Edison Crane ist ein Mann, wie er nur in Abenteuergeschichten existiert. Er ist kein klassischer Superheld, sondern ein Mensch, der unglaublich intelligent und fit ist. Nachdem er als Elfjähriger von einigen sechs Jahre älteren Schülern verprügelt wurde, eignet er sich in einer Nacht alles Wissen über Kampfsport und Selbstverteidigung an. Am nächsten Tag verkloppt er die Halbstarken und wenn in dem Moment der unbesiegbare Chuck Norris (oder für die Jüngeren Vin Diesel) als Aufsichtslehrer um die Ecke gekommen wäre, hätte Crane ihn auch auf den Boden geschickt. Später will er sich nach einer lebensgefährlichen Schussverletzung selbst operieren, weil der Arzt noch sechs Jahre zu jung ist, um die Operation richtig durchführen zu können und ein Thoraxchirurg nicht verfügbar ist.
Als Erwachsener ist Crane jedermanns Liebling. Er hat Geld. Er vollführt in seiner Freizeit die unglaublichsten Stunts. Und er ist für alle Regierungen der gefragte Troubleshooter. So wird er um Rat gefragt, als sich plötzlich Autos, die es auf der Erde nicht gibt, mit verkohlten Mäuse und Ratten als Passagieren, und ein Raumschiff mit toten Menschen auf der Erde auftauchen. Er hat für diese Materialisierungen sofort eine Erklärung: es gibt eine Parallelerde, die eine Invasion auf unsere Erde plant.
Um das drohende Unheil abzuwenden, muss er eine Schriftrolle finden, auf der der gesamte Invasionsplan steht. Sie soll in der Kreml-Bibliothek sein. Er macht sich, begleitet von CIA-Agentin Rachel Straks, auf den Weg um die Erde und immer im Wettlauf gegen die Zeit. So beschließt die US-Army gerade dann die IS-Hochburg zu bombardieren, als er dort in einem alten Tempel die Inschriften studieren will, die ihm mehr über die Pläne der Parallel-Erdler verraten könnte.
Sein Gegner bei dieser Hatz ist die Bruderschaft des Drachen. Sie existiert ebenfalls seit Ewigkeiten. Ihre Mitglieder sind mächtige Männer an den Schaltstellen der Macht. Ihr Ziel ist es, die Invasion zu ermöglichen.
Die von „Kick-Ass“ Mark Millar erfundene und „American Vampire“ Rafael Albuquerque gezeichnete Actiongeschichte ist eine weitere Geschichte, die Millar nach seinem lukrativem Netflix-Deal veröffentlichte. Der Deal ermöglicht Millar die weitere Veröffentlichung von Comics, die gleichzeitig als Netflix-Serie optioniert sind. Wobei „Prodigy: Die böse Erde“ mit seiner weltumspannenden Geschichte und den zahlreichen Gebäude-vernichtenden Actionszenen eine sehr teure Angelegenheit wird.
Die Geschichte selbst hat das, was man bei Mark Millar liebt. Die Vorbilder sind erkennbar. Aber Millar dreht alles mindestens zwei Schrauben weiter und würzt es mit einer ordentlichen Portion schwarzen Humor.
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Mark Millar/Rafael Albuquerque: Prodigy: Die böse Erde
Vor elf Jahren veröffentlichten Mark Millar und John Romita Jr. den ersten „Kick-Ass“-Comic. Weitere folgten. Ebenso zwei kultige Verfilmungen, in denen Chloë Grace Moretz „Hit-Girl“ Mindy McCready verkörperte.
Inzwischen hat Hit-Girl eine eigene Comicserie, in denen verschiedene Autoren und Zeichner den Teenager um die Welt begleiten. Weil Hit-Girl eine Killermaschine ist, die unter Freizeitvergnügen versteht, mit einigen coolen Sprüchen und ohne mit der Wimper zu zucken, ganze Hundertschaften böser Jungs umzubringen, hinterlässt sie an jedem Ort, den sie besucht, einige Dutzend Leichen. Nach Kolumbien und Kanada ist jetzt Rom an der Reihe.
Das Abenteuer beginnt in Toronto. Dort begegnet sie Paola, die am Flughafen aus einem Frachtcontainer einen Gegenstand stehlen will. Anstatt Paola zu überwältigen, landet Mindy im Frachtcontainer eines Flugzeugs, das sie nach Rom fliegt.
Dort trifft sie sofort nach der Landung wieder auf Paola und sie kann während eines Kampfs Paolas Diebesgut, einen juwelenbesetzten Schädel, gegen ein Plüschtier austauschen.
Donna Giustina, eine alte Dame, Nonne und skrupelloser Kopf eines Verbrechersyndikats („Ich töte zum Vergnügen!“), die den Schädel unbedingt will, schickt ihre Vasallen und die Diebin Paola los. Sie sollen den Schädel von dem maskierten Mädchen mit dem Samuraischwert wieder besorgen.
„Hit-Girl in Rom“ ist ein blutiger von Rafael Scavone geschriebener und Rafael Albuquerque gezeichneter Spaß, mit einigen überraschenden Wendungen und vielen, immer wieder gegen den Strich gebürsteten Italien-Klischees.
Für Ende Oktober ist mit „Hit-Girl in Hollywood“ die nächste Geschichte mit Mindy McCready angekündigt. Geschrieben von Kevin Smith.
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Während die neuen „Hit-Girl“-Geschichten lose an die vorherigen „Kick-Ass“-Geschichten anknüpfen, geht „Kick-Ass“ einen anderen Weg. Mark Millar und John Romita Jr. starteten mit „Kick-Ass: Frauenpower“ die Serie komplett neu. Im Mittelpunkt steht mit Patience ein ganz neuer Charakter, der in einer anderen Stadt gegen das Organisierte Verbrechen kämpft. Im ersten „Kick-Ass: Frauenpower“-Sammelband begann Patience ihren Kampf gegen die örtliche Drogenmafia.
Am Ende hatte die alleinerziehende Mutter, schlecht verdienende Kellnerin und kampferprobte Afghanistan-Veteranin die Kontrolle über mehrere Gangs in Albuquerque, New Mexiko, übernommen.
Nach dem ersten Sammelband erzählen Steve Niles („30 Days of Night“) und Marcelo Frusin („Loveless“) die Geschichte gelungen weiter.
Bei ihrem Kampf gegen die verschiedenen Verbrecherbanden legte Patience sich auch mit den Kartellen an, die die maskierte Frau und ihre Helfer töten wollen. Skrupel kennen sie nicht. Und Patience steht auch vor der Frage, was sie tun soll, wenn Maurice aus dem Koma erwacht. Denn der Verbrecher ist ein mehrfacher Vater und mit ihrer Schwester Edwina verheiratet. Dass der Vater ihrer Kinder ein Verbrecher ist, weiß Edwina nicht.
„Kick-Ass: Frauenpower“ ist ernster als die alten „Kick-Ass“-Geschichten, die Superheldengeschichten gegen den Strich bürsteten. „Frauenpower“ ist näher an der Realität und erwachsener. Immerhin ist die Protagonistin kein pubertierender Hänfling, sondern eine alleinerziehende Mutter, die sich mit den Problemen herumschlagen muss, mit denen sich eine alleinerziehende Mutter herumschlagen muss. Da ist kein Platz für Superheldengedöns.
Damit ist auch der zweite „Kick-Ass: Frauenpower“-Sammelband ein Comic für die „Kick-Ass“-Fans und die Fans von Hardboiled-Krimis. Und, wie „Hit-Girl in Rom“, eine angenehm gradlinige Geschichte. Kein Epos, wie Mark Millars jüngste Werke, sondern ein Punkrocksong. Laut Verlag „empfohlen ab 16 Jahre“.
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Rafael Scavone/Rafael Albuquerque: Hit-Girl in Rom
(übersetzt von Bernd Kronsbein)
Panini, 2019
100 Seiten
12,99 Euro
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Originalausgabe
Hit-Girl (2018) # 9 – 12
Millarworld/Image, Oktober 2018 – Januar 2019
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Steve Niles/Marcelo Frusin: Kick-Ass – Frauenpower
Mit Geschichten wie „Wanted“ und „Kick-Ass“ wurde Mark Millar bekannt und, egal wie sehr sie einem gefallen, sind es Geschichten für pubertierende Jungs. Inzwischen ist Millar in zweiter Ehe verheiratet, hat zwei Kinder und darf bald seinen fünfzigsten Geburtstag feiern (Ähem, nachträglich: Alles Gute zum Geburtstag, der am 24. Dezember war). Wie das Perspektiven verändert, sieht man in seinen neuen Werken „Reborn“ und „Empress“.
Doch beginnen wir unseren kleinen Überblick über seine neu auf Deutsch erschienenen, durchgehend lesenswerten Werke mit einem Frühwerk. Als vierter Band der „Mark Millar Collection“ erschien „Genosse Superman“. Wie man bei dem Titel schon vermuten kann, handelt es sich um keine gewöhnliche Superman-Geschichte. Aber wer hätte das, ehrlich gesagt, bei Millar erwartet? Schließlich verbindet er immer wieder eine bekannte Geschichte mit einem besonderen Twist. Bei „Kick-Ass“ erzählt er, zum Beispiel, eine typische Superhelden-Origin-Geschichte. Nur ist sein Held kein Superheld, sondern ein ganz normaler, verweichlichter, unsportlicher Nerd, der ohne die Hilfe von Hit-Girl keine zwei Minuten überleben würde. Sie ist ein Mädchen, das reihenweise Männer tötet.
In „Genosse Superman“ ist es die Idee, dass Superman nicht in den USA, sondern in der UdSSR landete, die die bekannte Superman-Geschichte radikal verändert. In der Ukraine wuchs er auf einer Kolchose auf. Danach setzte er seine Kräfte für den Ostblock ein und das verändert den Lauf der gesamten Nachkriegsgeschichte.
Für den freien, kapitalistischen Westen sucht Lex Luthor nach einem Weg, um Superman zu besiegen. Immerhin ist er eine Bedrohung für die USA, ihren Lebensstil und die von ihr forcierte Ideologie.
Mark Millars Superman-Geschichte, sozusagen eine Alternativwelt-Geschichte zu einer erfundenen Geschichte, erschien im Original erstmals 2003.
Im Rahmen der Mark Millar Collection ist sie jetzt mit zahlreichen Zeichnungen aus den Skizzenbüchern der Zeichner Dave Johnson und Kilian Plunkett wieder veröffentlicht worden.
Fast, aber wirklich nur fast, schließt „Huck – Held wieder Willen“ daran an. Im Mittelpunkt steht Huck. Er lebt in einem kleinen Dorf in den USA ein einfaches, glückliches Leben als Tankwart. Seine Nachbarn mögen ihn. Das Findelkind mag sie. Er hilft ihnen. Auch mit seinen Superkräften, die die Dorfbewohner klaglos akzeptieren. Denn jeden Tag vollbringt er, in schönster Pfadfindertradition, eine gute Tat.
Als die kürzlich zugezogene Diane von seinen Fähigkeiten erfährt, erzählt sie es der Presse. Selbstverständlich belagern die Medien das Dorf. Auch Hucks Bruder meldet sich. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg, ihre Mutter zu suchen – und das Geheimnis ihrer Herkunft aufzudecken.
Die untergegangene Sowjetunion spielt eine Rolle dabei und die Lösung erinnerte mich an die Prämisse der TV-Science-Fiction-Serie „Dark Angel“ (Kennt die noch jemand? Außerdem sollte ich sie mir mal zu Ende ansehen und die Romane von Max Allan Collins lesen.).
„Huck“, zusammen mit Rafael Albuquerque (American Vampire) geschrieben und im Original 2015/2016 erschienen, bewegt sich noch in dem altbekannten Millar-Kosmos.
Die danach erschienenen Folgewerke „Empress“ und „Reborn“ unterscheiden sich deutlich von „Huck“. Nicht nur weil beide Male Frauen die Protagonistinnen sind (das ist bei Millar ja nicht ungewöhnlich), sondern weil die eine Frau eine Mutter und die andere eine alte, gerade verstorbene Frau ist. Und das ist bei Millar, dessen Protagonisten normalerweise junge Kindsköpfe sind, schon sehr ungewöhnlich. Spontan fallen mir nur „Old Man Logan“ und seine „Flash Gordon“-Liebeserklärung „Starlight“ ein. In dieser, im Original 2014 erschienen Geschichte ist der Protagonist ein Großvater, der als junger Air-Force-Pilot einen weit, weit entfernten Planeten von einem Diktator befreite und jetzt wieder in diese Welt zurückkehren muss.
„Empress“ spielt in einer Fantasy-Welt, die an die alten „Flash Gordon“-Serials erinnert und vom ersten bis zum letzten Panel eine waschechte Space-Opera ist.
Weil Königin Emporia für ihre Kinder ein glückliches Leben will, flüchtet sie vor ihrem Mann, dem diktatorischen König Morax, auf einen fremden Planeten.
Morax schickt wutentbrannt seine Schergen hinter ihr her und schon beginnt ein munteres Planetenhopping von einem gefährlichen Planeten zum nächsten.
Und mehr zu verraten, würde wirklich den Spaß bei dieser flotten Space Opera verderben.
In „Reborn“ stirbt die 78-jährige Bonnie Black im Krankenhaus. Mit ihrem Tod (jedenfalls vermuten wir das in dem Moment) betritt sie, wie „Alice im Wunderland“, eine andere, eine fantastische Welt, in der sie viele alte Bekannte aus ihrer Vergangenheit trifft, wie ihren Vater, ihre Katze Frosty (jetzt General Frost und sehr stinkig) und ihre frühere beste Freundin, die jetzt die Elfenkönigin ist. Teilweise haben ihre alten Bekannte, Freunde und Verwandten in Adystria ihre Gestalt geändert.
Von ihrem Vater wird Bonnie als die große Hoffnung für diese Welt angesehen. Aber bevor sie gegen die Bösen in die Schlacht zieht, möchte sie ihren vor vierzehn Jahren verstorbenen Ehemann finden. Zusammen mit ihrem Vater und ihrem Hund Roy-Boy (inzwischen ein Pudel von der Größe eines Pferdes) machen sie sich auf die Suche nach ihm. In einer Welt, die aus einem Fantasy-Spektakel oder eben „Alice im Wunderland“ stammen könnte und Bonnies wildes Abenteuer eine Fantasie, ein Traum, sein könnte.
„Empress“ und „Reborn“ haben alles, was man von einer Mark-Millar-Geschichte erwartet. Nur dass es dieses Mal etwas mehr Altersweisheit als gewohnt gibt.
Mark Millar/Dave Johnson/Kilian Plunkett: Genosse Superman (Mark Millar Collection 4)
(übersetzt von Christian Heiss)
Panini, 2017
172 Seiten
24, 99 Euro
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Originalausgabe
Superman: Red Son # 1 – 3
DC Comics, 2003
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Mark Millar/Rafael Albuquerque/Dave McCaig: Huck – Held wider Willen