Die Béliers sind eine ganz normale Bauernfamilie mit einem kleinen Handicap. Bis auf ihre Tochter Paula sind sie alle taub. Deshalb muss der Teenager nicht nur auf dem Wochenmarkt dolmetschen, sondern auch – neben der Schule – alle Telefonate mit den Geschäftspartnern erledigen. Dennoch ist sie zufrieden. Sie hat eine tolle Familie, die eisern zusammen hält, und gute Freunde. Vor allem mit ihrer Freundin kann sie den Frust, nicht zu einer Party eingeladen werden, zu der sie eh nicht hingehen wollte, weglästern.
Den Musikkurs an der Schule belegt sie dann auch nicht, weil sie singen will, sondern weil sie in der Nähe von ihrem Schwarm sein will. Der fliegt allerdings schon beim Vorsingen aus dem Chor und der Chorleiter, Monsieur Thomasson, ist von ihrer Stimme begeistert. Endlich hört er eine talentierte Stimme. Paula könnte sogar in Paris an einer renommierten Musikakademie aufgenommen werden. Paris würde natürlich bedeuten, dass sie ihre Familie verlassen muss.
Zur gleichen Zeit entschließt sich ihr Vater gegen den von allen gehassten Bürgermeister zu kandidieren. Rodolphe sieht keine Probleme bei diesem Selbstmordkommando. Dass er sich bislang nicht politisch engagierte, dass er von Politik keine Ahnung hat, dass er in keiner Partei ist, dass er taub ist; all das stört ihn nicht. Er hat ja Paula, die seine Reden übersetzen kann. Seine Frau Gigi hält zu ihm. Und dann ist da ja noch Paulas Bruder Quentin.
Außerdem steht dieser Polit-Plot, der im Trailer ja ausführlich angesprochen wird, nicht im Mittelpunkt der Komödie „Verstehen Sie die Béliers?“. Es ist ein verzichtbarer Subplot, der nur für einige schnelle Lacher eingefügt wurde. Was schade ist. Denn aus diesem Wahlkampf hätten die Macher viel Komödiengold schöpfen können. Da wäre ein kleines Sittenbild der Provinzpolitik und ein differenziertes Statement zum Umgang der Gesellschaft mit Behinderten möglich gewesen.
Im Mittelpunkt steht dagegen die Tochter Paula, die sich entscheiden muss, ob sie bei ihrer Familie auf dem Land bleibt oder ihr Glück in Paris versuchen soll. Außerdem verliebt sie sich in einen Klassenkameraden.
Éric Lartigau reichert diese durchaus feinfühlig erzählte Coming-of-Age-Geschichte mit einigen witzigen bis klamaukigen Episoden an, die sich immer um die tauben Mitglieder der glücklichen Familie Béliers drehen. Sie unterhalten sich in Gebärdensprache lauter als einige normale Familien. Leider – auch wenn im Presseheft gesagt wird, dass alle Hauptdarsteller längere Zeit in der Gebärdensprache unterrichtet wurden – erinnert ihr Spiel vor allem an das übertriebene, nervig exaltierte Spiel von Stummfilmschauspielern.
Und immer wieder spricht Paula laut aus, was sie ihren Eltern oder ihrem Bruder in Gebärdensprache sagt. Das ist als Service am Untertitel-lesefaulen Publikum zwar okay, aber es stört mich immer wieder, weil es unrealistisch ist. Genauso wie ein normaler Mensch sich selbst keinen Text laut vorliest. Und es zeugt vom mangelnden Mut der Macher, eine Idee konsequent durchzuhalten.
Wobei „Verstehen Sie die Béliers?“ auch kein tiefschürendes Drama sein will. Es ist eine auf Harmonie getrimmte Sommerkomödie, die einige ungewöhnliche Menschen in den Mittelpunkt stellt, ihre Behinderung vor allem als Anlass für Witze sieht und eine ziemlich biedere Moral hat, die so ähnlich auch in anderen französischen Erfolgskomödien auftaucht, die wenig bis nichts mit der aktuellen Wirklichkeit zu tun haben. Denn das glückliche Leben der Béliers auf ihrem Bauernhof und das lauschige Provinzdorf gehören in die fünfziger Jahre, als die Welt noch in Ordnung war.
In Frankreich wurde Lartigaus Film inzwischen von fast sieben Millionen Zuschauern gesehen.
Ach ja: die Idee von Monsieur Bélier, in die Politik zu gehen, ist gar nicht so unrealistisch. In Deutschland zog 2011 Martin Zierold als erster Gehörloser in ein deutsches Parlament, in Berlin in die Bezirksverordnetenversammlung Mitte ein. Und, ich kenne ihn von einigen Veranstaltungen: er ist ein sehr ruhiger Typ.
Verstehen Sie die Béliers? (La Famille Béliers, Frankreich 2014)
Regie: Éric Lartigau
Drehbuch: Victoria Bedos, Stanislas Carré de Malberg, Éric Lartigau (Adaption), Thomas Bidegain (nach einer Originalgeschichte von Victoria Bedos)
mit Karin Viard, Francois Damiens, Éric Elmosnino, Louane Emera, Luca Gelberg, Roxane Durand, Ilian Bergala, Stephan Wojtowicz
Länge: 106 Minuten
FSK: ab 0 Jahre
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Hinweise
Deutsche Homepage zum Film
Film-Zeit über „Verstehen Sie die Béliers?“
Moviepilot über „Verstehen Sie die Béliers?“
Rotten Tomatoes über „Verstehen Sie die Béliers?“
AlloCine über „Verstehen Sie die Béliers?“
Wikipedia über „Verstehen Sie die Béliers?“ (englisch, französisch)

[…] sind alle Gewinner eingetragen. „Coda“ ist ein Remake dieser herzigen französischen Komödie; – wahrscheinlich der uninteressanteste Film der in der Kategorie „bester Film des […]