Ein Film über ein Haus? Geht’s noch? Auch wenn das Haus zwischen 1928 und 1930 im tschechischen Brno von Mies van der Rohe gebaut wurde und 2001 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Wegen seiner universellen Bedeutung als architektonisches Kunstwerk.
So etwas dürfte doch wirklich nur angehende Architekten interessieren.
Aber dann beginnt Dieter Reifarth seinen Film „Haus Tugendhat“ mit ruhigen Kamerafahrten durch das leere Haus und im Off hören wir Zitate, in denen Architekturkritiker darüber nachdenken, ob man in so einem Haus überhaupt leben könne oder sich wie in einem Museum fühle – und in den folgenden gut zwei Stunden erzählt Reifarth vor allem von den Menschen, die seit 1930 in dem Haus lebten: die Tugendhats, die 1938, nachdem die Tschechoslowakei Teil von Nazi-Deutschland wurde, aus Brünn flüchteten; die Nazis, die in dem Haus lebten und es sich erst einmal, inclusive einer „Bauernstube“ gemütlicher einrichteten; nach dem Krieg die Kommunisten, zuerst mit einer privaten Schule für Rhythmik- und Ausdruckstanz, später dreißig Jahre lang als physiotherapeutisches Zentrum für skoliose- und kyphosekranke Kinder, ab 1981 als Gästehaus für horchrangige Besucher; und, nach dem Ende des Ostblocks, als Verhandlungsort für die Auflösung der Tschechoslowakei in zwei Staaten, ehe es in den kommenden Jahren zunehmend verfiel, bevor es ab 2010 aufwendig und originalgetreu restauriert wurde. Seit Februar 2012 steht das Haus wieder der Öffentlichkeit zur Verfügung.
Während die Menschen von ihrem Leben in dem Haus erzählen, oft ergänzt durch historische Aufnahmen, entsteht auch ein Bild eines bewegten Jahrhunderts anhand eines Gebäudes, in dem man sehr wohl Leben konnte. Gleichzeitig hat Reifarth auch die Familie Tugendhat porträtiert, die sich an ihre Jahre in dem Haus erinnern und, wobei hier auch die Differenzen zwischen den Tugendhats gezeigt werden, verschiedene Ansichten zu dem Haus und den jahrelangen Bemühungen von einigen Familienmitgliedern für die Restaurierung haben.
Außerdem gibt es, vor allem am Anfang, eine satte Portion Architekturgeschichte. Denn Mies van der Rohe und die anderen Bauhaus-Architekten glaubten, dass sie mit ihren Gebäuden die Menschen zum Besseren beeinflussen können. Ein utopischer, aber durchaus sympathischer Glaube, der damals zu einem vollkommen neuen Baustil führte, der noch immer Bestand hat.
Doch, ein Film über ein Haus kann von der ersten bis zur letzten Minute auch für Nicht-Architekten interessant sein und es spricht für Dieter Reifarth, dass man sich niemals von den vielen Informationen erschlagen fühlt.
Haus Tugendhat (Deutschland 2013)
Regie: Dieter Reifarth
Drehbuch: Dieter Reifarth
mit Daniela Hammer-Tugendhat, Ruth Guggenheim-Tugendhat, Ernst Tugendhat, Ivo Hammer, Lukas Hammer, Josef Guggenheim, Michael Guggenheim, Irene Kalkofen
Länge: 116 Minuten
FSK: ab 0 Jahre
–
Hinweise
Film-Zeit über „Haus Tugendhat“
Wikipedia über die Villa Tugendhat und Mies van der Rohe

Veröffentlicht von AxelB