„Wilderer“ – das ausgezeichnete Debüt von Tom Franklin

Januar 22, 2021

Endlich, nachdem seine Solo-Romane „Die Gefürchteten“ (momentan nur antiquarisch), „Smonk“ und „Krumme Type, krumme Type“ (erhielt u. a. den Gold Dagger) bereits vor längerem auf Deutsch erschienen, ist jetzt auch Tom Franklins Buchdebüt „Wildeter“ auf Deutsch erhältlich. Die Sammlung von zehn Kurzgeschichten und einer zwischen Autobiographie und Erzählung pendelnden Einleitung erschien in den USA bereits 1999.

In den Geschichten zeichnet Tom Franklin ein düsteres Bild des US-amerikanischen Hinterlandes. Der Glaube an den amerikanischen Traum existiert in Franklins Alabama weder als hohle Fassade für die Gegenwart, noch als Erinnerung an eine einstmals bessere Vergangenheit. Das liegt auch daran, dass die in den Geschichten auftauchenden Figuren keiner Wildwest-Romantik anhängen und nicht nach einem besseren Leben streben. Deshalb können sie nicht scheitern.

Es sind vom Leben gebeutelte Menschen wie der alkohol- und spielsüchtige Geschäftsführer eines Kieswerks, der sich bei einem seiner Angestellten so sehr verschuldete, dass er immer weniger Herr über die Firma ist.

Oder ein Tankstellenbetreiber, der vor Jahrzehnten einmal ein Nashorn neben den Zapfsäulen aufstellte, um Kunden anzulocken. Inzwischen sind die Zapfsäulen museumsreif und die Kundschaft tankt an anderen Tankstellen.

Es sind Männer, die immer eine Schusswaffe in Reichweite haben und zum Angeln Dynamit benutzen. Es sind Männer, die, wenn sie Glück haben, in schlechten Jobs als etwas bessere Tagelöhner arbeiten. Sie sind Alkoholiker (oder kurz davor). Sie sind mit Frauen verheiratet, die sie nicht lieben, aber von ihnen geschwängert wurden.

Tom Franklin gibt in seinen grandiosen, die Schwüle der Südstaaten kongenial einfangenden Kurzgeschichten einen Einblick in ihr Leben.

Mit fast achzig Seiten ist „Wilderer“ die längste Geschichte des Buches. Die mit dem Edgar als beste Kurzgeschichte ausgezeichnete Geschichte ist eine der wenigen Geschichten, die mühelos als Kriminalgeschichte bezeichnet werden kann. In ihr bringen die jungen, geistig nicht besonders hellen Gates-Brüder im Wald den neuen Wildhüter um. Er hat sie beim Wildern erwischt. Kurz darauf sterben sie nacheinander bei seltsamen Unfällen. Ihr Ersatzvater, Betreiber einer Tankstelle und eines Ladens ohne Kundschaft, glaubt, dass der Vorgesetzte und designierte Nachfolger des ermordeten Wildhüters für die tödlichen Anschläge auf die Gates-Brüder verantwortlich ist. Diese enorm dicht erzählte Geschichte gäbe eine prächtige Vorlage für einen Country-Noir-Film ab.

Tom Franklin: Wilderer

(übersetzt von Nikolaus Stingl)

pulp master, 2020

256 Seiten

14,80 Euro

Originalausgabe

Poachers

Harper Collins, 1999

Hinweise

Wikipedia über Tom Franklin (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Tom Franklins „Smonk“ (Smonk, 2006)


Über Tom Franklins „Smonk“

November 23, 2017

Als der Heyne Verlag 2005 Tom Franklins Debütroman „Die Gefürchteten“ (Hell at the Breech, 2003) veröffentlichte, hätte der Verlag gleich danach Franklins zweiten Roman veröffentlichen können. Zum Beispiel in der Hardcore-Reihe.

Aber er tat es nicht und jetzt ist „Smonk“ bei pulp master erschienen. Es geht um „die skabrösen Abenteuer von E. O. Smonk & der Hure Evavangeline im Clarke County, Alabama zu Beginn des letzten Jahrhunderts“. So der altertümlich längliche Untertitel von „Smonk oder Stadt der Witwen“.

Der Rest ist dann überhaupt nicht altertümlich. Eugene Oregon Smonk ist ein einäugiger, schießwütiger Farmer, Tyrann und, vielleicht, die Ausgeburt des Teufels. Jedenfalls ist er das Schlimmste, was dem kleinen, gottverlassenen Dorf Old Texas zustoßen konnte. Eine Gerichtsverhandlung gegen ihn beendet er schnell, indem er die halbe Dorfbevölkerung ermordet und den Tatort verlässt. Ein sehr kleiner, mäßig motivierter Lynchmob nimmt die Verfolgung auf.

Währenddessen hurt die fünfzehnjährige Evavangeline quer durch den Wilden Westen. In Shreveport stürmt während des Geschlechtsverkehrs eine Gruppe christlicher Deputys das Hotelzimmer. Sie kann durch einen Sprung aus dem Zimmer entwichen, aber weil die Deputys sie für einen Mann halten, beginnen sie sie quer durch das Land zu verfolgen. Denn Sex unter Männern ist noch viel sündhafter als Sex mit einer Frau. Auf ihrer Flucht trifft Evavangeline auf einen Jungen aus Old Texas, der Smonks Mordorgie für seine Flucht aus dem Kaff benutzen möchte, und eine Schar Kinder, die sie beschützen soll.

Nach einigen Umwegen und vielen Rückblenden, reiten alle Beteiligten in Richtung Old Texas.

Smonk“ ist ein wahrhaft wilder Ritt, über den Tom Franklin sagt: „Das Schreiben war wie Masturbieren – es fühlt sich großartig an, aber gleichzeitig fühlt man sich schuldig – es war zu gewalttätig, es war zu schräg, es wurde zu viel gefurzt und es gab zu viel Sex.“

Die Rohfassung entstand in zehn Tagen. An den nächsten zehn Tagen fügte Franklin zwanzig Seiten pro Tag hinzu. Die Überarbeitungen dauerten dann anderthalb Jahre, ohne die Wucht der ersten Fassung in geordnete Bahnen zu lenken.

Immer noch ist Franklins unbändiger Spaß beim Erzählen spürbar, immer noch springt die Geschichte zwischen Gegenwart und Vergangenheit und immer noch ist sie in erster Linie eine endlose Aneinanderreihung von grotesken Situationen, garniert mit vielen Morden und Samenergüssen. Das erinnert dann an Free Jazz in seiner freiesten Form. Und auch in „Smonk“ ist für den Verursacher die unmittelbare Äußerungen seiner Gedanken und Gefühle, ohne auf irgendwelche irgendwie einschränkenden Regeln achten zu müssen, befreiender und spannender als für den Rezipienten. Jedenfalls stellte sich bei mir beim Lesen von „Smonk“ ziemlich schnell ein Gefühl gepflegter Langeweile ein. In der Geschichte gibt es keine Entwicklung und kein Ziel, sondern nur noch einen Mord, noch einen Samenerguss und noch eine Geschmacklosigkeit.

Franklins dritter, mit dem Gold Dagger ausgezeichneter Roman „Krumme Type, Krumme Type“ (Crooked Letter, Crooked Letter, 2010) erscheint demnächst bei pulp master und weil er in Baden-Württemberg zur Schullektüre erhoben wurde (natürlich in der Originalausgabe), dürfte die Übersetzung bald erscheinen.

Tom Franklin: Smonk

(übersetzt von Nikolaus Stingl)

pulp master, 2017

320 Seiten

14,80 Euro

Originalausgabe

Smonk

Harper Collins, 2006

Hinweise

Wikipedia über Tom Franklin (deutsch, englisch)