Neu im Kino/Filmkritik: „Rock the Kasbah“ – ein Rockmanager in Afghanistan

März 24, 2016

Bill Murray als abgehalfterter Rockmanager Richie Lanz, der das Angebot erhält, mit einem seiner Talente eine gut bezahlte Tour in Afghanistan vor kulturhungrigen US-Soldaten zu machen – das klingt nach dem Auftakt für eine gelungene Satire über das Musikgeschäft, US-Kriegseinsätze und die US-Außenpolitik.

Vor allem, weil Barry Levinson die Regie übernahm.

Genau, der Levinson, der mit „Wag the Dog“ eine der besten (vielleicht sogar die beste) Satire über das politische Geschäft in Washington und wie Außenpolitik für innenpolitische Ziele benutzt wird, erzählte.

Und dann ist „Rock the Kasbah“ ein durchaus prominent besetztes Desaster, das niemals auch nur im Ansatz die satirische Schärfe von „Wag the Dog“ erreicht. Dort wurde ein Krieg in Albanien inszeniert, um im Wahlkampf dem US-Präsidenten eine weitere Amtszeit zu sichern. In „Rock the Kasbah“ geht es jetzt nach Afghanistan und die geplante Satire erstickt in Klischees und gut gemeinten Absichten, die nichts über den Handlungsort und die dortige politische Gemengelage verraten.

Kurz nachdem Lanz mit seiner Sängerin Ronnie (Zooey Deschanel) in Kabul angekommen ist, verschwindet sie mit der Hilfe von Bombay Brian (Bruce Willis in einer weiteren Minirolle, die er ohne spürbares Engagement erledigt), einem Söldner, der gerade seine Biographie schreibt, aus der Stadt und aus dem Film.

Lanz, der jetzt vollkommen pleite ist, lässt sich überzeugen, bei einem von zwei bestenfalls halbseidenen amerikanischen Geschäftemachern eingefädeltem Waffengeschäft mit Paschtunen mitzumachen. Er soll einige Waffen in deren Dorf abliefern.

Dort entdeckt er in einer Höhle Salima (Leem Lubany), die ihn mit ihrem Gesang verzaubert. Er will ihre Stimme der Welt schenken. Der erste Schritt ist ein Auftritt in der enorm beliebten Pop-Show „Afghan Star“ (so etwas wie „Deutschland sucht den Superstar“), wo noch niemals eine Frau auftrat.

Ab diesem Moment wird Satire endgültig gegen Schmalz und Sentiment ausgetauscht. Afghanistan bleibt weiterhin die beliebig austauschbare Kulisse für die Abenteuer eines US-Amerikaners, der orientierungslos durch die Welt stolpert.

Genau wie die Macher von „Rock the Kasbah“, die letztendlich nicht wissen, welche Geschichte sie erzählen wollen. Das zeigt sich auch an der Widmung. „Rock the Kasbah“ ist Setara Hussainzada gewidmet, der ersten Frau, die in „Afghan Star“ unverschleiert auftrat und, auch ohne ihre Geschichte zu kennen (sie wird in der 2009er Doku „Afghan Star“, neben einer Mitbewerberin und zwei Mitbewerbern, porträtiert), wäre eben diese Emanzipationsgeschichte einer Frau, die sich von den Fesseln ihrer Gemeinde löst, ein besserer Film geworden als diese bestenfalls halbgare und nicht besonders witzige Mischung aus mindestens zwei Musikkomödien, gewollt herzigem Feelgood-Movie und oberflächlicher Satire, die vor allem Klischees und Vorurteile bestätigt.

Denn „Rock the Kasbah“ wird durchgehend aus einem imperialistischen Blickwinkel erzählt, in dem die Amerikaner den rückständigen Einheimischen die Werte der Moderne beibringen müssen. Insofern ist es auch egal, dass Kasbah ein vor allem in den Maghreb-Staaten gebräuchliches Wort für Festung ist und der Punkrockklassiker „Rock the Casbah“ von The Clash nicht im Film ist. Dafür gibt es mehrere, gut abgehangene Songs von Cat Stevens.

Und wenn man die grandiose Komödie „Tere bin Laden“ (Indien 2010) kennt, die sich schon vor Jahren mit fast den gleichen Fragen beschäftigte, ist die Möchtegern-Satire „Rock the Kasbah“ noch enttäuschender.

Rock The Kasbah - Plakat

Rock the Kasbah (Rock the Kasbah, USA 2015)

Regie: Barry Levinson

Drehbuch: Mitch Glazer

mit Bill Murray, Bruce Willis, Kate Hudson, Zooey Deschanel, Scott Caan, Danny McBride, Taylor Kinney, Leem Lubany, Arian Moayed, Beejan Land

Länge: 107 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Rock the Kasbah“

Metacritic über „Rock the Kasbah“

Rotten Tomatoes über „Rock the Kasbah“

Wikipedia über „Rock the Kasbah“

Meine Besprechung von Barry Levinsons „The Bay“ (The Bay, USA 2012)

Westliche Kulturarbeit


Neu im Kino/Filmkritik: „The Forest“ begrüßt Selbstmörderinnen, potentielle und reale

Februar 5, 2016

https://www.youtube.com/watch?v=TXFjVbSKagI

Es ist eine Binsenweisheit, dass Horrorfilme gut als Zeitdiagnose funktionieren, weil in ihnen unterschwellige Stimmungen, physische und psychische Befindlichkeiten angesprochen werden können, ohne es offen verhandeln zu müssen. So war die Welle von Torture-Porn-Filmen, wie „Hostel“ und „Saw“, auch erklärbar als Auswirkung von 9/11. Der „war on terror“ bestimmte die globale Politik. Über Folter als legitime Verhörmethode wurde diskutiert.
Inzwischen ist die Bedrohung diffuser geworden. Terroristische Anschläge werden von Einheimischen verübt. Die Sicherheitsbehörden sprechen seit Jahren von einer hohen abstrakten Gefährdungslage. Veranstaltungen werden abgesagt. Ob die Absage gerechtfertigt war, bleibt unklar. Menschen als Terrorverdächtige öffentlichkeitswirksam verhaftet und etwas später wieder freigelassen. Die Beobachtung des Einzelnen nimmt ständig zu. Auch wenn er nicht aktuell beobachtet wird, kann er potentiell jederzeit überwacht werden. Videokameras sind ein fester Bestandteil des öffentlichen Raums. Geheimdienste, Polizei und Firmen können jederzeit, auch ohne dass man irgendein Verbrechen begangen haben soll, auf persönliche Daten zugreifen. Als Einzelner kann man sich nicht dagegen wehren.
Parallel dazu sind seit einigen Jahren, auch als Gegenentwurf zum blutig-hysterischen, Gewalt auskostendem Torture-Porn-Film, Geisterfilme äußerst beliebt. Und „The Forest“ ist das jüngste Beispiel.
Sara erfährt, dass ihre Zwillingsschwester vor einigen Tage in Japan im Aokigahara-Wald verschwunden ist. Der malerische Wald ist auch als „Wald der Selbstmörder“ bekannt. Man soll, was in diesem Fall wortwörtlich zu verstehen ist, nicht den Weg und vor Einbruch der Nacht den Wald verlassen. Sonst sinken, wegen der Geister der Verstorbenen, die Überlebenschancen dramatisch.
Natürlich geht Sara, mit einem Führer und einem Journalisten, in den Wald, selbstverständlich verlässt sie den Weg (was letztendlich nicht so schlimm ist) und natürlich bleibt sie, geplagt von einem Kindheitstrauma, über Nacht und unheimliche Dinge zwischen Wahn und Wirklichkeit geschehen, die den Genrefan nicht sonderlich überraschen, während Sara und Aiden plaudernd, Trauma und schlimme Erlebnisse aufarbeitend, durch den Wald schlendern und sie, mit fortschreitender Laufzeit, immer mehr an den lauteren Absichten des Reisejournalisten zweifelt.
Insgesamt ist der Wald durch den Sara und ihr Freund stolpern, nicht furchterregender als der nahe gelegene Wald vor unserer Haustür, Regisseur Jason Zada gelingen in seinem Spielfilmdebüt eigentlich keine Bilder, in denen der Wald zur Bedrohung wird. Im Gegensatz zu dem sehr aktiven Wald in Sam Raimis einflussreichem „The Evil Dead“/“Tanz der Teufel“, in dem der Wald es gleich mit einer Gruppe Jugendlicher aufnahm. In „The Forest“ ist es nur eine Person; was aufgrund des schwachen, unentschlossen zwischen psychologischem Drama und Horrorfilm schwankenden Drehbuchs und der langsamen Erzählung, ein großer Nachteil ist. So vergeht eine halbe Stunde, bis Sara erstmals den Wald betritt. Und dann muss das Zelt der Schwester gefunden werden.
Als Einzelfilm ist „The Forest“ deshalb ziemlich uninteressant und er wird niemals für den Wald, was „Der weiße Hai“ für das Schwimmen im Meer war. Auch wenn Produzent David Goyer („Blade“) das, laut Presseheft, hofft.
Als Teil eines Phänomens, einer Diagnose des psychischen Zustands westlicher Gesellschaften, und damit in Verbindung mit anderen, in den letzten Jahren entstandenen Horrorfilmen ist „The Forest“ interessant im Rahmen einer theoretischen Betrachtung, die den Film nicht braucht.
P. S.: Den Aokigahara-Wald gibt es wirklich. Er liegt in Japan am Fuß des Fuji und er ist wirklich ein Wald der Selbstmörder.
Die Waldaufnahmen für „The Forest“ wurden im serbischen Nationalpark Tara, der vier Autostunden von Belgrad entfernt ist.

The Forest - Plakat

The Forest (The Forest, USA 2016)
Regie: Jason Zada
Drehbuch: Ben Ketai, Sarah Cornwell, Nick Antosca
mit Natalie Dormer, Taylor Kinney, Yukiyoshi Ozawa, Eoin Macken, Rina Takasaki, Yûho Yamashita
Länge: 94 Minuten
FSK: ab 16 Jahre

Hinweise
Deutsche Homepage zum Film
Englische Homepage zum Film
Moviepilot über „The Forest“
Metacritic über „The Forest“
Rotten Tomatoes über „The Forest“
Wikipedia über „The Forest“