dass man irgendein Verbrechen begangen haben soll, auf persönliche Daten zugreifen. Als Einzelner kann man sich nicht dagegen wehren.
Parallel dazu sind seit einigen Jahren, auch als Gegenentwurf zum blutig-hysterischen, Gewalt auskostendem Torture-Porn-Film, Geisterfilme äußerst beliebt. Und „The Forest“ ist das jüngste Beispiel.
Sara erfährt, dass ihre Zwillingsschwester vor einigen Tage in Japan im Aokigahara-Wald verschwunden ist. Der malerische Wald ist auch als „Wald der Selbstmörder“ bekannt. Man soll, was in diesem Fall wortwörtlich zu verstehen ist, nicht den Weg und vor Einbruch der Nacht den Wald verlassen. Sonst sinken, wegen der Geister der Verstorbenen, die Überlebenschancen dramatisch.
Natürlich geht Sara, mit einem Führer und einem Journalisten, in den Wald, selbstverständlich verlässt sie den Weg (was letztendlich nicht so schlimm ist) und natürlich bleibt sie, geplagt von einem Kindheitstrauma, über Nacht und unheimliche Dinge zwischen Wahn und Wirklichkeit geschehen, die den Genrefan nicht sonderlich überraschen, während Sara und Aiden plaudernd, Trauma und schlimme Erlebnisse aufarbeitend, durch den Wald schlendern und sie, mit fortschreitender Laufzeit, immer mehr an den lauteren Absichten des Reisejournalisten zweifelt.
Insgesamt ist der Wald durch den Sara und ihr Freund stolpern, nicht furchterregender als der nahe gelegene Wald vor unserer Haustür, Regisseur Jason Zada gelingen in seinem Spielfilmdebüt eigentlich keine Bilder, in denen der Wald zur Bedrohung wird. Im Gegensatz zu dem sehr aktiven Wald in Sam Raimis einflussreichem „The Evil Dead“/“Tanz der Teufel“, in dem der Wald es gleich mit einer Gruppe Jugendlicher aufnahm. In „The Forest“ ist es nur eine Person; was aufgrund des schwachen, unentschlossen zwischen psychologischem Drama und Horrorfilm schwankenden Drehbuchs und der langsamen Erzählung, ein großer Nachteil ist. So vergeht eine halbe Stunde, bis Sara erstmals den Wald betritt. Und dann muss das Zelt der Schwester gefunden werden.
Als Einzelfilm ist „The Forest“ deshalb ziemlich uninteressant und er wird niemals für den Wald, was „Der weiße Hai“ für das Schwimmen im Meer war. Auch wenn Produzent David Goyer („Blade“) das, laut Presseheft, hofft.
Als Teil eines Phänomens, einer Diagnose des psychischen Zustands westlicher Gesellschaften, und damit in Verbindung mit anderen, in den letzten Jahren entstandenen Horrorfilmen ist „The Forest“ interessant im Rahmen einer theoretischen Betrachtung, die den Film nicht braucht.
P. S.: Den Aokigahara-Wald gibt es wirklich. Er liegt in Japan am Fuß des Fuji und er ist wirklich ein Wald der Selbstmörder.
Die Waldaufnahmen für „The Forest“ wurden im serbischen Nationalpark Tara, der vier Autostunden von Belgrad entfernt ist.

The Forest - Plakat

The Forest (The Forest, USA 2016)
Regie: Jason Zada
Drehbuch: Ben Ketai, Sarah Cornwell, Nick Antosca
mit Natalie Dormer, Taylor Kinney, Yukiyoshi Ozawa, Eoin Macken, Rina Takasaki, Yûho Yamashita
Länge: 94 Minuten
FSK: ab 16 Jahre

Hinweise
Deutsche Homepage zum Film
Englische Homepage zum Film
Moviepilot über „The Forest“
Metacritic über „The Forest“
Rotten Tomatoes über „The Forest“
Wikipedia über „The Forest“


Neu im Kino/Filmkritik: „The Riot Club“ ist nicht vorbildlich

Oktober 11, 2014

Auch wenn in der lauschigen, ehrwürdigen Universitätsstadt Oxford (152.000 Einwohner, 20.000 Studenten), wie wir aus „Inspector Morse“ und „Lewis – Der Oxford Krimi“ wissen, emsig im Universitätsmilieu gemordet wird, zeigt „The Riot Club“ ein Bild der Studentenkultur, das wir so noch nicht gesehen haben.
Der – erfundene – Riot Club ist eine Dining Society, ein elitärer Club, in dem sorgfältig ausgewählte Mitglieder sich zum Jahresabschluss zu einem exklusiven und kostspieligem Abendessen treffen. Mitglied wird man, indem man von anderen Mitgliedern eingeladen wird und die Aufnahmeprüfungen besteht; wobei die Existenz dieser Clubs bekannt, aber ihr Innenleben ein gut gehütetes Geheimnis ist. Jeder hat schon einmal von ihnen gehört, aber niemand spricht darüber. Jeder weiß, dass Premierminister David Cameron und Londons Bürgermeister Boris Johnson zur gleichen Zeit Mitglied im „Bullington Club“ waren, der für seine Exzesse bekannt-berüchtigt ist.
In ihrem Theaterstück „Posh“ poträtiert Laura Wade einen fiktiven Club, der allerdings an den „Bullington Club“ erinnert. Ihr erfolgreiches Theaterstück verarbeitete sie zu einem Drehbuch, das jetzt von Lone Scherfig (Italienisch für Anfänger, An Education) als „The Riot Club“ verfilmt wurde. Der titelgebende Club besteht aus Mitgliedern der englischen Oberschicht, die ein Haufen vergnügungssüchtiger Snobs sind, deren Leben aus Drogenkonsum, Sex und pubertärem Gehabe besteht und die Glauben, sich mit ihrem Geld alles kaufen zu können. Dass diese Elite nicht besonders vorteilhaft wegkommt, wäre untertrieben.
Für das diesjährige Festessen muss, weil der Riot Club aus zehn Mitgliedern besteht, der Clubpräsident zwei neue Mitglieder aufnehmen. Die erste Hälfte des Films zeigt das Leben der Studenten in Oxford und wie der bodenständig-normale Studienanfänger Miles und Alistair, dessen großer Bruder bereits Präsident des Clubs war, Mitglieder des Clubs werden.
In der zweiten Hälfte wird dann mit kühler Präzision die alljährliche Völlerei des Clubs und die ihr innewohnende destruktive Dynamik gezeigt. Denn das Programm des Abends besteht in Essen und Trinken bis zum Umkippen. Die Zerstörung des Inventars ist ein läßlicher Nebenaspekt, der am nächsten Tag ohne mit der Wimper zu zucken finanziell beglichen wird. Spaß haben kostet halt Geld. Und für die Dinge, die nicht sofort mit Geld geregelt werden können, gibt es ja gute Anwälte und Beziehungen, die sie nach diesem Abendessen brauchen werden.
„The Riot Club“ zeigt, trotz satirischer Zuspitzungen und einer wenig subtilen Darstellung der Klassengesellschaft (die edle Arbeiterklasse hier, die dekadenten Reichen da), wie eine Klasse sich an der Macht hält und damit ein marodes System konserviert. Denn das einzig elitäre an dem Riot Club ist der von ihren unhinterfragte Glaube an die eigene Überlegenheit.

The Riot Club - Plakat

The Riot Club (The Riot Club; Posh, Großbritannien 2014)
Regie: Lone Scherfig
Drehbuch: Laura Wade
LV: Laura Wade: Posh, 2010 (Theaterstück)
mit Sam Claflin, Max Irons, Douglas Booth, Sam Reid, Ben Schnetzer, Jack Farthing, Matthew Beard, Freddie Fox, Josh O’Connor, Olly Alexander, Jessica Brown Findlay, Holliday Grainger, Natalie Dormer
Länge: 107 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Deutsche Homepage zum Film
Film-Zeit über „The Riot Club“
Moviepilot über „The Riot Club“
Metacritic über „The Riot Club“
Rotten Tomatoes über „The Riot Club“
Wikipedia über „The Riot Club“