Nachdem Stephen Frears mit seinem vorherigen Film „Lady Vegas“ (Lay the Favorite) so richtig daneben griff, kehrt er mit „Philomena“ wieder zur alten Stärke zurück, indem er, genau beobachtend und vielschichtig, eine einfache Geschichte erzählt, die von den Schauspielern und den pointierten Dialogen getragen wird. Außerdem handelt es sich um eine wahre Geschichte, die Martin Sixsmith zu einem Sachbuch verarbeitete, das die Vorlage für „Philomena“ ist. Dabei war Martin Sixsmith zuerst überhaupt nicht begeistert von der Geschichte. Aber nachdem der große BBC-Polit-Journalist nach einer spitzen Bemerkung als Berater der Tony-Blair-Regierung entlassen wurde, benötigte er das Geld und er nahm die Human-Interest-Geschichte – ein journalistisches Genre, das er für den Bodensatz des Bodensatzes hält – nur widerwillig an. Eigentlich überlegte er nur, wie er den Auftrag möglichst schnell erledigen könnte. Aber das war, bevor er Philomena Lee kennen lernte und er merkte, dass die katholische Kirche jede Hilfe verweigert.
Vor etwas über fünfzig Jahren, 1952, wurde Philomena im streng katholischen Irland als junges, unverheiratetes, katholisches Mädchen schwanger. Eine Sünde, für die sie von ihren Eltern in das Kloster in Roscrea abgeschoben wird. Dort, in der Sean Ross Abtei, muss sie, wie viele andere Sünderinnen in der Wäscherei schuften. Ihre Kinder wurden zur Adoption freigegeben; – eigentlich in die USA verkauft, während die Mütter nicht gefragt wurden, Frondienste leisteten und von den Schwestern wie Sklavinnen gehalten wurden. Nach außen inszenierten die Schwestern sich, wie auch die Kirche, als Wohltäterinnen. 1955 wurde Philomenas Kind verkauft.
Jetzt fragt sie sich, was aus ihrem Sohn wurde. Zusammen mit Martin Sixsmith besucht sie die Sean Ross Abtei, aber die Schwestern sagen ihnen nichts.
Im Dorfpub erfährt Sixsmith von den Verkäufen der Bastarde an reiche US-Amerikaner. Gemeinsam mit Philomena verfolgt er die vielversprechende Spur in die USA – und wer die Geschichte von Philomena Lee aus den Medien kennt, dürfte jetzt keine großen Überraschungen erleben. Jedenfalls nicht bei der Identität von ihrem Sohn.
Dafür schreibt hier das echte Leben eine viel bittere Geschichte. Denn ihr Sohn ist tot und seine letzten Wünsche wurden von der katholischen Kirche ignoriert.
Bis dahin lernen sich der arrogante, weltgewandte Upper-Class-Journalist Sixsmith und die Working-Class-Frau, die immer noch eine gläubige Katholikin ist, begeistert Kitschromane liest und nie ihr Land verlassen hat, besser kennen und, dank des pointierten Drehbuchs von Steve Coogan und Jeff Pope, der gewohnt souveränen Regie von Stephen Frears („Die Queen“, „The Snapper“, „Grifters“, „Gefährliche Liebschaften“, „Mein wunderbarer Waschsalon“) und dem grandiosen Spiel von Steve Coogan und Judi Dench werden die offensichtlichen Fallen der Geschichte souverän umschifft.
„Philomena“ ist eine zu Herzen gehende Geschichte über die Suche nach dem verlorenen Sohn, eine kühle, die Fakten sprechende Anklage gegen die katholische Kirche, die witzige Geschichte eines seltsamen Paares und auch ein Moralstück. Denn wie soll man mit Unrecht umgehen?
Am Ende des Films verlässt man, trotz der düsteren Geschichte, beschwingt das Kino. „Philomena“ ist ein feiner, kleiner Film, der letztes Jahr beim Filmfestival in Venedig seine Premiere feierte, Publikumsliebling war und neun Preise erhielt. Seitdem erhielt das Drama etliche weitere Preise und wurde für vier Oscars, unter anderem als Bester Film, nominiert.
Philomena (Philomena, Großbritannien 2013)
Regie: Stephen Frears
Drehbuch: Steve Coogan, Jeff Pope
LV: Martin Sixsmith: The Lost Child of Philomena Lee, 2009 (Philomena – Eine Mutter sucht ihren Sohn)
mit Judi Dench, Steve Coogan, Sophie Kennedy Clark, Anna Maxwell Martin, Ruth McCabe, Kate Fleetwood, Peter Hermann, Mare Winningham, Michelle Fairley
Länge: 98 Minuten
FSK: ab 6 Jahre
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Hinweise
Rotten Tomatoes über „Philomena“
Wikipedia über „Philomena“ (deutsch, englisch)
Meine Besprechung von Stephen Frears „Lady Vegas“ (Lay the Favorite, USA/GB 2012)
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Und noch einige Interviews
mit Philomena Lee und ihrer Tochter Jane
mit Stephen Frears (Regie) und Steve Coogan (Produktion, Drehbuch, Hauptrolle)
Erinnert mich an das Buch „Oranges and Sunshine“, das 2010 ebenfalls verfilmt wurde: Hier gibt es eine Besprechung: http://bit.ly/1bRhLug
Darin erzählt die brit. Sozialarbeiterin, wie sie zusammen mit Guardian-Journalisten den Skandal der Verschickung britischer Kinder nach Australien, Neuseeland etc. aufdeckt.
Es gibt außerdem noch den ziemlich bekannten Film „Die unbarmherzigen Schwestern“ (The Magdalene Sisters) von Peter Mullan und Ken Bruen beschäftigte sich in „Jack Taylor fährt zur Hölle“ (The Magdalenen Martyrs) mit den von Nonnen geführten Wäschereien.
Das war auch ein Skandal, der in einem umfassendem parlamentarischem Bericht mündete, den ich jetzt nicht finde (hatte ihn mal vor Ewigkeiten verlinkt).