Neu im Kino/Filmkritik: Sigmund „Freud – Jenseits des Glaubens“ im Gespräch mit C. S. Lewis

Dezember 19, 2024

Am 3. September 1939 empfängt Dr. Sigmund Freud, wenige Tage vor seinem Tod, in seinem Haus in London einen Gast von der University of Oxford. In seinem jetzt verfilmten Theaterstück sagt Mark St. Germain, dass C. S. Lewis dieser Gast war. Mit dieser Idee ist die Basis für ein fulminantes Streitgespräch gelegt.

Denn Freud ist Atheist. Der Begründer der Psychoanalyse lehnt Religion als bloßen Aberglaube ab. Lewis ist ein Laientheologe, der als Erwachsener das Christentum für sich wieder entdeckte und ein glühender Verfechter des Glaubens wurde. Lewis war außerdem mit „Der Herr der Ringe“ J. R. R. Tolkien befreundet und schrieb die Fantasy-Serie „Die Chroniken von Narnia“.

Unterschiedlicher könnten die Ansichten zwischen den beiden Männern nicht sein und entsprechend schnell sollte ein erkenntnisreicher und zum Nachdenken anregender Disput zwischen den beiden Gelehrten entstehen.

Aber für dieses Streitgespräch interessiert sich Matthew Brown in seinem mit Sir Anthony Hopkins als Freud und Matthew Goode als Lewis hochkarätig besetztem Drama „Freud – Jenseits des Glaubens“ nicht. Anstatt sich über ihre fundamental unterschiedlichen Ansichten über Glaube, Aberglaube, Atheismus, Gott und die Welt zu streiten, tauschen sie belanglose Höflichkeiten aus und schlürfen Tee.

Dazwischen, davor und danach erzählt Brown viel über Freuds Tochter Anna Freud (Liv Lisa Fries), die sich aufopfernd um ihren fordernden und undankbaren Vater kümmert. Gleichzeitig arbeitet sie als Pschychoanalytikerin für Kinder und ist verliebt. In eine Frau. Diese Liebe verstößt gegen alle Prinzipien ihres Vaters. Also verbirgt sie sie vor ihm. Während des Films hadert sie, wenn sie wieder einmal ihre Arbeit unterbrechen muss, um etwas für ihren Vater zu besorgen, mit ihrem Leben.

Ihre Geschichte könnte das Material für einen spannenden Film sein. In „Freud – Jenseits des Glaubens“ stört sie nur die Hauptgeschichte, das Gespräch zwischen Freud und Lewis.

Freud – Jenseits des Glaubens“ ist überaus gediegen inszeniertes langweiliges Schauspielerkino, das sich auf Nebenschauplätzen und in Rückblenden verliert, anstatt dem intellektuellen Schlagabtausch von zwei Menschen über eine wichtige Frage zu vertrauen.

Wer im Kino eine Lehrstunde über Atheismus und den Glauben an Gott erleben möchte, wartet besser noch einige Tage bis „Heretic“ bei uns am 26. Dezember anläuft. In dem Horrorfilm lädt Hugh Grant zwei junge Missionarinnen in sein Haus ein und unterhält sich mit ihnen über ihren Glauben an Gott, andere Religionen und den Atheismus. Das ist bis zum dritten Akt, ein intellektuelles Vergnügen.

Freud – Jenseits des Glaubens (Freud’s Last Session, Großbritannien/Irland/USA 2023)

Regie: Matthew Brown

Drehbuch: Mark St. Germain, Matthew Brown

LV: Mark St. Germain: Freud’s Last Session, 2009 (Theaterstück)

mit Anthony Hopkins, Matthew Goode, Liv Lisa Fries, Jodi Balfour, Jeremey Northam, Orla Brady, Stephen Campbell (als J. R. R. Tolkien)

Länge: 110 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Freud – Jenseits des Glaubens“

Metacritic über „Freud – Jenseits des Glaubens“

Rotten Tomatoes über „Freud – Jenseits des Glaubens“

Wikipedia über „Freud – Jenseits des Glaubens“ (deutsch, englisch)


DVD-Kritik: „The Foreigner“ Jackie Chan nervt Pierce Brosnan

Februar 28, 2018

In London explodiert eine Bombe. Aber nicht, wie man es inzwischen erwartet, der IS oder irgendeine islamistische Terrorgruppe bekennt sich zu dem Anschlag, sondern der militante Flügel der Kern-IRA. Das ist eine neue Terrorzelle, die Material und Codeworte der IRA benutzt und so ihre Legitimität nachweisen kann. Der Anschlag gefährdet den fragilen Frieden, der seit dem Karfreitagsabkommen (Good Friday Agreement) von 1998 in Nordirland herrscht. Und der jetzt durch den Brexit und das konfuse Agieren der Tory-Regierung aus einer ganz anderen Richtung gefährdet ist.

Aber um diesen realpolitischen Hintergrund, der beim Dreh nicht absehbar war, kümmert Martin Campbell sich in seinem neuen Thriller „The Foreigner“ nicht. Während die Attentäter noch keine Forderung stellen, fordert Deputy Minister Liam Hennessy (Pierce Brosnan, als Gerry-Adams-Lookalike) von der britischen Regierung, dass sie von ihnen inhaftierte nordirische Kämpfer begnadigt. Hennessy, selbst ein ehemaliger Terrorist und jetzt Minister von Nordirland, will als Vermittler zwischen der unbekannten IRA-Splittertruppe und der britischen Regierung seine Position weiter festigen.

Da funkt Quan Ngoc Minh (Jackie Chan) dazwischen. Er ist ein seit Ewigkeiten in England lebender Kriegsflüchtling und alleinstehender Besitzer eines kleinen East-End-Restaurants. Seine von ihm über alles geliebte Tochter starb bei dem Anschlag.

Als die Polizei bei ihren Ermittlungen nicht weiter kommt, besucht er in Belfast Hennessy. Er möchte, dass der ihm die Namen der Attentäter nennt. Und weil Hennessy den höflichen, duckmäuserischen Asiaten nicht Ernst nimmt, zündet Quan in Hennessys Bürogebäude in der Toilette ein Bombe. Danach platziert er eine deutlich sichtbare Bombe in dessen Auto.

Nach diesen beiden Warnungen weiß Hennessy, dass Quan nicht nachlassen wird in seiner Suche nach Antworten und dass er – zu Recht – Hennessy als die Person ansieht, die ihm diese Antworten geben kann.

The Foreigner“ ist eine angenehme Rückkehr zu den grimmigen Actionpolitthrillern aus den siebziger und achtziger Jahren, in denen die IRA der Bösewicht war. Das liegt zu einem Teil an der Vorlage. Thrillerautor Stephen Leather (von dem Blanvalet vor Jahren einige Bücher übersetzte) schrieb „The Chinaman“ bereits 1992, als der Nordirland-Konflikt blutig ausgetragen wurde. Zu einem anderen Teil daran, dass die Macher einen altmodischen Thriller inszenieren wollten, in dem es zwar Smartphones und Videoüberwachung gibt, aber beides wenig nützt, wenn ein großer Teil der Geschichte auf dem einsam gelegenen Landgut von Hennessy spielt, das von Quan belagert wird. Mit sauber platzierten Sprengsätzen und Fallen treibt er Hennessy in die Enge und macht dessen Männer kampfunfähig, ohne sie zu töten.

In diesen Momenten gibt es auch eine ordentliche Portion Action. Die hat aber nichts von der bekannten artistisch-witzig-übertriebenen Jackie-Chan-Slapstick-Action. In „The Foreigner“ ist sie roh und vor allem effektiv. Im Mittelpunkt der Geschichte steht nämlich das psychologische Duell zwischen Quan und Hennessy und Hennessys Kampf an mehreren Fronten. Schließlich muss er seine Führungsposition gegen aufstrebende und gegnerische Kräfte innerhalb der IRA behaupten.

Martin Campbell, der unter anderem die legendäre TV-Serie „Am Rande der Finsterns“ (Edge of Darkness) und die beiden Bond-Filme „GoldenEye“ (mit Brosnan) und „Casino Royale“ insznierte, inszeniert „The Foreigner“ schnörkellos und ohne überflüssige Modernismen als spannender Old-School-Thriller vor moderner Kulisse.

Nur die Musik von Cliff Martinez nervt als monotoner Rhythmus-Track, der unterschiedslos über jede Szene gegossen wird und jede thematische Beschäftigung mit der Filmgeschichte verweigert.

Als Bonusmaterial gibt es jeweils etwa zehnminütige Interviews mit Martin Campbell, Jackie Chan und Pierce Brosnan und ein vollkommen uninteressantes Mini-Featurette.

The Foreigner (The Foreigner, Großbritannien/China 2017)

Regie: Martin Campbell

Drehbuch: David Marconi

LV: Stephen Leather: The Chinaman, 1992

mit Jackie Chan, Pierce Brosnan, Katie Leung, Rory Fleck-Byrne, Ray Fearon, Charlie Murphy, Orla Brady, Michael McElhatton, Liu Tao as Keyi Lam, Dermot Crowley, Lia Williams

DVD

Universum Film

Bild: 2,40:1 (16:9 aamorph)

Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 5.1)

Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte

Bonusmaterial Interviews mit Martin Campbell, Jackie Chan und Pierce Brosnan, Featurette, Trailer

Länge: 109 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Moviepilot über „The Foreigner“

Metacritic über „The Foreigner“

Rotten Tomatoes über „The Foreigner“

Wikipedia über „The Foreigner“

Homepage von Stephen Leather

Meine Besprechung von Martin Campbells TV-Serie “Am Rande der Finsternis” (Edge of Darkness, GB 1985 – DIE Vorlage für “Auftrag Mord”)

Meine Besprechung von Martin Campbells „Green Lantern” (Green Lantern, USA 2011)