Chris Wang ist dreizehn Jahre alt. Youri ist sechzehn Jahre alt. Und wenn Sean Wang in „Dìdi“ und Fanny Liatard und Jérémy Trouilh in „Gagarin – Einmal schwerelos und zurück“ ohne Beschönigungen von Chris‘ und Youris Leben erzählen, bewegen sie sich immer auf Augenhöhe mit ihren Figuren. Ihre Filme sind Filme mit Kindern als Protagonisten, aber keine Kinderfilme; jedenfalls keine dieser für Erwachsene unerträglichen Kinderfilme.
In „Dìdi“ geht es um den taiwanesisch-amerikanischen Jungen Chris Wang, genannt „Wang Wang“. Er lebt 2008 in Fremont, Nordkalifornien, das normale Leben eines Teenagers. Er fetzt sich mit seiner Familie, vor allem mit seiner altklugen Schwester, die sich auf ihr im Herbst beginnendes Studium an der University of California vorbereitet, sucht Schutz bei seiner dickköpfigen Großmutter, versucht sich über sein Verhältnis zu seiner Mutter klar zu werden, treibt Unfug mit seinem besten Freund, sucht Anerkennung in Cliquen, fährt Skateboard und dreht kurze Videos, die er auf Myspace veröffentlicht.
Alltag eben, den Sean Wang in seinem autobiographisch inspiriertem Regiedebüt, ohne einen echten Plot, mit viel Sympathie für seine Figuren, ihre Gefühle und Beziehungen schildert. Er schildert auch die Probleme, die Immigranten und ihre Kinder haben, wenn sie zwischen zwei Kulturen leben und versuchen, respektiertes Mitglied einer anderen Kultur und Gemeinschaft zu werden.
Dídi ist Mandarin. Die wörtliche Bedeutung ist „kleiner Bruder“, aber chinesische Eltern verwenden es auch als Kosewort für ihre jüngeren Söhne.
„Gagarin – Einmal schwerelos und zurück“ hat nur insofern etwas mit dem sowjetischen Kosmonauten Yuri Gagarin zu tun, weil der Film in einem inzwischen abgerissenem Wohnkomplex spielt, der nach ihm benannt wurde. Gagarin war der erste Mensch im Weltraum. Am 12. April 1961 umrundete er einmal die Erde.
Die Gagarin-Hochhaussiedlung wurde in den frühen sechziger Jahren in der Banlieue von Paris errichtet. Damals war das die Utopie von zukunftsträchtigem Wohnen. Schnell wurden die Probleme und Defizite der Architektenutopie deutlich. Am Ende war Gagarin so heruntergekommen, dass ein Abriss günstiger als eine Renovierung des asbestverseuchten Gebäudes war. Dieser Abriss erfolgte 2019. Die Bewohner sollten in andere Wohnkomplexe in Frankreich verteilt werden.
Aber für die Bewohner ist Gagarin Heimat und Bewohner bilden eine Gemeinschaft. Trotzdem ziehen sie nacheinander weg. Nur Youri bleibt. Während um ihn herum das Gebäude langsam abgerissen wird, erbaut er sich in der Mietwohnung eine Raumstation. Er versorgt sich selbst und lebt immer mehr wie ein Weltraumreisender.
„Gagarin – Einmal schwerelos und zurück“ ist eine geglückte Mischung aus dokumentarischem Sozialdrama, Magischem Realismus, wunderschönen, das Gebäude, die Menschen und ihre Gemeinschaft feiernden Kinobildern und, trotz der eigentlich sehr traurigen Geschichte, ein hemmungslos positiver Film.
Die Anfänge für den Film reichen bis in das Jahr 2014 zurück. Damals nahmen Fanny Liatard und Jérémy Trouilh dokumentarische Bilder und Interviews mit den Bewohnern auf. Die Initiative dafür ging von einige Architekten aus, mit denen sie befreundet waren und die über die Möglichkeit einer Zerstörung von Gagarin nachdenken sollten. Fünf Jahre später dokumentierten sie dann die im Film zu sehende Zerstörung von Gagarin.
„Gagarin“ ist eine einzige Liebeserklärung an die Siedlung und ihre aus vielen Ländern, vor allem den früheren französischen Kolonien kommenden, oft armen und arbeitslosen Bewohner. Dieser dokumentarische Teil erdet Youris immer fantastischer werdende Geschichte, während die Kamera durch das Gebäude streift und, in der ersten Hälfte des Films, die Bewohner und ihr Leben zeigt.

Dìdi (Dìdi (弟弟), USA 2024)
Regie: Sean Wang
Drehbuch: Sean Wang
mit Izaac Wang, Joan Chen, Shirley Chen, Chang Li Hua, Mahaela Park, Raul Dial, Aaron Chang, Chiron Cilia Denk
Länge: 94 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
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Hinweise
Wikipedia über „Dídi“ (deutsch, englisch)
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Gagarin – Einmal schwerelos und zurück (Gagarine, Frankreich 2020)
Regie: Fanny Liatard, Jérémy Trouilh
Drehbuch: Benjamin Charbit, Fanny Liatard, Jérémy Trouilh
mit Alseni Bathily, Lyna Khoudri, Jamil McCraven, Finnegan Oldfield, Farida Rahouadj, Denis Lavant, Cesar ‚Alex‘ Ciurar, Rayane Hajmessaoud, Hassan Baaziz, Salim Balthazard, Elyes Boulaïche, Fabrice Brunet, Jacques Cissoko, Mamadou Cissoko, Hassoun Dembele
Länge: 98 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
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Hinweise
Moviepilot über „Gagarin – Einmal schwerelos und zurück“
AlloCiné über „Gagarin – Einmal schwerelos und zurück“
Metacritic über „Gagarin – Einmal schwerelos und zurück“
Rotten Tomatoes über „Gagarin – Einmal schwerelos und zurück“
Wikipedia über „Gagarin – Einmal schwerelos und zurück“ (deutsch, englisch, französisch)
Veröffentlicht von AxelB