Neu im Kino/Filmkritik: You’re nicked: „The Sweeney“ löst „The Crime“

Ich verstehe, dass der Verleih den Originaltitel „The Sweeney“ änderte. Immerhin können wir mit „The Sweeney“, dem Titel einer in den siebziger Jahren bahnbrechenden TV-Serie über die Flying Squad der Londoner Polizei, die bei uns vor Ewigkeiten mal als „Die Füchse“ im TV lief, wenig anfangen. In England wird sie immer noch regelmäßig wiederholt und genießt Kultstatus. Aber musste der englische Titel dann durch einen anderen englischen Titel ersetzt werden? Und dann noch durch einen so austauschbaren wie „The Crime“?

Der Titel sollte den Genrefan nicht von einem Kinobesuch abhalten. Denn Nick Love („The Football Factory“, „The Business – Schmutzige Geschäfte“, „Outlaw“, „The Firm“) liefert einen harten Cop-Thriller ab, der auch in einem interessanten Spannungsverhältnis mit und zur Originalserie steht. Einerseits wurde viel geändert und aus den gleichaltrigen Kollegen Jack Regan (John Thaw) und George Carter (Dennis Waterman) wurde ein Vater-Sohn-Paar, mit Ray Winstone als Jack Regan und Ben Drew als George Carter. Das verändert natürlich das gesamte Beziehungsgeflecht der TV-Serie. Andererseits hätte die Filmstory auch damals als TV-Folge erzählt werden können, die sich um Realismus bemühte und die beiden Helden als schürzenjagende, trinkende, fluchende und sich prügelnde Gesetzeshüter porträtierte, die, weil der Zweck die Mittel heiligt und die Aufklärungsquote stimmt, das alles durften. In den Siebzigern traf diese Abkehr von dem freundlichen Bobby den Zeitgeist.

Heute wirkt das Vorgehen schon sehr archaisch und wenn der Interne Ermittler Ivan Lewis (Steven Mackintosh), der von Regisseur Nick Love bewusst negativ gezeichnet wird, Jack Regan vorhält, dass er ein Dinosaurier sei und auch für ihn die Gesetze gelten, will man ihm irgendwann zustimmen. Denn die Sweeney schlägt zuerst zu und stellt danach vielleicht einige Fragen.

Nachdem Jack Regan (Ray Winstone), George Carter (Ben Drew) und ihr Team in den ersten Filmminuten in einer Lagerhalle eine Verbrecherbande schussfreudig und auch sehr handgreiflich mit Fäusten und Baseballschlägern außer Gefecht gesetzt haben, erhalten sie einen Hinweis auf einen geplanten Überfall auf eine private Geschäftsbank am Trafalgar Square. Gleichzeitig wird ein Juwelier überfallen. Dabei wird eine Kundin hingerichtet. Regan erkennt an dem Safe die Handschrift von Francis Allen (Paul Anderson), einem inzwischen vermögendem Safeknacker, der ein wasserdichtes Alibi hat, aber natürlich der Bösewicht ist, der den Überfall auf die Bank von langer Hand plant und auch die Kundin wurde nicht zufällig hingerichtet.

Diesen nicht übermäßig komplexen Plot garnieren Nick Love und John Hodge (die Danny-Boyle-Filme „Kleine Morde unter Freunden“, „Trainspotting“, „Lebe lieber ungewöhnlich“, „The Beach“ und, demnächst „Trance“) mit einer internen Ermittlung wegen Korruption und Brutalität im Dienst gegen die Einheit und besonders gegen Jack Regan, eine Liebesgeschichte zwischen Regan und einer Kollegin, die mit Ivan Lewis verheiratet ist, und polizeiinternen Streitigkeiten. Dazu gibt es eine Reihe beeindruckender Actionszenen, wobei der Banküberfall mit der anschließenden Jagd auf die Verbrecher über den Trafalger Square sich nicht hinter den ähnlich beeindruckenden Schusswechseln von „Heat“ und „The Town“ verstecken muss und wenn man dann noch weiß, dass der Schusswechsel auf dem Trafalger Square an einem Vormittag gedreht werden musste, ist die Szene noch beeindruckender. Denn Michael Mann und Ben Affleck konnten sich bei ihren Ballereien sicher mehr Zeit nehmen.

The Crime“ erfindet zwar das Genre nicht neu, genaugenommen wirkt er immer wie eine leicht upgedatete spielfilmlange Siebzigern-Jahre-“The Sweeney“-Episode, in Breitwand und mit exzessiven Actionszenen (über den Höhepunkt, bei dem während einer Autoverfolgungsjagd eine halbe Fertighaussiedlung zerstört wird, habe ich noch nichts gesagt), aber er hat eine rohe, mitreisende Kraft, die heute nur wenige Filme haben.

Gleichzeitig ist es ein Abgesang auf eine Ära, in der die Polizei Bürgerrechte noch nicht einmal den gesetzestreuen Bürgern zugestehen wollte. Bei aller Verherrlichung der Sweeney zeigt „The Crime“ auch, dass diese Zeit vorbei ist.

The Crime - Plakat

The Crime (The Sweeney, Großbritannien 2012)

Regie: Nick Love

Drehbuch: Nick Love, John Hodge

mit Ray Winstone, Ben Drew, Hayley Atwell, Steven Mackintosh, Paul Anderson, Alan Ford, Damian Lewis

Länge: 113 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Deutsche Facebook-Seite zum Film

Film-Zeit über „The Crime“

Metacritic über „The Crime“

Rotten Tomatoes über „The Crime“

Wikipedia über „The Crime“

Die Pressekonferenz vom 3. September 2012 zum UK-Filmstart

Und einige sehr wahre Worte von Regisseur Nick Love zum Stil von „The Crime“ (The Sweeney, GB 2012)

Er sollte glatt und edel aussehen. Dieser verwackelte Look der Bourne-Film mit Handkameras ist in meinen Augen etwas passé. Da wird einem schwindlig davon.

Außerdem gibt es nichts Besseres als totale Einstellungen, wenn man die Geographie eines Films etablieren will. Ich war sehr verblüfft von Filmen wie dem letzten Bond, den ich gesehen habe – ‚Ein Quantum Trost‘ (2008). Da gab es eine Autoverfolgungsjagd, und alles, was man sah, waren Nahaufnahmen. Ich fühlte mich völlig desorientiert davon. In meinem Film habe ich dagegen auf große Ansichten gesetzt, mit langen Trackingshots. Man darf nicht vergessen, dass es darum geht, eine große Leinwand auszufüllen. Sie ist gemacht für solche Aufnahmen.

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