Neu im Kino/Filmkritik: „Treasure – Famillie ist ein fremdes Land“ und die Vergangenheit auch

September 13, 2024

Reisen mit den Eltern sind schon anstrengend. Vor allem wenn die Tochter einen festen Plan hat, der mehr ein ausufernder Arbeitsplan als eine Urlaubsreise ist und wenn diese Reise nicht an irgendwelche schönen sonnigen Strände, sondern in das triste postkommunistische Polen führt und die Tochter die Familiengeschichte erforschen möchte. Eine Familiengeschichte zu der ein KZ-Besuch gehört.

Deshalb wollte die 36-jährige New Yorker Musik-Journalistin Ruth Rothwax (Lena Dunham) 1991 die Reise auch ohne ihren Vater Edek (Stephen Fry) machen. Aber er lud sich ungefragt ein. Er benimmt sich – und so scheint er sich immer zu benehmen – wie ein Kind, das auf jede Ablenkung und jedes Vergnügen anspringt. Er nimmt jede Gelegenheit wahr, ihre Pläne zu sabotieren. Außerdem will er, der als Kind im KZ Auschwitz-Birkenau war, nicht Zug fahren. Schon am Flughafen besorgt er ein Taxi und verpflichtet den Fahrer bis zu ihrer Abreise als ihren persönlichen Chauffeur.

Ruth und Edek sind ein seltsames Paar. Sie ist ständig schlecht gelaunt. Er nicht. Die Stationen, die sie abfahren sind die vorhersehbaren Stationen eines Ausflugs in die Familienvergangenheit. Die Erlebnisse sind auch vorhersehbar. Sie treffen einige Menschen. Einige treffen sie öfter. Sie besuchen das inzwischen herunterkommene Haus, in dem Edek als Kind wohnte und in dem jetzt andere Menschen wohnen, die Angst um ihre Wohnung haben. Sie besuchen das KZ, werden am Zaun entlang gefahren und Edek entdeckt dabei Orte, an denen er früher war. Und langsam öffnet Edek sich.

Julia von Heinz‘ Film „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“ basiert auf dem siebenhundertseitigem Roman „Zu viele Männer“ von Lilly Brett, den von Heinz und ihr Co-Autor John Quester für den Film veränderten. Ihre sich während eines einwöchigen Besuchs in Polen abspielende Familiengeschichte reiht konventionell die einzelnen Stationen der Reise aneinander. Die Vergangenheit bildet den Hintergrund für die Kabbeleien zwischen Ruth und Edek. Lena Dunham spielt die penibel planende Journalistin mit einem von ihrem Vater dauergenervtem Gesichtsaustdruck. Stephen Fry läuft als lebensbejahender Holocaust-Überlebender, der die Schrecken, die er im Zweiten Weltkrieg erlebte und jetzt unter der Maske der Fröhlichkeit versteckt, zu großer Form auf.

Treasure – Familie ist ein fremdes Land (Deutschland/Frankreich 2024)

Regie: Julia von Heinz

Drehbuch: Julia von Heinz, John Quester

LV: Lilly Brett: Too many men, 1999 (Zu viele Männer)

mit Lena Dunham, Stephen Fry, Zbigniew Zamachowski, Tomasz Wlosok, Iwona Bielska, Maria Mamona, Wenanty Nosul, Klara Bielawka, Magdalena Célowna

Länge: 110 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“

Moviepilot über „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“

Metacritic über „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“

Rotten Tomatoes über „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“

Wikipedia über „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“ (deutsch, englisch)

Berlnale über „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“

Meine Besprechung von Julia von Heinz‘ „Hannas Reise“ (Deutschland/Israel 2013)

Meine Besprechung von Julia von Heinz‘ „Und morgen die ganze Welt“ (Deutschland 2020)


Neu im Kino/Filmkritik: „Bad Boy“: Hooligans, Fußball und Verbrechen in Polen

März 7, 2020

Pawel und Piotr sind Brüder, die schon lange getrennte Wege gehen. Pawel ist fanatischer Fan des Fußballclubs Unia und Hooligan. Die Hooliganbande, bei der er Mitglied ist, ist knietief in kriminelle Aktivitäten verstrickt. Piotr ist Polizist. Jetzt soll er Beweise gegen diese Hooligangruppe sammeln. Dafür soll er in einem Undercover-Einsatz die Beziehung zu seinem Bruder auffrischen.

Fans von Gangsterfilmen kennen die Geschichte vom Undercover-Cop, der in sein altes Milieu zurückkehrt um einen Verbrecherboss zu überführen. Auch die zweite Geschichte, die Patryk Vega erzählt, ist für Fans von Gangsterfilmen eine vertraute Geschichte. Es geht um den mit Gewalt und Leichen gepflasterten Aufstieg von Pawel. Zuerst in der Hooliganbande vom Fußsoldaten zum Anführer. Später, mit der Hilfe der Anwältin Ola, die ebenfalls undercover arbeitet und ihm als Piotrs Freundin vorgestellt wird, steigt er weiter auf. Als Drogenhändler und als Vorsitzender seines Fußballvereins.

Vega erzählt beide Geschichten mit viel Gewalt und interessanten Wendungen, die bis zum Ende immer wieder überraschen. Inwiefern er in dieser von wahren Ereignissen inspirierten Geschichte die wahren Verhältnisse in Polen, der dortigen Hooliganszene und der Verflechtung von Hooligans, Verbrechern und Kapital überzeichnet, ist mir unklar. In jedem Fall sind polnische Hooligans als sehr gewaltbereit und sehr rechts bekannt. Verbindungen zum Organisierten Verbrechen liegen nahe. Aber ob es ihnen auch gelingt, als Hooliganbande durch das geschickte Ausnutzen von Vereinsregeln einen ganzen Verein zu übernehmen, weiß ich nicht.

Dass Pawel und seine ständig gewaltbereiten Hooligenfreunde nicht zu Identifikationsfiguren taugen, ist klar. Aber auch alle anderen Figuren in Vegas Gangsterfilm „Bad Boy“ sind denkbar unsympathisch und befreit von mitmenschlichen Gefühlen. Für sie zählt nur Gewalt und das skrupellos durchgesetzte Recht des Stärkeren. Einzig Piotrs Vorgesetzter Adam ist in dieser Welt halbwegs sympathisch. Immerhin sorgt er sich um Piotr und er will, die Regeln befolgend, etwas gegen das Organisierte Verbrechen unternehmen. Allerdings stiftet er Piotr an, seinen Bruder Pawel auszuspionieren und so Beweise für eine Gefängnisstrafe zu sammeln. Dadurch initiiert er alle weiteren Ereignisse.

Bad Boy“ zeichnet ein sehr düsteres Bild der polnischen Gesellschaft. Und auch im Rahmen der Genrekonventionen fällt „Bad Boy“ sehr düster aus.

Patryk Vega inszenierte vorher „Pitbull“, „Women of Mafia“ und, anscheinend ist das sein einziger in Deutschland öffentlich präsentierter Film, „Hans Kloss – Spion zwischen den Fronten“. Sein nächster Film „Small World“ befindet sich gerade in der Postproduktion. Es geht um die Entführung von Kindern, die zu Sexsklaven werden, und einem Polizisten, der dagegen kämpft.Ein deutscher Kinostart ist nicht ausgeschlossen.

Bad Boy (Bad Boy, Polen 2020)

Regie: Patryk Vega

Drehbuch: Olaf Olszewski, Patryk Vega

mit Antoni Królikowski, Maciej Stuhr, Andrzej Grabowski, Piotr Stramowski, Małgorzata Kożuchowska, Katarzyna Zawadzka, Zbigniew Zamachowski, Kamil Grosicki

Länge: 110 Minuten

FSK: ab 18 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Bad Boy“

Wikipedia über Patryk Vega