Neu im Kino/Filmkritik: Jesse Eisenberg empfindet „A real Pain“

Januar 17, 2025

Als Kinder verbrachten die gleichaltrigen Cousins David (Jesse Eisenberg) und Benji (Kieran Culkin) viel Zeit miteinander. Dann gingen sie getrennte Wege und jetzt wollen sie bei einer mehrtägigen Holocaust-Reisetour durch Polen ihre Beziehung wieder auffrischen und etwas über ihre Familiengeschichte lernen. Ihre kürzlich verstorbene jüdische Großmutter überlebte als einziges Familienmitglied den Holocaust. Sie flüchtete von Polen in die USA. In ihrem Testament vermachte sie Benji und David etwas Geld für eine Reise nach Polen.

Jesse Eisenberg, der bei „A real Pain“ auch das von seiner Familiengeschichte sehr lose inspirierte Drehbuch schrieb und die Regie übernahm, spielt den schüchternen David. Er lebt in New York, ist verheiratet und Vater. Er nimmt den historischen Teil der Reise sehr ernst und hat wahrscheinlich vor der Reise ein halbes Dutzend Bücher dazu gelesen. Auf der Fahrt zum John F. Kennedy Flughafen schickt er Benji mehrere Nachrichten, in denen er ihn über den Verlauf seiner Fahrt und minimale Verspätungen informiert.

Der von Kieran Culkin gespielte Benji ist das komplette Gegenteil. Er ist ein Slacker, ein Spaßvogel – und er hat massive psychische Probleme. In dem einen Momet bringt er die Reisegruppe zum Lachen und terrorisiert sie kurz darauf mit seinen Launen und verbalen Angriffen. Er sorgt für Chaos und Unruhe.

In „A real Pain“ verknüpft Eisenberg die Geschichte der Wiederbegegnung der beiden Verwandten mit ihrer Familiengeschichte. Das tat Julia von Heinz vor wenigen Wochen auch in ihrer im direkten Vergleich deutlich gelungeneren Lilly-Brett-Verfilmung „Treasure“. Lena Dunham und Stephen Fry spielten das im Mittelpunkt der Geschichte stehende Tochter/Vater-Gespann. Nach dem Ende des Kalten Krieges will seine Tochter bei einer Reise nach Polen mehr über die Vergangenheit ihrer Familie erfahren. Ihr Vater, der als Kind den Holocaust überlebte, begleitet sie und sie sind ebenfalls ein gegensätzliches Paar. Sie hat die Reise präzise geplant. Er ist ein lebenslustiger Spaßvogel, der anscheinend nur ihre Pläne sabotieren will. Dabei verbirgt diese Fröhlichkeit nur mühsam seinen Schmerz und die Angst, sich diesem Trauma zu stellen.

Und damit kommen wir zum großen Unterschied zwischen den beiden sehr ähnlichen Dramen. In „Treasure“ ist der Holocaust unmittelbar mit einer der beiden Hauptfiguren und ihren Handlungen und Gefühlen verknüpft. In „A real Pain“ ist das nicht so. Eisenberg könnte seine Geschichte auch an jedem anderen Ort spielen lassen. Es ist egal, ob David und Benji eine Pauschalreise durch die USA oder durch Europa machen. Es ist egal, ob die Pauschalreise sich mit den Spuren des Judentums in Polen beschäftigt oder es sich um eine Weinverköstigungstour durch Frankreichs schönste Weingüter handelt. Die Reise ist nur der austauschbare Hintergrund für die Befindlichkeiten der Hauptfiguren.

A real Pain“ ist eine gut gespielte, humorvolle Charakterstudie über zwei gegensätzliche Cousins, die eine gemeinsame Reise unternehmen und danach wieder in ihr gewohntes Leben zurückkehren.

A real Pain (A real pain, USA 2024)

Regie: Jesse Eisenberg

Drehbuch: Jesse Eisenberg

mit Kieran Culkin, Jesse Eisenberg, Will Sharpe, Jennifer Grey, Kurt Egyiawan, Liza Sadovy, Daniel Oreskes

Länge: 90 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „A real Pain“

Metacritic über „A real Pain“

Rotten Tomatoes über „A real Pain“

Wikipedia über „A real Pain“ (deutsch, englisch)


Neu im Kino/Filmkritik: „Die wundersame Welt des Louis Wain“ ist voller Katzen

April 22, 2022

Er malte Katzen und zwar so, dass H. G. Wells über ihn sagte: „Er erfand einen Stil für Katzen, eine Gesellschaft für Katzen, eine ganze Katzenwelt. Englische Katzen, die nicht so aussehen wie Katzen von Louis Wain, sollten sich was schämen.“

Dieser Louis Wain, der vom 5. August 1860 bis zum 4. Juli 1939 lebte, wird jetzt in einem Biopic von Benedict Cumberbatch gespielt. Für ihn ist das die Gelegenheit, seiner Kollektion außergewöhnlicher Figuren eine weitere mit vielen Marotten ausgestatteten Exzentriker hinzuzufügen. Schon in den ersten Minuten von „Die wundersame Welt des Louis Wain“ erscheint Louis Wan als ein höchst seltsamer Vogel. Nach dem Tod seines Vaters lebt der Zwanzigjährige in einem Haushalt mit seiner Mutter und seinen fünf Schwestern. Er muss sie, entsprechend den damaligen gesellschaftlichen Regeln, als Oberhaupt der Familie versorgen. Gleichzeitig ist er dafür vollkommen ungeeignet. Er kann keine Verantwortung übernehmen. Noch nicht einmal für sich selbst. Er ist schüchtern, schusselig und vollkommen verpeilt. Und er hat einen wahrlich atemberaubenden Zeichenstil. Er zeichnet, ohne auf das Papier zu gucken, gleichzeitig mit beiden Händen und hektischen Bewegungen seine Bilder. Diese sind, erstaunlicherweise, äußerst gelungen. Gerne zeichnet er Katzen, die er vermenschlicht. Anfangs verschenkt er die Bilder. Später wird er mit ihnen ein Vermögen machen. Obwohl ihn Geld absolut nicht interessiert. Und weil er sich nicht um die Rechte an seinen Bildern kümmert, ist das Geld auch schnell wieder weg.

Dazu kommen der frühe Tod seiner Frau Emily 1887 und seine über die Jahre zunehmenden psychischen Probleme. Er stellte Emily, auf das Drängen seiner Schwestern, als Gouvernante ein und verliebte sich sofort in sie. Wain litt an Schizophrenie und wohl noch einigen weiteren nicht diagnostizierten psychischen Krankheiten. Diese Probleme wurden so schlimm, dass er 1924 in die Armenstation im „Springfield Mental Hospital“ eingeliefert wurde. Dank prominenter Fürsprecher, wie H. G. Wells, wurde er später in eine bessere Anstalt verlegt.

Will Sharpe erzählt in seinem edel besetztem Biopic „Die wundersame Welt des Louis Wain“ das Leben dieses Mannes von seinen von seinen Anfängen als Illustrator für die „Illustrated London News“ (er zeichnete schneller als alle anderen) über seine große Popularität als Katzenzeichner bis zu seinem Tod. Das ist vor allem am Anfang, also wenn es um seinen Aufstieg als Zeichner (wobei er durchgängig vollkommen desinteressiert an Geld ist), seine große Liebe Emily, seine Beziehung zu seinen Schwestern und zu Katzen geht, sehr gelungen und auch witzig.

Mit zunehmender Laufzeit wird Will Sharpes Künstlerbiographie zu einer episodischen und damit auch langweiligen Abhandlung von Waines Leben. In schneller Folge werden neue Jahreszahlen eingeblendet und weitere Stationen in Wains Leben abgehandelt. Der klare Fokus der ersten Hälfte geht verloren zugunsten eines bebilderten Wikipedia-Artikels.

Die wundersame Welt des Louis Wain (The Electrical Life of Louis Wain, Großbritannien 2021)

Regie: Will Sharpe

Drehbuch: Simon Stephenson, Will Sharpe (basierend auf einer Geschichte von Simon Stephenson)

mit Benedict Cumberbatch, Claire Foy, Andrea Riseborough, Toby Jones, Sharon Rooney, Aimee Lou Wood, Hayley Squires, Stacy Martin, Phoebe Nicholls, Nick Cave, Taika Waititi, Richard Ayoade, Olivia Colman (Erzählerin)

Länge: 111 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Die wundersame Welt des Louis Wain“

Metacritic über „Die wundersame Welt des Louis Wain“

Rotten Tomatoes über „Die wundersame Welt des Louis Wain“

Wikipedia über „Die wundersame Welt des Louis Wain“ (deutsch, englisch) und Louis Wain (deutsch, englisch)