Ross Thomas hat „Zu hoch gepokert“, denn „Die Narren sind auf unserer Seite“

August 7, 2024

Als der Alexander Verlag 2005 mit „Die im Dunkeln“ (Ah, Treachery!, 1994) seine Ross-Thomas-Edition startete, hätte wohl niemand gedacht, dass der Verlag wirklich alle Romane von Ross Thomas in neuen Übersetzungen wieder veröffentlicht. Jetzt ist er fast am Ziel. Nur noch „Urne oder Sarg, Sir?“ (The Seersucker Whipsaw, 1967) fehlt.

Mit dem vor wenigen Tagen erschienenen Polit-Thriller „Die Narren sind auf unserer Seite“ liegt jetzt der 24. Roman der Neu- und Komplettedition vor. Und dieser Roman hat es in sich. 1972 erschien er bereits im Ullstein Verlag als „Unsere Stadt muss sauber werden“ bei Ullstein veröffentlicht. Und er wurde dafür so rabiat gekürzt, dass der Roman höchstens als Reader’s-Digest-Version durchgeht. Die Ullstein-Übersetzung hat 144 Seiten. Die neue Übersetzung 584 Seiten – und damit ist die jetzt erschienene vollständige Übersetzung auch für alle, die irgendwann einmal die alte Übersetzung gelesen haben, lesenswert und eine Entdeckung.

Bei der monatlichen Krimibestenliste sahen sie es ähnlich. Neuübersetzungen sind normalerweise automatisch disqualifiziert, aber in diesem Fall handelt es sich weniger um eine Neuübersetzung und vielmehr um eine Erstübersetzung. Und Erstübersetzungen können natürlich für die Krimibestenliste nominiert werden. In der aktuellen August-Krimibestenliste steht der Roman auf dem ersten Platz.

In dem Thriller geht es um eine kleine in Texas an der Küste gelegene Stadt und deren mehr oder weniger gesetzestreuen Bewohner. Lucifer Dye (Was für ein Name für einen in Shanghai in einem Bordell aufgewachsenen Mann, dessen Karriere beim US-Geheimdienst nach einem Gefängnisaufenthalt in Hongkong vorbei ist) soll für Victor Orcutt, Genie und selbsternannter Experte und Berater für städtische Probleme, die Küstenstadt Swankerton korrumpieren. Denn nach Orcutts erstem Gesetz muss es viel schlechter werden, um besser zu werden.

Zusammen mit der Ex-Prostituierten Carol Thackerty und dem Ex-Polizeichef Homer Necessary besuchen Orcutt und Dye die Stadt, die schon ziemlich viele Probleme hat. Und wenige Tage nachdem das Quartett in der Stadt eingetroffen ist, noch mehr Probleme hat.

Die Narren sind auf unserer Seite“ ist allein schon vom Umfang sein Opus Magnum. Es ist ein verschachtelter Polit-Thriller und gleichzeitig die Lebensgeschichte von Lucifer Dye, erzählt in seinen Worten. Da sind schnell sechshundert vergnügliche Seiten zusammen.

Deutlich kürzer ist der vierte Philip-St.-Ives-Roman von Ross Thomas. Ursprünglich erschien „Zu hoch gepokert“, der 23. Band der Ross-Thomas-Werkausgabe, unter dem Pseudonym Oliver Bleeck.

St. Ives ist ein professioneller Mittelsmann zwischen Menschen, die etwas wieder haben wollen, aber aus verschiedenen Gründen nicht zur Polizei gehen wollen, und Menschen, die den gestohlenen Gegenstand oder die entführte Person gegen eine bestimmte Geldmenge wieder zurückgeben würden. St. Ives erhält für seine Mühen eine Provision und eine Menge Ärger. So auch in „Zu hoch gepokert“.

In London wurde aus einem Privathaus das Schwert von Ludwig dem Heiligen gestohlen. Es ist mehrere Millionen wert, aber die Diebe verlangen nur hunderttausend Pfund für die Rückgabe des Gegenstands. Die Besitzer des Schwertes, die Brüder Nitry, sind Kunsthändler und halbseiden. Der Mann, der um St. Ives‘ Hilfe gebeten hat, ist Eddie Apex. Als St. Ives ihn kennen lernte, war ‚English Eddie‘ einer der besten internationalen Betrugskünstler. Inzwischen hat er reich geheiratet und sich in London zur Ruhe gesetzt. Sagt er.

Und die Diebe sind auch keine Amateure in der Welt des Verbrechens.

1973 veröffentlichte der Ullstein Verlag eine gekürzte Fassung von „The Highbinders“ unter dem Titel „Ein scharfes Baby“, nannte Oliver Bleeck als Autor und schrieb den Namen auf dem Cover auch mal falsch als Bleek. Die Ullstein-Ausgabe hat 128 Seiten. Die neue Ausgabe 256 Seiten. Und damit ist offensichtlich, dass auch bei diesem Roman vieles gekürzt oder überhaupt nicht übersetzt wurde.

Zu hoch gepokert“ ist ein flotter Krimi, in dem etliche Gauner sich gegenseitig betrügen, schlagen und töten. Daneben wird viel Alkohol getrunken. Die Dialoge und treffenden Beschreibungen sprühen vor Witz. Der Humor ist, wie immer bei Ross Thomas, bissig, schwarzhumorig und trocken. Solche Bücher werden heute nicht mehr geschrieben.

Und jetzt stehe ich vor der schwierigen Frage, welches Buch ich als Einstieg in die süchtig machende Welt von Ross Thomas empfehle. „Zu hoch gepokert“ ist vor allem eine witzige Gaunergeschichte, in der Gauner sich gegenseitig betrügen. Das ist eine vergnüglich kurzweilige Lektüre. „Die Narren sind auf unserer Seite“ ist ein Roman für die Freunde dickleibiger Polit-Thriller. Aber sechshundert Seiten sind sechshundert Seiten.

Zum Einstieg eignet sich da besser ein kürzeres Werk. Vielleicht sein Debüt „Kälter als der Kalte Krieg“ (The Cold War Swap, 1966). Zwei Gründe sprechen für diesen Krimi. Erstens weil es sein erster Roman ist und er schon alles hat, was seine späteren Romane so lesenswert und witzig macht. Und zweitens weil die Agentengeschichte in Deutschland (in Bonn und Berlin) spielt. Das ist dann auch eine schöne Reise in die bundesdeutsche Vergangenheit, die sechziger Jahre und die Zeit des Kalten Kriegs.

Dornbusch“ (Briarpatch, 1984) ist auch ein guter Einstieg. In dem Polit-Thriller stirbt ein Detective durch eine Autobombe und ihr Bruder, Berater eines Senators, will ihren Mörder finden.

Außerdem erhielten beide Romane den Edgar-Allan-Poe-Preis.

Und dann gibt es noch „Umweg zur Hölle“ (Chinaman’s Chance, 1978), der erste Artie-Wu/Quincy-Durant-Roman. Der große Krimikritiker, Förderer der Kriminalliteratur und Buchhändler Otto Penzler drückte es Kunden, die nach einem guten Krimi suchten, in die Hand. Das Buch ist, so Penzler, „drop-dead perfect“.

Ross Thomas: Die Narren sind auf unserer Seite

(übersetzt von Gisbert Haefs und Julian Haefs)

Alexander Verlag, 2024

584 Seiten

20 Euro

Originalausgabe

The Fools in Town are on our side

1970

Erste deutsche Übersetzung

Unsere Stadt muss sauber werden

Ullstein, 1972

Ross Thomas: Zu hoch gepokert – Ein Philip-St.-Ives-Fall

(übersetzt von Gisbert Haefs)

Alexander Verlag, 2023

256 Seiten

16,90 Euro

Originalausgabe (unter dem Pseudonym Oliver Bleeck)

The Highbinders

1973

Erste deutsche Übersetzung

Ein scharfes Baby

Ullstein, 1974

Hinweise

Alexander Verlag über Ross Thomas

Wikipedia über Ross Thomas (deutsch, englisch)

Alligatorpapiere: Gerd Schäfer über Ross Thomas (Reprint “Merkur”, November 2007)

Meine Besprechung von Ross Thomas’ „Gottes vergessene Stadt” (The Fourth Durango, 1989)

Meine Besprechung von Ross Thomas’ „Umweg zur Hölle“ (Chinaman’s Chance, 1978)

Meine Besprechung von Ross Thomas’ „Kälter als der Kalte Krieg“ (Der Einweg-Mensch, The Cold War Swap, 1966)

Meine Besprechung von Ross Thomas’ „Teufels Küche“ (Missionary Stew, 1983)

Meine Besprechung von Ross Thomas’ „Am Rand der Welt“ (Out on the Rim, 1986)

Meine Besprechung von Ross Thomas’ „Voodoo, Ltd.“ (Voodoo, Ltd., 1992)

Meine Besprechung von Ross Thomas’ “Der Yellow-Dog-Kontrakt” (Yellow Dog Contract, 1976)

Meine Besprechung von Ross Thomas‘ „Gelbe Schatten“ (Cast a Yellow Shadow, 1967)

Meine Besprechung von Ross Thomas‘ „Der achte Zwerg“ (The Eight Dwarf, 1979)

Meine Besprechung von Ross Thomas‘ „Die Backup-Männer“ (The Backup Men, 1971)

Meine Besprechung von Ross Thomas‘ „Dämmerung in Mac’s Place“ (Twilight at Mac’s Place, 1990)

Kleine Ross-Thomas-Covergalerie in der Kriminalakte


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Wieder aufgelegt, oft sogar neu übersetzt und mit Ergänzungen

Dezember 31, 2013

Die Tage sind einige Klassiker wiederaufgelegt worden, mit neuem Umschlag, teils mit Nachworten, teils neu übersetzt; wobei Neuübersetzung es nicht so genau trifft, weil auch das Original in einer überarbeiteten oder neuen (d. h. ursprünglichen) Fassung erschien.

Smith - Gorki Park - 2

Anlässlich der Veröffentlichung von Martin Cruz Smiths neuem Arkadi-Renko-Roman „Tatjana“ veröffentlichte der C.Bertelsmann-Verlag auch seinen ersten Arkadi-Renko-Roman „Gorki Park“, mit einem neuen, vierseitigem Nachwort von Tobias Gohlis wieder. In „Gorki Park“ will Chefinspektor Arkadi Renko herausfinden, wer drei Menschen im titelgebenden Gorki Park ermordete.

Der Roman, der damals ein Bestseller war, ist inzwischen ein Krimi-Klassiker, der einen Blick zurück in die Hochzeit des Kalten Krieges wirft.

Für alle, die ihn immer noch nicht gelesen haben: Lesebefehl.

Martin Cruz Smith Gorki Park

(mit einem Nachwort von Tobias Gohlis)

(übersetzt von Wulf Bergner)

C. Bertelsmann, 2013

416 Seiten

14,99 Euro

Deutsche Erstausgabe

Scherz Verlag, 1982

Originalausgabe

Gorky Park

Random House, 1981

Hinweise

Wikipedia über die Verfilmung “Gorky Park” (deutsch, englisch)

Homepage von Martin Cruz Smith

Meine Besprechung von Martin Cruz Smiths „Stalins Geist“ (Stalin’s Ghost, 2007

Meine Besprechung von Martin Cruz Smiths „Die goldene Meile“ (Three Stations, 2010)

Burgess - Clockwork Orange - Die Urfassung - 2

Gleich noch ein Klassiker: „Uhrwerk Orange“ von Anthony Burgess, das jetzt als „Clockwork Orange“ bei Klett-Cotta erschien.

Allerdings handelt es sich hier nicht um eine Neuauflage, sondern Ulrich Blumenbach übersetzte die Urfassung der Geschichte von Alex, dessen gesellschaftsschädlichen Triebe und gewalttätiges Verhalten ihm mit einer speziellen Therapie ausgetrieben werden sollen.

Ergänzend zum Roman gibt es umfangreiches Bonusmaterial, teils von Anthony Burgess, teils von Andrew Biswell und Ulrich Blumenbach.

Auch hier wieder: Lesebefehl.

Die Verfilmung von Stanley Kubrick kann man sich danach ansehen.

Anthony Burgess: Clockwork Orange – Die Urfassung

(übersetzt von Ulrich Blumenbach)

Klett-Cotta, 2013

352 Seiten

21,95 Euro

Originalausgabe

A Clockwork Orange – The Restored Edition

William Heinemann, 2012

Hinweise

Homepage der Anthony Burgess Foundation

Wikipedia über Anthony Burgess (deutsch, englisch)

Blatty - Der Exorzist - 2

Klassiker Nummer 3: „Der Exorzist“. Denn bevor die junge Regan (Linda Blair) im Film unchristliche Flüche ausstieß, Gegenstände bewegte, ihren Kopf verdrehte und spuckte und ein Pater einen Exorzismus durchführte, schrieb William Peter Blatty den 1971 erschienenen Bestseller „Der Exorzist“.

2011, zum vierzigjährigem Jubiläum des Romans, erschien eine von ihm überarbeitete Version des Romans, die anscheinend weitgehend in einem sprachlichen Feinschliff und einem neuen Charakter in einer neuen, alptraumhaften Szene besteht. Für Blatty ist diese Fassung die endgültige Fassung des Romans – und sie erschien jetzt auch auf Deutsch.

William Peter Blatty: Der Exorzist

(übersetzt von Barbara Först)

Bastei-Lübbe, 2013

432 Seiten

8,99 Euro

Originalausgabe

The Exorzist

Harper Collins, 2011

Hinweise

„The Exorzist“-Fanseite

Kirjasto über William Peter Blatty

Wikipedia über William Peter Blatty (deutsch, englisch)

Thomas - Die Backup-Männer - 2Thomas - Dämmerung in Mac's Place - 2

Klassiker Nummer 4 und 5, beide, im Gegensatz zu den vorherigen Romanen, nicht verfilmt: Die letzten beiden Mc-Corkle-und-Padillo-Romane „Die Backup-Männer“ und „Dämmerung in Mac’s Place“ von Ross Thomas, die ich in einer großen Mc-Corkle-und-Padillo-Jubelarie abfeiern wollte. Wie üblich in der Ross-Thomas-Gesamtausgabe des Alexander-Verlages sind die Übersetzungen durchgesehen und bei „Die Backup-Männer“ sogar deutlich erweitert worden.

In „Die Backup-Männer“, das kurz nach den ersten beiden Mc-Corkle-und-Padillo-Geschichten „Kälter als der Kalte Krieg“ und „Gelbe Schatten“ erschien, sollen sie in den USA einen zukünftigen König eines erdölreichen Landes beschützen – und schon stapeln sich die Leichen in einem Krieg mit unklaren Fronten. Aber Mc Corkle und Padillo sind nie um einen lakonischen Spruch verlegen. Das ganze liest sich wie ein guter Siebziger-Jahre-Thriller.

Zwanzig Jahre später steht „Mac’s Place“ noch immer in Washington und wieder geraten die beiden Freunde in eine undurchsichtige Geheimdienstgeschichte. Denn CIA-Söldner Steadfast Haynes schrieb vor seinem Tod seine Memoiren „Zum Söldner berufen“ und weil er in unzählige schmutzige Aktionen involviert war, wollen viele verschiedene Parteien den brisanten Text aus teilweise durchaus verständlichen egoistischen Interessen haben.

Das wäre dann ein doppelter Lesebefehl.

Ross Thomas: Die Backup-Männer

(übersetzt von Wilm W. Elwenspoek, Heinz F. Kliem und Jochen Stremmel)

Alexander Verlag, 2012

248 Seien

14,90 Euro

Originalausgabe

The Backup Men

1971

Deutsche gekürzte Erstausgabe

Was ich nicht weiß, macht mich nicht kalt

Ullstein, 1972

Ross Thomas: Dämmerung in Mac’s Place

(übersetzt von Bernd Holzrichter)

Alexander Verlag, 2013

392 Seiten

14,90 Euro

Originalausgabe

Twilight at Mac’s Place

1990

Deutsche Erstausgabe

Letzte Runde in Mac’s Place

Ullstein, 1992

Hinweise

Wikipedia über Ross Thomas (deutsch, englisch)

Alligatorpapiere: Gerd Schäfer über Ross Thomas (Reprint “Merkur”, November 2007)

Meine Besprechung von Ross Thomas’ „Gottes vergessene Stadt” (The Fourth Durango, 1989)

Meine Besprechung von Ross Thomas’ „Umweg zur Hölle“ (Chinaman’s Chance, 1978)

Meine Besprechung von Ross Thomas’ „Kälter als der Kalte Krieg“ (Der Einweg-Mensch, The Cold War Swap, 1966)

Meine Besprechung von Ross Thomas’ „Teufels Küche“ (Missionary Stew, 1983)

Meine Besprechung von Ross Thomas’ „Am Rand der Welt“ (Out on the Rim, 1986)

Meine Besprechung von Ross Thomas’ „Voodoo, Ltd.“ (Voodoo, Ltd., 1992)

Meine Besprechung von Ross Thomas’ “Der Yellow-Dog-Kontrakt” (Yellow Dog Contract, 1976)

Meine Besprechung von Ross Thomas‘ „Gelbe Schatten“ (Cast a Yellow Shadow, 1967)

Meine Besprechung von Ross Thomas‘ „Der achte Zwerg“ (The Eight Dwarf, 1979)

Kleine Ross-Thomas-Covergalerie in der Kriminalakte


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